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CELESTE – Il Principe Del Regno Perduto

~ 2021 (Mellow Records) – Stil: Prog Rock ~


Nach dem 1976er Debüt kam von der italienischen Progressivrockformation CELESTE nurmehr Anfang der 90er etwas Archivmaterial aus den 70ern auf den Markt, dessen künstlerischer Wert umstritten ist. 2019 überraschten sie dann mit einem gelungenen Comebackwerk ´Il Risveglio Del Principe´ und dieses findet seine Fortsetzung im 2021er Album ´Il Principe Del Regno Perduto´. Italienisch müsste man können.

Mir ist das Vorgängerwerk nur durch dezentes Hinhören auf Youtube bekannt, ebenso wie das Debüt. Daher ist dies hier nun meine erste intensive Beschäftigung mit dem Material der alten Progger. Auf der anderen Seite bin ich durchaus mit italienischem Progrock vertraut, daher kann ich Vergleiche ziehen und eventuell Schwachstellen oder musikalische Neuausrichtungen erkennen.

´Baie Distanti´ ist der einleitende Neunminüter und der spricht schon für Kunst statt Kommerz. Es beginnt mit wortlosem Damengesang, ein heller Sopran verzaubert die Sinne, darunter eine dezente Percussion mit vereinzeltem Schlagzeugeinsatz und ein Geplinge, Gegonge und Dröhnen, welches vom Synthesizer stammen könnte. Sehr geheimnisvoll ist die erzeugte Atmosphäre und man wähnt sich in einer düsteren Szene eines Giallos oder gar Horrorfilms italienischer Machart. Dann aber zischen die Becken und eine lichtere, folkige Musik beginnt. Die Melodien sind verträumt schön und laden zu einem Traumspaziergang durch blühende Barockgärten ein. Synthesizer, sogar ein Saxophon und akustische Gitarre zaubern wunderbare Bilder in die Sinne. Sind das doppelstimmige Flöten oder ist das ein Mellotron? Nun, was auch immer das für ein Instrument ist, es trägt zur friedvollen Stimmung bei. Dann kommt der Gesang, sanft, melodisch, aber kräftig, die Melodien eindringlich. Langsam erhebt sich das Stück und stolziert voran, der Sänger vorweg. seine Geschichte erzählend. Im nächsten instrumentalen Abschnitt bauen Synthesizer und Leadgitarre eine unglaublich intensive Klangwand auf, die dann von perlenden Klavierklängen wieder eingerissen, dann jedoch schnell wieder errichtet wird. Tasteninstrumente sind bei diesem Schwebeprog sehr angesagt. Trotz einiger meckernder Saxophoneinspieler über dem entspannten Musikfluss bleibt das Lied bis fast zum Ende hin so friedvoller Schönklang, dann aber wird es auf die letzten Sekunden gruselig. Die Flöte hält die pastorale Stimmung aufrecht, zumindest versucht sie es, darunter allerdings brodelt es dröhnend im Untergrund, als ob sich ein namenloses Grauen erheben und in die schöne heile Welt von CELESTE eindringen will. Das hat schon fast Lovecraft’sche Qualität. Sehr geheimnisvoll, makaber.

Aber ´L‘Ultimo Viaggo Del Principe´, mit seinen 24 Minuten ein ultimativer Longtrack, ist wieder freundlich gesinnt und beginnt mit schönen Melodien, sehr bildhaften Harmonien, Klavier, Flöte, Synthesizer, Orgel, akustischer Gitarre und leichtem Rhythmus. Dieses Melodienspiel raubt Dir ob seiner wunderbaren Schönheit beinahe die Sinne und Du schwelgst im malerischen Bombast dieser Klangmalerei. Ein entspannter Symphonicrock entwickelt sich aus dem anfänglichen Lustwandeln und man lässt sich auf den dichten, komplexen Arrangements treiben. Dann kommt ein Moment mit mehr Energie, das Saxophon grätscht hinein und der Rhythmus wird etwas fordernder. Die Band fällt zwischen einigen solcher Parts wieder ins Träumen zurück, aber der Hörer ist irgendwie wach. Und er schaut die wunderbaren Landschaften, welche CELESTE ihm in die Seele malen, mit großer Bewunderung und Verliebtheit an. Fünf Minuten sind vergangen und das Stück ändert seinen Weg, aber wird nicht unbedingt wilder. Synthesizer, Gitarre und Saxophon führen ein entspanntes Gespräch an einem warmen, bunten Herbsttag. Man kann sich ein paar ältere italienische Herren in einem Park auf einer Bank zwischen all dem farbenfroh herumliegenden Herbstlaub vorstellen, wie sie über schöne Belanglosigkeiten schwadronieren. Ja, diese Stück Musik strahlt den Frieden und die Lebensfreude des Herbstes aus. Aber auch hier sind melancholische Momente nicht fremd. Nach circa acht Minuten kommt eine Passage mit Geigen, Gitarren und Synthesizer, die in einem Dreivierteltakt den Walzer des vergangenen und für immer verlorenen Sommers tanzt. Sehr folkig im Ausdruck, was an den Geigen und diesem beschwingten Tanzrhythmus liegen mag. Und die Geige, leicht mit Effekten beladen, jubiliert. Nach beinahe zehn Minuten ein Bruch. Ein schwerer Orgellauf mit feierlicher Stimmung kommt auf, unterbricht den Fluss, dann begleiten ihn pompöse Streicher und eine Operndiva schmettert los, ihr wird dann von einem Herrenchor geantwortet. Wir sind im Bereich italienischer Oper gelandet und es passt hervorragend in dieses Stück, gibt ihm eine ganz eigene Dynamik, auch wenn jedwede Rockmusik komplett fort ist. Es entwickelt sich ein lebhaftes Zwiegespräch zwischen Chor und Sopran. Dann schwebt ein instrumentaler Part herein und macht den Weg frei für einen getragenen, symphonischen Rock mit Rockgesang. Schmalzig, vielleicht, aber zugleich ergreifend schön. Und schön waren CELESTE mit ihrer Musik immer schon. Mit fast oder über 70 brauchen sie auch niemandem mehr den großen Progrocker vormachen. Wobei die Musik wahrlich mit Anspruch gesegnet und auch über 24 Minuten und bei aller Gelassenheit spannend und mitreißend ist. Der Schönklang währt fort und bleibt bestehen. Mal etwas schwungvoller, mal schwebend entspannt dahinfließend. Man schwelgt in Pomp, in Keyboards, in Mellotron, in Sanftmut, aber genau das macht diesen langen Song so wundervoll. Letztendlich ist es die letzte Reise des Prinzen und somit soll man nichts überhasten. Oder? Bei circa 19 Minuten wird es im Hintergrund spacig, da zwitschern Synthies fast wie in der kosmischen Musik, Meeresrauschen ist dabei und darüber liegen schöne Flöten. Ein kurzer Bruch und wieder erklingt eine strahlende, schöne, folkige Passage mit wunderbarer Melodieführung. Man erwartet Gesang, der nicht kommen will, aber irgendwie ist er immer in der Seele präsent. Ich bin wohl Italoprog geschädigt. Aber dann kommt eine Stimme, ein Gemurmel, irgendwo in den Weiten des Äthers. Wie bei einer Zeremonie, in der finstere Gesellen der Hölle oder noch schlimmerer Orte beschworen werden sollen und auf einmal ist die ganze Schönheit wieder passé und ein morbider Ausdruck von Schizophrenie macht sich breit. Dann singt uns eine Geige ein Requiem für die letzte halbe Minute. Ich weiß nicht, was das soll, aber es ist eindringlich.

´Ceruleo Sogno´, ein himmelblauer Traum, schließt sich an. Und auch hier, wie zugleich auf den folgenden Stücken geht es nicht anders zu, als bei dem absoluten Longtrackinferno. Wobei man ja nicht von einem Inferno sprechen kann, da es auf diesem Album überhaupt nicht infernalisch zugeht. Gesang bleibt die Ausnahme, aber wenn, dann überwältigt einen der Sopran.

Ich muss mich zusammennehmen, sonst schwelge ich noch über mehrere Seiten lang in immer abstruseren Satzkreationen, träume weiter von der Reise des Prinzen durch malerische norditalienische Landschaften. Wer kein Geld hat, um sich in der Toscana für ein paar Wochen von den Strapazen des teutonischen Wirtschaftssystems zu erholen, der kann sich für ungefähr 30 Euro die LP, für etwas unter 20 Euro auch die CD-Variante dieses Albums ins Haus holen und wird es, sofern Freund von symphonischem Schönklangprog italienischer Prägung, definitiv nicht bereuen. Ein schöner Rotwein dazu und das Hinfortträumen fällt einem noch viel leichter. Und CELESTE stehen mit beiden Vorgängern definitiv auf der Einkaufsliste.

(9 Punkte)

 

https://ciroperrino.bandcamp.com/album/il-principe-del-regno-perduto

https://www.ciroperrino.nl/en-gb/celeste1