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YO LA TENGO – This Stupid World

~ 2023 (Matador) – Stil: Indie Rock/Noise Pop/Shoegaze/Experimental ~


Es gibt sicherlich nur wenige Bands, die Songs und Alben so treffend betiteln können wie das aus Hoboken, New Jersey, stammende Trio YO LA TENGO. Spontan kommt mir da vor allem BILL CALLAHAN in den Sinn, nur dass ihre Titel auch ein gewisses Maß an Aufrütteln heraufbeschwören, das dem Schwindelgefühl gleichkommt, wenn man ihr Material zum ersten Mal gehört hat. Die Band hat Werke in ihrer Diskographie, die beispielsweise ´I Am Not Afraid Of You And I Will Beat Your Ass´ oder ´We Have Amnesia Sometimes´ heißen, es gibt Simpsons-Referenzen (´Let`s Save Tony Orlando`s House´), und ihre ausgeprägte Fähigkeit, Insider-Jokes auszubalancieren, beweist stets eine große Aufrichtigkeit und Sensibilität im Songwriting, das eine Brücke zwischen Vergänglichkeit und Zeitlosigkeit schlägt. Dieser unerschütterliche Sinn für Humor bleibt auch auf ihrem mittlerweile sechzehnten Studioalbum erhalten.

Während der Albumtitel noch kollektive Gefühle in Verbindung mit einer Machtlosigkeit gegenüber dem modernen Leben zweifellos wiedergibt, so ist die eigentliche Botschaft und Musik von YO LA GENGOs exzellentem neuen Material eine weit aggressivere. ´This Stupid World´ vermeidet die Zurückhaltung, die ihre Post-Millennium-Arbeiten weitestgehend geprägt hatte, und verschwendet so gut wie keine Zeit, um endlich wieder ein ausgiebiges Griffbrett-Feuerwerk abzufeuern.

 

 

Der schwindelerregende Opener ´Sinatra Drive Breakdown´ beginnt mit einer scharfen Beschleunigung von Gitarren, die aufkreischen wie Formel-1-Wagen, die Saiten des Gitarristen und Sängers Ira Kaplan werden dabei wie in eine andere musikalische Sprache gebogen, und der Shoegaze-Anteil wird von treibenden Kobaltwolken gefärbt, die wie Tinte im Wasser wirbeln.

Das darauffolgende ´Fallout´ hat einen geradezu anmutigen YO LA TENGO-Klassizismus, der phasenweise in Gezeiten von Ohnmacht verfällt, und an anderer Stelle pocht ´Brain Capers´ wiederum mit einem aufgeladenen Rauschen, das sich schließlich in aggressiven Drehungen wendet und durch frittierende Feedbacks garniert wird.

Seit den 2000er Jahren und ´And Then Nothing Turned Itself Inside Out´ neigte das Hoboken-Trio dazu, seinen Unmut der Außenwelt zu zeigen, indem es sich eher nach innen wandte und zunehmend weicher und leiser wurde, um einer exponentiell lauter werdenden Wut von außen entgegenzuwirken. Jetzt, wo sich der lyrische Fokus noch viel vehementer unserer gegenwärtigen Zeit zuwendet, schmieden sie die Auflösung jedoch wieder vornehmlich aus Lärm.

Wie viele der herausragenden Alben von YO LA TENGO, schlängelt sich auch ´This Stupid World´ mit Leichtigkeit durch die Songlist. Es gibt eine große Auswahl an Texturen und Klangfarben, die überall verstreut sind, aber die Elemente, die sowohl tonal als auch thematisch erforderlich sind, um dieses Werk zu vereinheitlichen, werden mühelos angewendet. Darüber hinaus verleiht der Einsatz von geloopten, rhythmischen Melodien zusätzlich Struktur, und gerade bei den mehr als sieben Minuten dauernden Song-Epen, ist jede Note absolut verdient und notwendig. Ausgedehnte instrumentale Breaks und Outros fühlen sich nie unnötig an, sondern erlauben dem Hörer eher, noch viel tiefer in die Songs einzutauchen und die Zeit dabei nahezu vollends aus den Augen zu verlieren. Definately back to form!

(8,5 Punkte)

 

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Pic: Cheryl Dunn