PlattenkritikenPressfrisch

GIANT SKELETONS – Von Belkinrode nach Bellingroth

~ 2021 (Independent) – Stil: Cinematic Electronica ~


Vor anderthalb Jahren hat Soundtüftler Norbert „Nico“ Walser mit seinem Projekt GIANT SKELETONS die „Music Of Water, Wood And Bones“-Trilogie abschließen können. Auch im finalen Teil ´Warden Of The Humming Skies´ ließ er die Electronica im CinemaScope-Format aus den Boxen vibrieren.

Aktuell erweitert er dieses Format um Geräuschkulissen, um Naturaufnahmen und um gewöhnliche Klänge unserer Zivilisation. ´Von Belkinrode nach Bellingroth´ ist daher eine echte Audio-Geographie geworden, über die Periode als der Ort Belkinrode erstmals 1280 erwähnt wird bis hinein in die Gegenwart als Ortsteil von Engelskirchen.

Nico Walser porträtiert seinen Wohnort Bellingroth als Teil der Gemeinde Engelskirchen im Oberbergischen Land, nicht unweit zu Köln, und lässt sich dabei von Schöpfern wie Karlheinz Stockhausen, einem der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, und Conny Plank, einem der bedeutendsten Musikproduzenten und Toningenieure, inspirieren. Ersterer verbrachte seine letzten 41 Jahre im 30 km entfernten Kürten, letzterer hatte im 25 km entfernten Wolperath, Neunkirchen-Seelscheid, sein Studio.

Das Leben beginnt im Wasser. Menschen siedeln sich am Wasser an. Auch für Belkinrode begann alles am Wasser. Der Walbach ist in der Eröffnung ´Am Wehr, ein Fließen´ zu hören. Das Wasser plätschert, die Grillen zirpen und Nico Walser spielt dazu eine leichte Klaviermelodie. Dunkelheit umschließt im Anschluss die ´Passage zum Korallengrund´. Dunkle Ambient-Klänge charakterisieren den Weg in die „Aggertalhöhle“, in der vor 300 Millionen Jahren noch Korallenriffs gediehen. Millionen Jahre später spielt Nico Walser wieder Klavier und geht den ´Geheimnissen des Buchbinders´ nach. Ein Antiquariat in Ründeroth ist seine nächste Anlaufstelle, in dem mit über hundert Jahre alten Werkzeugen noch traditionell Bücher gebunden werden. Die Synthesizer-Klänge fangen an, sich zu zerstreuen.

Wieder in der Natur, zwitschern die Vögel und knarrt das Holz. Ein Uhu meldet sich. Altertümliche Klänge tanzen zu ´Die Zeit der liegenden Bäume´ auf, ehe pulsierende Synthesizer das natürliche Leben ablösen. Die Kettensäge nimmt umgehend ihre Arbeit auf, das Klavier stößt dramatisch hinzu, ein letzter Vogel kräht. Nicht weit hiervon entfernt dreht sich ein Spinnrad. In der Baumwollspinnerei ´Spinnen´ sie seit Jahrhunderten und das Klavier spielt dazu.

Das Telefon will sich verbinden, ein Modem baut die Verbindung auf. Es hört sich nach modernerer Arbeit an. Doch erneut sind es althergebrachte Klänge an der Gitarre, die die ´Stahl Sinfonie´ einleiten. Geradezu tänzerisch klingen die Töne aus den Stahl verarbeitenden Anlagen. Klaviermelodien, Bontempi- und Flipper-Klänge – Stahl schlägt auf Stahl bis synthetische Klänge die Sinfonie anschwellen lassen. Mit Klängen im Sinne von KRAFTWERK und dem wenigen Gesang von Nico Walsers Sohn im Sinne von DAF begeben wir uns an ´51766 Nicht-Orte´, also hin zu rein zweckmäßigen Orten wie Autobahn-Kreuzen oder Eisenbahnbrücken mit der Hommage an Karlheinz Stockhausens „Gesang der Jünglinge“. Wer sich hier länger aufhält, braucht gute Gesellschaft oder verkommt. Lieber direkt weiter nach 51766 Engelskirchen.

Die kurze ´Sonate für Klavier & Laubbläser´ hat nicht nur ein Klavier und einen Laubbläser von Kärcher, sondern auch Hundegebell im Programm. Denn gesaugt wird heutzutage nicht mehr, es wird nur geblasen. Früher war ohnehin alles besser, auch die Partys, an die in ´All Yesterday’s Parties´ mit Schunkelstimmung gedacht wird. Bei VELVET UNDERGROUND hieß es noch ´All Tomorrow’s Parties´. Nicht nur in Engelskirchen ist jedes Narrenfest abgesagt.

Das Klavier bringt uns zu spielenden Kindern. Es gibt ´Abenteuer auf dem Hof´ zu erleben. Die Töne wachsen, einem Kirchenstück angemessen, pompös heran, bis eine Klingel das Spiel beendet. Sodann schreiten wir über Wiesen und Felder zum Weiher in Kaltenbach. Zur perlenden Melodie sind die Vögel zu hören. Es wird eine ´Nacht am Weiher´. Ein letzter Blick in die Natur. Steinkauz und Rotmilan, die Tiere und die Pflanzen erobern sich die Buntmetall-Erzgrube Castor zurück. ´Stille fällt auf Castor´, allein die Wildbienen summen und das Wasser plätschert am Bach. Erst Klavier, dann Synthesizer, eine letzte, wehmütig in die Zukunft blickende Sinfonie spielt auf: ´Wohin der Fluss uns führt…´.

Wohin führt uns der Fluss? Was hält die Zukunft bereit, für die Natur, für die Pflanzen und Tiere sowie für den Menschen?

13 Stücke, 50 Minuten – die Audio-Geographie ´Von Belkinrode nach Bellingroth´ gibt zumindest Auskunft über die Vergangenheit und wurde für Entdecker und Klangcollagen-Liebhaber von GIANT SKELETONS erschaffen.

 

https://www.facebook.com/nico.walser.5

https://giantskeletons.bandcamp.com/album/von-belkinrode-nach-bellingroth-an-audio-geography