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MASTODON – Hushed And Grim

 ~ 2021 (Reprise Records) – Stil: Progressive Metal/Psychedelic/Sludge ~


MASTODON sind zweifellos keine Unbekannten im Erstellen von Konzeptalben. Sie haben Werke veröffentlicht, in denen es darum geht, einen Kristallschädel als Türöffner für ein anderes Universum zu suchen (´Blood Mountain´), und eines über einen querschnittsgelähmten Jungen, der sich astral in den Körper von Russlands größter Liebesmaschine projiziert (´Crack The Sky´). ´Hushed And Grim´ ist jedoch das erste, das sich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlt – und das aus gutem Grund.

2018 verlor die Band ihren langjährigen und höchst geschätzten Manager Nick John, einen Mann, den sie sogar als „den Vater der Band“ bezeichnete. Um diesen großen Verlust zu verarbeiten, kanalisierten sie ihre Emotionen nun in ihre Musik. Das Ergebnis ist entsprechend dem Albumtitel tatsächlich gedämpft und grimmig, aufgenommen im Schatten bitterer Trauer – und ihr bislang nuanciertestes, ausdrucksstärkstes und kreativstes Werk!

Das Album startet schließlich mottogetreu mit ´Pain With An Anchor´, und die Gitarren von Brett Hinds und Bill Kelliher strahlen von Beginn an eine gleichfalls hypnotische wie singende Aura aus. Ein erstes Paradebeispiel für MASTODONs meisterliche Fähigkeiten, progressive und psychedelische Elemente perfekt miteinander zu verweben. Wie bei früheren Aufnahmen auch, nutzt die Band die stimmliche Vielseitigkeit unter den Kollegen dabei ebenfalls gekonnt aus, wobei Brann Dailor die höheren Melodien liefert und Troy Sanders mit Bariton und Körnung zu kontern versteht. Der Song baut zum Ende hin deutlich an Härte auf, wobei die dröhnende Qualität ihm schon beinahe ein bedrückendes Gewicht hinzufügt.

Eindeutig auf der schwereren Seite des Spektrums finden sich schließlich ´Pushing The Tides´ und ´The Crux´, die durch muskulöse Riffs und großartige melodische Hooks bestechen. Größtenteils beinahe schon Old-School-Style, gleitet ´The Crux´ mit einem traurigen Gitarrensolo schließlich in fiebrige, psychedelische Sphären hinweg.

 

 

Das progressiv-sludgige Chaos früherer Meisterwerke wie ´Leviathan´ wurde zwar auf den letzten Veröffentlichungen zunehmend für deutlich songorientiertere Abenteuer zurückgenommen, aber es gelingt dem Atlanta-Quartett nun sogar noch viel größere Spannungsbögen zu erschaffen, indem sie Melodie und Viskosität in geordnetem Maße zusammenzuführen.

Immer wenn ein Song sich anfühlt, als würde er den Schliff übertreiben, nimmt er eine stringent zackigere Richtung ein und wenn er einem umgekehrt MASTODONs vertraute Trickkiste nahebringt, steigert die Band ihr Craftsmanship für ausgefeilte Songs. Ein Timing, so unheimlich, dass sie es selbst vielleicht nicht einmal bemerken.

MASTODON dringen auf ´Hushed And Grim´ jedenfalls definitiv noch viel tiefer in psychedelisches Territorium vor, wie etwa bei ´Skeleton Of Splendor´, mit seiner ätherischen und kontemplativen Natur. Aber auch ´Dagger´ oder ´Had It All´ sind von eher verträumter Spielfreude und ein weiterer Beweis dafür, dass es die Band nicht scheut, Risiken einzugehen und ihren Sound immer wieder neu zu erforschen.

Ätherische Tastaturen werfen zudem einsame Schatten bei ´More Than I Could Chew´ und das Stück entwickelt sich zunehmend hin zu blutigen Riffs mit einem geradezu himmlischen Gewicht, das sich noch viel stärker an die Progressive Metal-Wurzeln anlehnt. ´The Beast´ hingegen hat ein wunderbares Gothic-Country-Feeling mit atemberaubend-prägnanten Texturen.

´Hushed And Grim´ ist ein wahres Meisterwerk und eine beeindruckende und brutale Ergänzung des Kanons, das alles beinhaltet, was es an MASTODON zu lieben gibt: die grüblerische Härte, die genialen Riffs, welche nahe am Wahnsinn bedrohen, und das progressive Songwriting, das die Sinne betört. Ein Album, durch Trauer und in Erinnerung geboren. Gibt es denn einen schöneren Weg, Trost und Heilung zu finden, als durch den Prozess, ein derart monumentales Album zu erschaffen?

(9,5 Punkte)

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Pic: Clay McBride
(VÖ: 29.10.21)