Redebedarf

TRIPTYKON – TOM G. WARRIOR

Einmal Hölle und kein zurück


Mit ‚Melana Chasmata‘ haben Thomas Gabriel Fischer und seine Band TRIPTYKON dem 2010er-Debüt ‚Eparistarea Daimones‘ einen ebenbürtigen Nachfolger zur Seite gestellt: Dunkle, intensive Musik, ein Album, das dem Hörer 68 Minuten Konzentration abverlangt – um ihn mit enormem Detailreichtum und songschreiberischer Reife zu belohnen.

Für Streetclip nahm sich Tom G. Warrior ausgiebig Zeit, um über seine Musik und sein Leben zu reden.

Tom, wie sind die ersten Reaktionen auf Melana Chasmata?

“Die Reaktionen sind zu 99 Prozent fantastisch, was ich nicht erwartet habe, weil ich dem Album extrem kritisch gegenüberstehe. Für mich war’s kein leichtes Album und ich hab auch meine Vorbehalte.”

In welcher Hinsicht?

“Melana Chasmata war ein Album, das extrem schwierig zu produzieren war. Zum einen  auf der musikalischen und technischen Ebene, weil es sehr komplex ist. Zum anderen auf der persönlichen Ebene wegen gewisser Vorfälle in unserem Privatleben, die wir zuerst bewältigen mussten. Das Album reflektiert für uns drei Jahre einer ganz schwierigen Zeit. Damit trägt es natürlich für mich viel Ballast mit sich. Hinter den beiden letzten Alben (‚Monotheist‘ und ‚Eparistarea Daimones‘, d. Red.) konnte ich zu hundert Prozent stehen, bei diesem Album bin ich kritischer, nicht nur wegen des Schlagzeugsounds, der mir zu klinisch geraten ist.“

Willst Du über die erwähnten “gewissen Vorfälle” reden?

“In diesem Rahmen lieber nicht. Gewisse Dinge sollten privat bleiben. Außerdem würde es mir komisch vorkommen, ein Album mit persönlichen Tragödien zu promoten. Das machen normalerweise Reality-TV-Stars und Soap-Darsteller. Für unsere Szene ziemt sich das nicht.“

Ich habe im Netz gelesen, es sei um Deine Beziehung gegangen, auch der Begriff „Stalking“ fiel, deshalb habe ich die Frage gestellt.

“Alle diese Dinge sind wahr, dazu gab’s noch einiges anderes. Ich war auch noch ziemlich schwer krank und so weiter, das waren schwerwiegende Dinge. Ich mache hier nicht aus einer Mücke einen Elefanten. Mein Leben, wie es jetzt ist, hat sich grundlegend verändert, es hat überhaupt nichts mehr damit zu wie es vor vier Jahren war. Und das will schon was heißen.”

Wie geht es Dir aktuell?

“Es hat sich jetzt stabilisiert, aber mein Leben hat sich – ohne dass ich es steuern konnte – in eine ganz andere Richtung entwickelt. Und ich bin immer noch dran, das irgendwie zu bewältigen, zu verarbeiten, wenn das überhaupt möglich ist. Es ist ein täglicher Kampf.”

In einem ausführlichen Interview mit dem Schweizer Radiosender SRF 3 (http://www.srf.ch/sendungen/focus/tom-gabriel-fischer-metal-legende-ich-suche-den-tod) sagte Tom am 1. Mai: „Der Tod ist eines der wenigen Dinge, das uns alle eint. Für mich ist er eine Befreiung, ähnlich wie die Musik – eine Erlösung, ein Schlaf, der endlich Frieden gibt. Ich wäre definitiv nicht mehr da, wenn’s meine Freundin nicht gäbe, dann wär‘ ich seit eineinhalb Jahren tot. Die Liebe, die wir uns gegenseitig geben, ist was Wunderschönes.“

Inwiefern hast Du die Probleme durch die Arbeit am neuen Album lindern können?

“Naja, wenn du ein ehrlicher Musiker bist und deine Musik aus deinen Emotionen stammt, dann findet das natürlich Eingang in deine Arbeit. Meine Musik war und ist immer auch ein Ventil. Und das neue Album ist ganz schwer geprägt von diesen Dingen. Und, wie gesagt, ich war ja auch nicht der einzige in der Band, der mit persönlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Ich denke, das hört man und das erschließt sich auch aus den Texten. Melana Chasmata ist wahrscheinlich das persönlichste und intimste Album, an dem ich je beteiligt war. Es ist massiv intimer und privater als das erste TRIPTYKON-Album…

…’Eparisterea Daimones‘, das Du als „Orgie des Hasses“ beschrieben hast. Im Vergleich dazu klingt ‚Melana Chasmata‘ kontrollierter.

“Lass ich gelten, auch wenn mir das Wort ‚kontrolliert‘ im Metal-Kontext nicht wirklich gefällt, weil ich eine gewisse Unkontrolliertheit sehr wichtig und geil finde. Metal ist ja in seiner Essenz eine anarchistische Musik, die viel vom Punk mitgenommen hat. Für mich ist die größte Veränderung, dass das neue Album ein bisschen stiller ist – von der Atmosphäre her. Das erste Album war eine Explosion, eine Verarbeitung meiner Frustration, meines Schmerzes, meines Hasses nach dem Zusammenbruch von CELTIC FROST. Das zweite Album hat mehr einen künstlerischen Approach, auch wenn es genauso dunkel ist.”

‚Aurorae‘, einer Deiner erklärten Lieblingssongs auf dem Album, fällt mit seinem New-Wave-Charakter ziemlich aus dem Rahmen. 

“Jein. Wenn man CELTIC FROST mit einbezieht, und TRIPTYKON ist ja die Fortsetzung von CELTIC FROST, dann gab es da schon einiges an Material, das in diese Richtung ging. ‚Aurorae‘ ist nur durch die Metalbrille gesehen sehr außergewöhnlich. Aber ich finde, man darf durchaus mal die Form zerbrechen und was anderes machen.”

Volle Zustimmung. Wer waren Deine größen Einflüsse aus der New-Wave-Szene?

“FIELDS OF THE NEPHILIM, SIOUXSIE AND THE BANSHEES, BAUHAUS, all diese Bands waren in den achtziger Jahren ein großer Einfluss für uns. Wir waren immer eine Band, die offen gesagt hat, wie sehr wir den New Wave lieben. Heute ist Gothic leider zum Schimpfwort verkommen, weil es auch viel Schlechtes gibt. Aber in den frühen achtziger Jahren war New Wave eine unglaublich vitale Szene voller neuer Ideen.”

Stimmt es, dass du die nächsten drei TRIPTYKON-Alben bereits konzipiert hast?

“Ja natürlich. Die Alben sind bereits durchdesignt, die Titel sind bestimmt. Und es ist auch klar, in welche Richtung es musikalisch gehen wird. Je konkreter ich etwas vor mir habe, desto leichter fällt es mir, darauf hinzuarbeiten. Ich arbeite nicht gerne ins Blaue hinein, sondern ich weiß gerne sehr detailliert, auf was ich zusteuere.”

Kannst Du musikalisch schon was verraten?

“So wie ich jetzt gerade empfinde und schreibe, möchte ich zwar ein extrem dunkles Album machen aber schon mehr in Richtung HELLHAMMER, brachialer, archaischer und vielleicht nicht ganz so variiert wie das jetzige Album ist.”

Das wird viele alte Fans freuen. Inwieweit sind TRIPTYKONs Uptempo-Songs, wie ‚Breathing‘ von ‚Melana Chasmata‘ oder ‚A Thousand Lies‘ vom ersten Album, auch ein Zugeständnis an die langjährige Anhängerschaft, die sich immer noch eine zweite ‚Morbid Tales‘ wünscht?

“Es ist ein Zugeständnis an mich selber, auch wenn mir die Leute das vielleicht nicht glauben. Wenn du Musiker bist, werden dir ja ständig irgendwelche Motive unterstellt von Menschen, die keine Ahnung haben, wie du emotional funktionierst. In Wirklichkeit ist es so, dass ich die Musik in erster Linie für mich selbst schreibe. Ich schreibe die Songs, die mir Spaß machen, die mich bewegen. Wenn sich das mit dem Geschmack des Publikums trifft, dann ist es fantastisch, wenn nicht, ist es unglücklich, aber so ist es halt. Ich würde mich jedenfalls nie hinsetzen und sagen ich schreib jetzt einen HELLHAMMER-Song, weil ich damit die Leute auf meiner Seite habe. Das wäre ja oberpeinlich. Ich bin nicht Dieter Bohlen.”

Inwiefern verspürst Du noch Druck, von Album zu Album immer besser werden zu müssen?

“Es ist schon ein Druck da, aber der kommt von mir selber. Ich habe sehr hohe Qualitätsansprüche, im Studio bin ich erbarmungslos – auch mir selbst gegenüber. Was von Außen kommt, ist mit einerlei. Immer noch einen draufsetzen, das war in den frühen Jahren von CELTIC FROST so, heute nicht mehr. Ich will nicht mit jedem Album etwas Neues beweisen. Ich möchte qualitativ hochstehende Alben machen, die mir persönlich gefallen. Das ist alles.”

Könntest du als rundum glücklicher Mensch kreativ sein?

Nein, das hab ich mal versucht und das endete in einer Katastrophe. Bei gewissen Leuten lebt die Kunst – auch wenn es jetzt vielleicht hochgestochen klingt – von Schwierigkeiten, von Tragödien. Absurderweise macht mich das Endresultat, die fertige Musik dann glücklich, das beschreibt also immer einen Kreis.”

Hattest Du in Deiner Karriere als Musiker irgendwann Minderwertigkeitskomplexe – in die Richtung: Eigentlich wären ja Jazz oder Klassik viel geiler?

“Minderwertigkeitskomplexe trifft es nicht, aber ich weiß, worauf Du anspielst. Der Gedanke, sich nicht ins Metal-Gefängnis sperren zu lassen, war seit den frühen CELTIC FROST-Tagen da. Man sagte uns immer, es wäre unmöglich, Jazz-Einflüsse auf einem Metal-Album zu verarbeiten. New Wave? Passt nicht. Violinen? Frauenstimmen? Auch nicht. Wir haben gesagt: Bullshit! Natürlich kann man das! Wir sind ja in diese Musik gekommen, eben weil sie anarchistisch ist, weil sie sich der Zensur erwehrt hat. Und dann sollen wir uns selbst zensieren? Das wäre der Gipfel der Absurdität.”

Du wirst den Metal also nie hinter Dir lassen.

“Nein. Ich bin an unheimlich vielen Dingen interessiert, aber harte Musik ist und bleibt mein Lebensinhalt. Ich hatte nie den Wunsch, allen gefallen zu wollen, das wäre furchtbar. Wenn ich die Gesellschaft anschaue und sehe, auf welchem Niveau man sein muss, damit man allen gefällt… da möchte ich möglichst weit davon weg sein.”

Welche Musik hörst Du im Moment, was kannst Du empfehlen?

“Ich höre aktuell Sachen wie Quincy Jones, Dave Brubek, Bob Dylan, Pink Floyd, weil ich nach diesen dreieinhalb Jahren Arbeit am neuen Album unbedingt einen frischen Atemzug brauche und Distanz gewinnen muss für meine Seele. Von daher bin nicht in der Lage, was Neues zu empfehlen, weil ich selbst erst runterkommen und mein Gleichgewicht wieder finden muss. Ich spiele jetzt auf der Bühne und im Proberaum pausenlos unsere Songs, deshalb höre ich in meinem Privatleben was ganz anderes. Das wird sich ein paar Monaten wieder ändern, ich kenne diese Phasen.”

Was war die letzte härtere Platte, die Dich beeindruckt hat?

Das letzte, was mich zutiefst beeindruckt hat, war die australische Band PORTAL, die hab ich gehört, als wir mit TRIPTYKON im Studio waren. Das hat mich getroffen wie ein Hammer, das ist radikal. Da muss man mit allem Respekt sagen: Hut ab! Diese Kompromisslosigkeit ist genau das, was ich im Metal sehe, PORTAL gefallen mir sehr.

Und wie siehst Du mit etwas Abstand das Album-Comeback deiner großen Inspiratoren BLACK SABBATH?

“Ich bin als lebenslanger Fan, der die Band zum ersten Mal 1975 gehört hat, sehr enttäuscht – leider. Man kann nicht sagen, dass es eine schlechte Platte ist. Aber es kommt mir vor wie BLACK SABBATH in der Art von Malen nach Zahlen – alles nach Vorgabe, eine Band auf Autopilot. Wenn man schon die ganze Produktion über verkündet, dass man wieder so klingen will wie in den Anfangszeiten, dann möchte ich das dem fertigen Album auch anhören. Aber gut, es ist so wie es ist. Und ob BLACK SABBATH auf die Meinung des kleinen Tom gewartet haben, das wage ich auch zu bezweifeln (lacht).

Wie würdest Du den aktuellen Zustand der Musikindustrie beschreiben?

“Nach vielen Jahren, in denen die Musikindustrie durch eigene Ignoranz und Aktionen von Außen komplett zerstört wurde, zeichnet sich jetzt zum ersten Mal ein gewisser Stillstand ab. Ich will jetzt noch nicht von Verbesserung reden, aber die Zerstörung verlangsamt sich. Und es könnte schon sein, dass diese Industrie den Dreh langsam findet.”

Die Digitalisierung hat die Wertschätzung der Musik nicht gesteigert, im Gegenteil.

“Ja, der Stellenwert der Musik ist absurd gering. Es würde niemand arbeiten gehen, ohne einen Lohn zu kriegen, aber von Musikern erwartet man das, obwohl ein Album unendliche Arbeit beinhaltet. Diese Zweischneidigkeit der öffentlichen Meinung, die macht mir manchmal schon ein bisschen Mühe.”

Dein Tipp an junge Musiker?

“Es geht darum, ob du als junger Musiker was Ehrliches, was Authentisches machst, oder irgendetwas kopierst, was schon zehntausend Mal da war. Mit anderen Worten: Hast du wirklich was zu sagen oder maßt du dir nur an, dass du was zu sagen hast? Diese Frage muss du für dich ehrlich beantworten. Ich bin davon überzeugt: Wenn du wirklich was zu sagen hast, wenn du dir Mühe gibst, deine Arbeit gut ist und das sprichwörtliche Feuer in dir brennt, dann wirst du auch wahrgenommen werden. Dann hast du auch heutzutage noch ne Chance. Aber insgesamt betrachtet muss man schon sagen: Es ist nach wie vor unheimlich schwierig, als Musiker seine Projekte voranzutreiben und von der Musik zu leben.”

Wie lebt Ihr davon?

“Das geht niemanden was an. Aber sagen wir mal so: Im Bereich des Möglichen haben wir alle Kontrolle an uns rangeholt. Wir haben unseren eigenen Musikverlag, der unsere Songs verlegt, wir haben unsere eigene Plattenfirma und können alles selber bestimmen: Deadlines, Studio, Kosten, Produzenten. Das fertige Produkt lizenzieren wir dann an unseren Partner Century Media. Und das ist die einzige Art und Weise, wie du in dieser Zeit meiner Meinung nach noch ne Band betreiben kannst. Wenn du deine Seele an eine Plattenfirma verkaufst, dann brauchst du gar nicht erst zu hoffen, dass du jemals auf einen grünen Zweig kommen wirst. Man muss den Mut haben und die Energie, das Ganze selbst zu betreiben, die Infrastruktur zu kontrollieren. Dann hat man eine realistische Chance, vielleicht ein bisschen was reinzuholen.”

Du hast mit CELTIC FROST in dieser Hinsicht alle Tiefen erlebt…

“Ja, wir sind in den achtziger Jahren von Plattenfirmen komplett betrogen worden, das geschieht dir einmal und nie wieder. Und als wir CELTIC FROST Anfang der 2000er reformierten, haben Martin (Ain, d.Red.) und ich gesagt: Lass uns diese ganze Sache neu aufziehen. Wir treten gegenüber der Plattenindustrie als Geschäftspartner auf und nicht als Sklaven oder Bittsteller, das war der einzige richtige Schritt. Es kotzt mich zwar an, weil ich eigentlich Musiker bin und ich hasse es, dass ich von der Musikindustrie gezwungen werde, Geschäftsmann zu werden. Ich hasse das zutiefst, aber ich hab’s gemacht, weil ich nicht will, dass meine Musik von irgendwelchen Leuten am Schreibtisch versaut wird und ich dann auch noch beklaut werde.”

Was bedeutet Dir Geld?

“Nicht viel, ich bin überhaupt nicht materialistisch. Wenn ich auf Tour bin, passiert es mir ab und zu, dass Fans kommen und sagen: Hey, Du fährst ja inzwischen sicher einen Rolls Royce. Da muss ich innerlich lachen. Mir geben Statussymbole und Luxus überhaupt nichts. Ich hab mein Mountainbike und damit bin ich unheimlich happy. Und meine Bücher natürlich. Bücher sind mein Luxus.

Eine Einstellung, die gerade wieder in Mode zu kommen scheint.

“Mag sein, ist mir egal. Ich verabscheue den Kapitalismus. Ich verabscheue ein System, das auf Gier basiert, auf dem Nie-Genug-Haben. Jedes Jahr muss mehr Wachstum generiert werden, das ist destruktiv und unendlich egoistisch. Ich bin in dieses System reingezwängt in Europa, aber so weit es geht, will ich kein Teil davon sein.”

Was wäre aus Dir geworden, wenn es mit der Musik nicht geklappt hätte? Ich weiß von Deiner Begeisterung für die Fliegerei.

“Ja, ich hatte eigentlich vor, Flugzeugmechaniker zu werden. Gewisse Schritte in diese Richtung hatte ich auch schon getan. Es kam dann anders und jetzt ist die Luftfahrt und gerade auch die Geschichte der deutschen Luftfahrt ein ganz wichtiges Hobby für mich. Ich stehe jetzt gerade vorm Büchergestell mit unzähligen Büchern über die deutsche Luftfahrt, das ist ein lebenslanges Steckenpferd von mir.”

Selbst den Pilotenschein zu machen – ist das ein Ziel für Dich?

“Nein, das scheidet aus. Mir fiel es immer schwer, in der Schule still zu sitzen und zu lernen. Um Pilot zu werden, müsste ich sehr diszipliniert einige Kurse machen, das ist nicht mein Ding. Ich hab Probleme mit Autoritäten, mit Lehrpersonen – Probleme, wenn man mir sagt, was ich zu tun habe. Und deshalb waren Schule/Ausbildung und Tom immer Gegensätze. Das wird sich nicht mehr ändern.”