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JOHNATHAN BLAKE – Homeward Bound

2021/2025 (Blue Note) - Jazz

Sofern ein Album den Moment einfangen kann, in dem Erfahrung, Intuition und persönliche Geschichte ineinandergreifen, dann ist es ´Homeward Bound´ von Johnathan Blake. Der Schlagzeuger aus Philadelphia präsentiert mit diesem Werk sein Debüt für “Blue Note Records” und stellt damit zugleich die erste große Standortbestimmung seiner Band PENTAD vor.

Die Formation – mit Immanuel Wilkins am Altsaxophon, Joel Ross am Vibraphon, David Virelles am Klavier, Fender Rhodes und Minimoog sowie Dezron Douglas am Bass – erweist sich als ein wahres Kollektiv von seltener Geschlossenheit. Das Ensemble, das nicht erst zusammenfinden musste, scheint ein gemeinschaftliches Bewusstsein zu teilen, in dem genügend Raum für spontane Energie bleibt.

Schon die einleitende Miniatur ´In The Beginning Was The Drum´ dient nicht als bloßes Präludium, sondern als Klarstellung der Haltung des Bandleaders. Johnathan Blake formuliert darin eine eigene Art rhythmischer Wärme, die durch eine weiche, pulsierende Präzision am Schlagzeug wirkt. Dieses Gefühl springt unmittelbar in den neunminütigen Titelsong ´Homeward Bound´ über, der zu den ergreifendsten Stücken des Albums zählt. Johnathan Blake widmet ihn der kleinen Ana Grace, der Tochter seines Freundes Jimmy Greene, die bei der Tragödie von Sandy Hook ihr Leben verlor. Der Schmerz, der hinter diesem Thema steht, verwandelt sich hier jedoch nicht in Schwere. Die Melodie öffnet sich vielmehr wie ein hoffnungsvoller Lichtstrahl, getragen von der eleganten Basslinie von Dezron Douglas und einem Thema, das langsam wächst, sich dann weitet und schließlich zur Bühne für ein intensives Gespräch zwischen Immanuel Wilkins und Joel Ross wird. David Virelles fügt mit seinen harmonischen Schattierungen am Klavier eine zusätzliche Ebene hinzu, die das Stück in ein leuchtend schönes Zentrum des Albums verwandelt.

Mit ´Rivers & Parks´ führt Johnathan Blake diesen schwebenden Geist fort, diesmal mit einem klaren Bezug auf Sam Rivers und Aaron Parks. Das achtminütige Stück wirkt leichtfüßig und gleichzeitig strukturell sehr bewusst gestaltet, ein Spiel aus hellen Klangbewegungen und improvisatorischer Wachheit. Meist zeigt Joel Ross sein Können am Vibraphon, dem Immanuel Wilkins am Altsaxophon folgt, so dass die Komposition einerseits weich erscheint und andererseits von einer inneren Glut getragen wird.

Dezron Douglas steuert mit ´Shakin’ The Biscuits´ eine Komposition bei, die das Album kurzzeitig in Richtung Jazz-Funk öffnet. David Virelles kommentiert das Geschehen auf dem Rhodes mit kurzen, vibrierenden Figuren, Joel Ross spannt funkelnde Bögen über das rhythmische Fundament und Johnathan Blake hält alles zusammen, ohne je den Fluss zu dominieren. Das Quintett atmet wie ein einziger Musikus, der sich mit Lust und Beweglichkeit in diesen federnden Groove legt.

Mit ´Abiyoyo´ erinnert Johnathan Blake an die südafrikanische Tradition, aus der dieses Kinderlied stammt. Die Band behandelt das Thema mit einer beinahe lyrischen Sanftheit, man spürt den Respekt vor dem ursprünglichen Charakter, während der Rhythmus von Johnathan Blake wie ein ruhiger Augenblick durch das Stück weht. Ganz anders wirkt hingegen das jubelnd vorwärtsdrängende ´LLL´, Johnathan Blakes Hommage an den verstorbenen Schlagzeuger Lawrence “Lo” Leathers. Das Stück legt eine enorme Energie frei, die sich in den kraftvollen Vibraphon-Schlägen von Joel Ross, den zupackenden Pianoschüben von David Virelles und den präzisen Kontrapunkten von Immanuel Wilkins bündelt.

Die überraschendste Wendung des Albums entsteht mit ´Steppin’ Out´. Johnathan Blake verwandelt den Pop-Klassiker aus den frühen Achtzigerjahren in eine fast zehnminütige, jazzmusikalische Neudeutung, die das Original respektiert und gleichzeitig weit hinter sich lässt. Die rhythmische Verlagerung in ein fließendes Sechsachtel-Metrum öffnet eine ganz neue Perspektive auf die Melodie. Eingeführt von David Virelles am Klavier, entfaltet Immanuel Wilkins im Mittelteil ein Solo von beeindruckender Expressivität, das mit Coltrane’scher Weite aufleuchtet, bevor Johnathan Blake selbst das Stück mit einem leidenschaftlichen Finale in die Zielgerade trägt.

Was dieses Album über seine musikalischen Qualitäten hinaus so besonders macht, ist der biografische Hintergrund seines Schöpfers. Johnathan Blake wuchs in den späten Siebzigerjahren in Philadelphia auf und erlebte als Kleinkind die Konzerte seines Vaters John Blake Jr., der damals mit Grover Washington Jr. spielte. Diese frühen Eindrücke, geprägt von der Präsenz des Schlagzeugers Pete Vinson, legten den Grundstein für Johnathan Blakes Verständnis von Timing, Sensibilität und Ausdruck. Seine Karriere führte ihn zu Pharoah Sanders, Ravi Coltrane, Tom Harrell, Avishai Cohen, Chris Potter, Maria Schneider und vielen anderen, bevor er sich schließlich für sein eigenes Debüt auf dem traditionsreichen “Blue Note”-Label entschied. ´Homeward Bound´ spiegelt all diese Wege wider.

Für die aktuelle Edition präsentiert “Blue Note” das Album im hochwertigen “Tone-Poet-Format”, äußerst seltener Weise für ein beinahe aktuelles Werk. Die Neuauflage wurde von Kevin Gray rein analog von den Originalbändern neu gemastert, auf 180g bei RTI gepresst und in ein stabiles Tip-on-Gatefold-Sleeve gehüllt, dessen weiche, wattierte Innenhüllen die Pressung stilvoll abrunden.

´Homeward Bound´ aus dem Jahre 2021 dokumentiert einen Künstler an einem Wendepunkt, an dem kompositorische Reife, persönliche Geschichte und ein Ensemble von herausragender gemeinsamer Präsenz zu einem modernen Jazzalbum verschmelzen, das bei aller Sorgfalt vor allem die Freude am gemeinsamen Klang vermittelt.

(9 Punkte)

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