MeilensteineVergessene Juwelen

CENTAURUS – Centaurus

~ 1978 (AZRA Records) ~


Eigentlich wollte ich nach Lübeck zu WOANDERS, aber da ich bereits mit meinem Dad eine schöne, wenngleich viel zu kurze Mittagszeit verbracht hatte, wäre ich niemals rechtzeitig dorthin gekommen. Also, was macht man? Google befragen. Hamburg? Boah, ey, muss das sein? Ich arbeite da jeden verdammten Tag, ich will nicht auch noch meine Freizeit da verbringen. Okay, PLATTENRILLE am Grindelhof hat offen, also dorthin. Bis 19 Uhr, das sollte gehen. Auf den Roadtrip, fertig, los.

Nach einiger Parkplatzsuche und einem kurzen Fußmarsch komme ich tatsächlich an meiner alten Schule vorbei. FH Hamburg, Fachbereich Bibliothek und Information, 1998 noch im Gebäude der Thalmud Thora Realschule, einer einstmals jüdischen Einrichtung, die Anfang der 2000er wieder der jüdischen Gemeinde zurückgegeben wurde und heuer leider von bewaffneten Polizisten bewacht werden muss. Aber so gerne ich auch ob dieser traurigen Welt Trübsal blasen würde, ich musste ja noch wohin. Eine Tordurchfahrt, eine Tischlerwerkstatt, ah, im hinteren Gebäudeteil sieht es nach Plattenladen aus. Wow. Rustikal, Old School, irgendwie cool und nerdisch. Nicht hochmodern eingerichtet, sondern stilvoll.

Und da wühle ich in den Kisten, beim Heavy Metal-Zeug zuerst. CENTAURUS, ok? „Azra Records“ ließen mich aufhorchen, 1978 kurz inne halten, aber was konnte das sein? Heavy Rock doch mit Sicherheit. 25 Euro für eine LP geht auch. Kurz weitergewühlt, noch eine CENTAURUS, das Album nochmal, nur als alte Picture LP. Irre. Ich hab beide eingetütet und mitgenommen. Hätte noch die 1980er LP von BUCCANEER mitgenommen, aber die muss erstmal warten.

Daheim auf den Teller gepackt und mit Freuden festgestellt, dass es sich bei diesem Album um eine kultige Heavy Rock Platte der späten 70er handelt. 5 Songs astreiner Heavy Rock bis Protometal, eine Ballade und, jetzt werden reine Rock- und Metalfreaks etwas ernüchtert sein, drei Stücke mit experimentell-spacigem Gitarrenschrammeln, welches mich zuweilen an diverse Krautrocksachen erinnert. Kein Rhythmus, eher keine Melodien, dafür viel Echo.

Mit dem fetzenden Treiber ´In The Mood´ geht es zuerst sofort in die Vollen. Heller, dabei aggressiver Gesang, bissige Riffs und viel Leadgitarre sorgen für Stimmung. Die Melodien sind einfach, aber mitreißend. Das Schlagzeug wirbelt wie verrückt und der Bass pumpt dazu mächtig Adrenalin in das Stück. 1978? Da wären VAN HALEN mit Songs wie ´On Fire´ ein Vergleich, das hier ist äußerst wild.

´The Lych Way´ ist das erste Instrumental, etwas strange, ja, wenn man nicht unbedingt solche Instrumentals mag. Ich finde es ein wenig fehl am Platze, weil hier ja eigentlich der Heavy Rock dominieren sollte. Aber okay, der Gitarrist will irgendwas vorführen. Gleiches gilt für ´On The Sands´, das zweite A-Seiten Experimentalstück. Versteht mich richtig, ich mag solche Songs und Experimente an sich, die Stücke haben auch eine schöne Atmosphäre. Aber sie wären auf einer anderen Platte besser aufgehoben.

Übrigens war der Sänger später, in den 90ern bei den BEGGAR’S AND THIEVES, einer leider untergegangenen Sleazerock Gruppe. Der Bassist hat es zu den kanadischen Hardrockern TORONTO geschafft, die in den 80ern wohl etwas angesagter waren. Von Gitarrist und Drummer hat man irgendwie nichts mehr gehört. Schade drum, gut eingespielt waren sie.

´The Rocker´ ist der zweite Heavy-Song auf der A-Seite. Wuchtig, groovend, sehr lässig von der Stimmung und irgendwie ein wenig verdorben. Auch hier eine bissige Gitarre, die recht angriffslustige Riffs und brodelnd heiße Leads auf den Hörer loslässt, eine absolut hypnotisierende Rhythmuscrew und verwegener Gesang mit hohem Wiedererkennungswert. Der Klang ist unheimlich machtvoll, gerade der Bass. Man glaubt dem Sänger sogar, dass er alles an holder Weiblichkeit vernascht, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Schmutzfink. Sehr schön sind die gesanglichen Ausbrüche zum Ende des Songs hin im Refrain. Was der Typ an Verrücktheit aus seiner Stimme rausholt ist gigantisch. Hat ein wenig von BAD AXE mit Dana Strum, später bei SLAUGHTER (LA), die hier auch noch besprochen werden.

Mir fällt bei wiederholtem Hören immer mehr auf: Der lebendige Klang, als ob jemand eine Session im Proberaum mitgeschnitten und dann natürlich aufgewertet und sauber produziert hat. Alles ist schön transparent, alles ist schön kraftvoll und intensiv.

Das zweite Instrumental hatte ich ja schon erwähnt. Ich geh mir mal eben einen Kaffee holen, bevor ich die Platte umdrehe. Das Gitarrenklimpern ist ja durchaus betörend schön und zauberhaft, wenn man sich zurücklehnt und darin treiben lässt. Es hat hier einen folkigen Ausdruck, mit ein paar Hintergrundgeräuschen und Stimme veredelt, aber ganz identifizieren kann ich nicht, was da passiert. Auf jeden Fall fällt es zwar aus der Reihe, wie alle drei Instrumentals hier, aber es weiß mich zu berühren mit seiner immens friedvollen Atmosphäre. Ich werde jetzt keine weiteren Fragen ob der Sinnhaftigkeit solcher Stücke in den Raum werfen. Am Ende wird es sogar mit Zerrakkorden noch brodelnd heiß und wuchtig.

Aber Seite 2 will mit ´If I Build My World For You´ auch nur verhalten mit einem Lovesong starten. Oder? Immerhin mit Schlagzeug und harter Gitarre neben der akustischen. Was haben wir hier? Ich würde es mal einen Melodic Rocker mit ruhigen Passagen nennen, einen 70er AOR Hit, wobei AOR nicht mit aufgeplustertem Bombastsound verwechselt werden darf. Die Nummer ist hübsch, sie ist smooth, aber sie ist auch roh, hat dieses ´Live´ Feeling. Schöne Slides von der Gitarre gibt es hier zu hören, neben anderen wunderbaren Momenten. Schön, wirklich schön.

´Yous Hake Me´ geht dann aber wieder auf die Zwölf, treibt polternd drauflos, hat eine emotionsgeladene Gesangslinie und coole Riffs. Der Bass und das Schlagzeug wirbeln fröhlich wie eine wilde Jagd vorwärts. In der Tat klingt auch dieses Stück wie ein Mittschnitt bei Konzert oder Proberaumsession, welches im Studio halt klanglich etwas in Form gebracht wurde. Schöne Leadgitarren. Und da merkt man doch, dass einiges natürlich auf der nächsten Spur nochmal eingespielt wurde, da die Band nur einen Gitarristen hat, aber Lead- und Rhythmusgitarre singen und knarzen. Die Rhythmusgitarre klingt unheimlich schmutzig, was die Musik am Boden hält. Hier wird auch die Grenze zum Heavy Metal deutlich überschritten. Man könnte sich fast mehr davon wünschen.

Aber es kommt ein weiteres Instrumental, diesmal deutlich mit Krautrockfeeling, pulsierend, voller Echo und mystisch spacigem Ausdruck. Ich nehme alles so an, wie es mir vorgesetzt wird und freue mich dran. Drei Jahre später hatten CIRITH UNGOL ja auch mit ´Maybe That’s Why´ auf ´Frost And Fire´ ein reines Gitarrenstück. Hier sind es halt derer drei und die Musik ist etwas konventioneller, aber wir haben ja auch erst 1978. Ich bin durchaus mit diesem Album zufrieden und höre es gerne, wer nicht auf diese „anderen“ Songs kann, der mag sich halt die 5 Rocker auf CDr brennen oder auf Tape kopieren wie früher. Oder gar bei Youtube rauf und runter anhören.

Und nun kommt mit ´The Maiden Song´ kein Stück, welches an die damals noch aufstrebenden englischen Rocker erinnert, sondern eine magische Ballade, getragen von Stimme, akustischer Gitarre und einigen Leads der elektrischen Gitarre, welche eher im Hintergrund bleiben. Sehr verflogene Stimmung, sehr verträumt und einfach nur schön. Der Text ist eher simpel, eine Liebesgeschichte, Sehnsucht, einfache Gefühle, aber genau richtige Gefühle, denn im Grunde sind wir doch alle einfache Menschen mit einfachen Gefühlen. Liebe…

Bei ´Cold Emotion´ denkt man dann, die Band würde einfach nicht mehr aus dem Quark kommen, aber das ist nur die Einleitung eines absoluten Heavy Metal-Brechers, für die damalige Zeit. Episch, monströs, mit Riffs, die Dich auf die Knie sinken lassen. Die ruhige Gitarre und die Stimmung am Anfang sind schon einmal sehr eindringlich, werden dann durch Einsetzen von Bass und dezentem Schlagzeug noch in ihrer Intensität gesteigert, dann die Eruption. Eine sägende Gitarre, ein heller Schrei und es geht ab. Treibender Protometal donnert aus den Boxen und versetzt Dich, oh, glücklicher Hörer, in einen wilden Tanzrausch. Allerdings kommt noch einmal die anfänglich ruhige Stimmung zurück, bevor mit einem weiteren Schrei der Solopart eingeleitet wird. Und hier geht es wild rund. Nick Paine geht komplett steil und blitzt und sprüht Funken, wie ein Superrockstar auf der Bühne das tun würde. Hier haben wir nicht weniger als eine 1978er Protometalhymne.

Haben sich die 45 Euro für die LP in klarem Vinyl und die Picture LP gelohnt? Ohne Zweifel. Die Platten sind nicht mehr an jeder Straßenecke zu bekommen und ich habe für eine Single mit vier Songs und kürzerer Spielzeit schon mehr Geld ausgegeben. Ist diese Platte für jeden zu empfehlen? Das müsst Ihr selbst entscheiden. Wie gesagt, von neun Stücken sind vier etwas aus der Reihe geschlagen und kein Hardrock / Proto Metal, aber mir gefällt es. Hätte die Band mit einem Gesamtkonzept wie VAN HALEN im gleichen Jahr eventuell mehr Erfolg gehabt? Wenn also acht von neun Songs Heavyrock gewesen wären und man dazu eine Ballade gepackt hätte, wäre da vielleicht mehr drin gewesen, aber ich will es nicht beschwören.

Mein Fazit lautet, dass dieses Album eine schmucke Obskurität für Freunde harter Rockmusik abseits der ausgetretenen Pfade und bekannten Superstars ist. Sollte man u.a. bei Discogs noch relativ günstig bekommen.