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IVANHOE – Blood And Gold

~ 2020 (Massacre Records) – Stil: Prog Metal ~


Eine Prog Metal-Formation hat es in diesen Tagen nicht leicht. Die einstigen Flaggschiffe erschaffen keinesfalls mehr die benötigten, wichtigen Klassiker-Alben. Somit wendet sich die breite Masse langsam ab. Die kleinen Formationen rücken daher weit weniger in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.

Die deutschen IVANHOE sind zumindest eine der Konstanten in der hiesigen Szene. Doch auch sie heimsen nicht die gebührende Aufmerksamkeit ein, gehörten sie schließlich bereits Mitte der Neunzigerjahre zum Besten des Prog Metal. Zahlreiche Besetzungswechsel trugen selbstredend nicht zu einer gleichbleibenden Musikergemeinschaft bei. Für Sänger Alexander Koch (ex-POWERGOD, -SCENES) ist es ebenso wie für Schlagzeuger Mathias Biehl aktuell das zweite Album mit der Band, allein für Urgestein/Bassist/Produzent Giovanni Soulas hingegen bereits das achte, Gitarrist Chuck Schuler war nämlich zwischendurch auf Abwegen.

2020 präsentieren IVANHOE geschlossenere Kompositionen als es der Durchschnittshörer bei Prog Metal erwartet. Vier- und fünfminütige Kompositionen versprechen bereits in dieser Hinsicht eine zielgerichtetere Ausdrucksweise. Gleichwohl sprudeln von Beginn an die solistischen Einlagen in echter Spielfreude geradezu über, ein Gitarrensolo auf direkter Fahrspur von MARILLION geht im Keyboard-Konsens über in instrumentale DREAM THEATER-Sphären (´Midnight Bite´). Da entpuppt sich Keyboarder Richie Seibel gar als echter Old-School-Proghead (´Broken Mirror´) und die Instrumental-Abteilung überlässt überraschend ihren Solo-Abschnitt lieber einer gesungenen Bridge (´Martyrium´).

Der Opener ´Midnight Bite´ bittet folglich jeden herein, der den klassischen Prog Metal der Neunzigerjahre heiß und innig liebt. Dagegen beginnt ´Broken Mirror´ etwas düsterer, um von Steigerung zu Steigerung in das strahlende Licht zu gleiten. Ein ´Blood And Gold´ stellt den Rahmen einer Power Metal-Atmosphäre zur Begutachtung auf, wenngleich innerlich eine wunderbare Prog Nummer auflodert. Dem schließt sich ´Martyrium´ ebenfalls an und setzt den großen Ohrwurm-Refrain des Werkes obendrauf. Das ist das neue Ich von IVANHOE.

Außergewöhnlich ist das Duett mit Yvonne Luithlen im kurzen Akustiksong ´Fe Infinita´ sowie ´If I Never Sing Another Song´, der ursprünglich von Udo Jürgens geschrieben wurde. Dieser traumhafte Monumentalsong entstand in den 60ern zuerst unter dem Titel ´Illusionen´, ehe er in der englischen Fassung von Frank Sinatra an Sammy Davis Jr. weitergereicht wurde, der aus ihm einen Welthit schuf.

´Solace´ beginnt eher balladesk, zeigt dann – so wie einiges Andere – Verbindungen zum Sound von CONCEPTION und stellt wie ´Shadow Play´ zum Genuss einen getragenen Refrain bereit. Den Schlusspunkt setzt ´Perfect Tragedy´ unter ein ausgezeichnetes Album.

IVANHOE sind selbst in der zweiten Dekade des Jahrhunderts ein Garant für phänomenales Liedgut.

 

(8,5 Punkte – Michael Haifl)

 

 

Progmetal at it’s best. Schon das Anfangsdoppel ´Midnight Bite´ und ´Broken Mirror´ lässt keine Wünsche offen: Griffiger Dramarefrain, fette Riffs, Gitarrenmelodien inklusive kleinem SAGA-Anklang und mit Alexander Koch ein Sänger, der ganz leicht an ARENA erinnert. Mit ihrem achten Werk loten IVANHOE alles zwischen Progrock-und Metal aus und sind eines nicht: vorhersehbar und risikounfreudig. Make it or break it heißt die Devise.

Die Gitarren von Lars Vögtle und Chuck Schuler stehen zwar eindeutig im Vordergrund, lassen Keyboarder Richard „Richy“ Seibel aber genügend Platz, seine Klasse zu entfalten. Die Baden-Württemberger hatten letztes Jahr ihr 25-jähriges Langspieler-Jubiläum und das feiern sie auf dieser Scheibe. Aber sowas von. Das kurze, feine ´Fe Infinita´ ist ein träumerisches Ballädchen mit der samtzarten Stimme von Yvonne Luithlen als Gastsängerin.

Der druckvoll nach vorne schwebende Titeltrack verdeutlicht abermals die Stärken dieser Band im spieltechnischen Bereich als auch Songwriting mit unaufdringlichen Soloeskapaden, die einfach Spaß machen anstatt anzustrengen. Mit dem ´Martyrium´ befriedigt Drummer Mathias Biehl (Bernd Heining gehört nun jedoch zum aktuellen Line-up) die Proggemeinde, die es gerne etwas verschachtelter und rhythmisch vertrackter mag, morpht jedoch auch hier in einen wunderbaren Refrain und lässt danach die Gitarren sprechen. Alexander darf hierbei eine aggressivere Gesangesweise an den Tag legen, die ihm auch gut zu Gesichte steht.

Sehr mutig erweist sich ´If I Never Sing Another Song´, mit dem wir beim Eurovision Songcontest mal wieder eine Chance hätten, ebenso setzt ´Solace´ anfangs auf ruhige Töne, bis es sich zu einer unglaublichen Progmetalhymne auswächst, die locker neben Highlights von PAIN OF SALVATION bestehen kann. Gerade hier brilliert der Bass von Urgestein Giovanni Soulas mit herrlichen Läufen. Entspannt verführt das ´Shadow Play´ zum Zuhören, die famosen Melodielinien erinnern an Glanztaten von VANDEN PLAS und obendrein gibt’s ein von Andreas Musch gespieltes, warmes Saxofon. IVANHOEs Magnum Opus ´Perfect Tragedy´ beinhaltet eine Bewerbung für kommende James Bond-Filme, mit seiner kleinen Reminiszenz an das klassische Thema und auch die Strophen von ´Golden Eye´, bevor alle Register zwischen zart, mystisch, stimmungsvoll und hart gezogen werden. Danach verbleibe ich in Gedanken … with nothing left to say.

Für mich stellt sich die Frage nach dem perfekten Album der Bandhistorie. Was soll da noch besser gestaltet, arrangiert und umgesetzt werden? Eine erwachsene Band, die bis auf ihre große Durststrecke zwischen 1997 und 2005 konstant großartige Alben veröffentlicht, verdient nur eines, bevor sie trotz grandioser Outputs das Schicksal von Ausnahmecombos ereilt wie RA’S DAWN, die sich im selbst auferlegten Koma befinden, oder LANFEAR, die sich kürzlich endgültig beigesetzt haben und – bis auf ihr großes Vermächtnis in meinem Metal Heart – komplett von der Bildfläche verschwunden sind:

 

(9 goldene Punkte wallenden Blutes – Less Leßmeister)