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PHILM – Harmonic

~ 2012 (Ipecac Records) – Stil: Experimental Rock/Metal ~


Gerry Nestler hat sich schon vor zwanzig Jahren durch die beiden Meisterwerke mit CIVIL DEFIANCE in den Geschichtsbüchern verewigt. Danach gab es weitere Projekte wie KKLEQ MUZZIL und seine Beteiligung bei SUPER RIDER und LOOK PAST THE STARS, aber nichts Essentielles und Beständiges. Dave Lombardo, der zweite Mann des explosiven Trios PHILM, wurde wahrlich mit der Thrash-Kapelle SLAYER berühmt, saß aber zwischenzeitlich hinter dem Schlagzeug von vielen anderen Bands (GRIP INC, FANTÔMAS u.a.). Auch beim einzigen KKLEQ MUZZIL Album `M` (aus dem Jahre 2000) haben die beiden schon kurzzeitig zusammen gearbeitet und Nestler hat gleich drei KKLEQ MUZZIL Songs (`Dome`, `Amoniac` und `Meditation`) hier zu PHILM mitgenommen, da PHILM ursprünglich aus der Asche von KKLEQ MUZZIL entstanden war. Komplettiert wird das Trio Infernale durch Pancho Tomaselli am Bass (WAR). Der Legende nach feilen Nestler und Lombardo schon seit fünfzehn Jahren an diesem Bandprojekt, doch erst im Jahre 2010 ging es mit kleineren Gigs in L.A. (Troubadour, Roxy, Whisky) und einer Mini-Tour im Vorprogramm von ROB HALFORD richtig los. Die Songs konnten in dieser Zeit ausgiebig live erprobt Songs werden, so dass nur noch der „violent, chaotic and intense“ Live-Vibe ins Studio transferiert werden musste.

Dave Lambardo spielt auf `Harmonic` locker und frei auf. Experimentelle und Free-Jazz Bezüge lassen am ehesten noch ansatzweise einen Vergleich mit seinem Spiel bei GRIP INC zu. Gerry Nestler lässt dem Bass von Tomaselli viel Raum und zeigt trotzdem seine auch von CIVIL DEFIANCE bekannten Gitarrenläufe auf. Nestlers Gesang ist hingegen im Gegensatz zu CIVIL DEFIANCE Zeiten rauer geworden, was vielleicht den dazwischen liegenden Jahren geschuldet sein mag, obwohl bei KKLEQ MUZZIL das Geschrei sogar noch extremer war. Oder Nestler lotet bei PHILM seine vokalen Grenzen aus, da das von CIVIL DEFIANCE bekannte Stilmittel, die gerne melodisch gesungene Bridge geht in einen heftig und oft gar geschrienen Refrain über, hier noch extremer durchexerziert wird. Auch wenn die Musik dadurch oft in straighte Noise-Rock Bereiche abzudriften scheint, wie beim Opener `Vitriolize` („I shall summarize like a wave, into the distance, are you feeling now, these days recorded, runaway, runaway“), lassen Nestler, und auch insbesondere Tomaselli mit seinem vollkommen mitreißenden Bass-Spiel, die Melodie nicht zu kurz kommen. Songs mit fast thrashigem Riffing wie `Mitch` („Colors are to burn, colors are us over now; sorry is a word, is this death to love, holding on to our generation”) wechseln sich mit an CIVIL DEFIANCE heranreichenden Songs (`Hun`, `Held In Light`) oder auch wahren Groove-Monstern wie `Amoniac` (“Where did you buy your affection, development; power; a third below; demonstrate; essential feeling”) ab. Dazwischen gibt es aber auch relaxtere Parts wie im instrumentalen Song `Harmonic` zu bewundern, der im Anschluss an das bedrohlich ruhige `Way Down` aber eher wie die Ruhe vor dem folgenden Sturm wirkt und eine beängstigende Atmosphäre schafft.

Jedes Lied hat seine besondere Note und kein Ton auf dem Album scheint unnütz festgehalten und aufgenommen worden zu sein. Alte CIVIL DEFIANCE Anhänger müssen folglich das Album auf jeden Fall antesten, denn jeder Ton von Gerry Nestler ist in der Regel, und hier hat die Regel keine Ausnahme, anbetungswürdig. In Alternativen-Kreisen sollte das Album mindestens als „Album of the Year“ abgefeiert werden und Nestler überragt beispielsweise schon immer den abgefeierten TOM MORELLO anhand seiner künstlerischen Leistung als musikalisches Genie. `Harmonic` ist ein außergewöhnlich eigenständiges und spannendes Werk geworden, dessen volle Energie womöglich erst in den Clubs und Hallen zu Tage treten wird, dessen Klasse aber auch schon auf Konserve spür- und hörbar ist.

(9 Punkte)