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LIZZY BORDEN – My Midnight Things

2018 (Metal Blade Records) – Stil: Modern US Hardrock


Hallo Freunde und Mitmetaller. Ich verstehe euch. Man darf dieses Album NICHT mögen. Man darf sich als waschechter Metalfan nun von LIZZY BORDEN abwenden. Doch man kann es auch als absolutes Autofahr-Sommer-Sonne-Frauenalbum genießen und zelebrieren. Tja, was ist los mit mir? Wieso gefällt mir das Ding so gut außerhalb des Faktums, dass Karin spontan jedes Lied mitsingt und gute Laune bekommt? Antwort: Die Achtziger. Killroy was here und ich war auch da. Ich habe die Siebzigerdinosaurier mit Hitversuchen und fabelhaft klebrigen Keyboardsounds erlebt, eine neue Welle elektronischer Popmusik entstehen sehen und im Radio und auf MTV hochtoupierten Hardrock gehört. Ich habe es überlebt. Und vieles davon hat mir sogar gefallen.

Und nun zu LIZZY: Vielleicht will er kalkulierten Erfolg, vielleicht gefällt ihm das, was er heuer macht, so gut wie mir. Er allein weiß es und befindet sich damit in der Schnittmenge zwischen modernem Metal, catchy Hardrock-Refrains und Ballädchen. Neben typischen LIZZY BORDEN-Nummern (‚The Perfect Poison‘) ist da auf der einen Seite die Unbekümmertheit eines DAVID LEE ROTH (‚Long May They Haunt Us‘), auf der anderen der Einfluss moderner Schockrocker wie MARILYN MANSON (‚Our Love Is God‘). U2 treffen auf SNIFF’N’THE TEARS bei einem Hairmetalkongress (‚Run Away With Me‘). Die Basis des Ganzen bildet dieses seelenlose Chartrhythmusgerät, welches hier jedoch einfach zum Gesamtkontext passt. JUDAS PRIEST, ALICE COOPER und anderen nimmt man das heute auch nicht mehr so übel wie damals am Puls der Zeit.

Ab Track No.9 wird es richtig kuschelig. Für unsere Mädels oder meine Weicheiseite werden balladeske Reprisen vom senkrecht nach vorne startenden Opener und Nummer Drei nachgeschoben, die sich als recht stimmungsvoll erweisen. ‚We Belong To The Shadows‘ fängt das strahlendste Licht eines E.L.O. Hits ein und Weihnachten im Sommer bei den BORDENs mit einer komplett eigen umarrangierten, umharmonisierten Version von ‚Silent Night‘ klingt durch den ‚Master Of Disguise‘ schier brillant, sodass die Frage nach dem ‚warum?‘ in den Hintergrund rückt. Wenn danach einer aus ‚Waiting In The Wings‘ eine Drum & Bass-Nummer machen will, dann bitte aber nur LIZZY selbst. Selbst die funktioniert bei mir als Fan von obskuren Coverversionen.

Ich überrasche mich selbst mit meiner Zuneigung für das Werk, vielleicht ist es wieder diese flauschig-flockige Übergangszeit zwischen Frühlingsgefühlen und Biergartenlust, wer weiß? But it’s only Rock’N’Roll…and I like it.

(8 versöhnliche Punkte)

Less Leßmeister

 

Deine Frühlingsgefühle und Biergartenlust in Ehren, lieber Less, aber diese versöhnlichen 8 Punkte kann ich beim besten Willen nicht so stehenlassen. Keine Ahnung, welche Sorte Hafer Mister Borden bei der Entstehung dieses Albums gestochen hat, Hörens- oder gar Bezahlenswertes ist daraus nicht entstanden. Eine klischeetriefende Belanglosigkeit reiht sich an die nächste, schon im eröffnenden Titelstück haut uns die (ehemalige) US Metal-Größe die Fires und Desires um die Löffel, dass man sich selbige am liebsten abschrauben würde. Der dünne Sound samt Drumcomputer-Desaster machen auch die kleinsten Anflüge von guter Laune zunichte. Wenn sich hintenraus dann noch Modern-Metal-Anwandlungen ihren Weg aus den Boxen bahnen, ist die weiße Flagge innerlich längst gehisst. Happy-Mumpitz ohne Rücksicht auf lästige Qualitätsansprüche. Kann man machen. Darf man auch hören. Nur lieber bei geschlossenem Schiebedach. Verzeih mir, Karin!

(3 Punkte)

Ludwig Krammer

 

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