
LUCRECIA DALT – A Danger To Ourselves
2025 (RVNG) - Stil: Experimenteller Art-Pop
Lucrecia Dalt wirkt auf ´A Danger To Ourselves´ wie eine Künstlerin, die ihre eigene Handschrift lange genug geschärft hat, um jetzt persönlicher zu werden. Nach den stärker auf Figuren und Szenarien ausgerichteten Kompositionen steht nunmehr der Moment selbst im Scheinwerferlicht. Stimme, Rhythmus, Text und Klang greifen ineinander wie Zahnräder. Das Album besitzt dabei etwas Intimes, aber es macht daraus keine Beichte.
Das Zentrum ist Lucrecia Dalts Stimme, und zwar nicht einfach nur als Hauptstimme im herkömmlichen Sinn, sondern als Dreh- und Angelpunkt. Sie singt, haucht und spricht, setzt Silben wie Markierungen, und erzeugt damit ohne Effekthascherei echte Spannung. Dazu kommt, dass sie den Großteil der Instrumente selbst übernimmt. Alex Lázaro liefert daneben die Percussion als bewegliches Rückgrat, mit claps, finger snaps und Loops, die sich nie auf bloßen Takt reduzieren lassen. Der Bass, meist von Cyrus Campbell als E-Bass und Kontrabass geführt, gibt dem Ganzen Gewicht und Richtung. Darüberhinaus liegen akustische Farben, perkussive Details, Streicher und Gitarren, die nicht als Schmuck auftreten, sondern als gezielte Eingriffe in Stimmung und Verlauf, zumal Chris Jonas mit Sopran- und Tenorsaxophon in einem Song eine zusätzliche Schärfe in den Sound bringt.
´Cosa Rara´ eröffnet das Album mit einem eigenartigen Sog, etwas leichtfüßig und unruhig. David Sylvian tritt hier als echter Gegenpol auf, der nicht nur stimmlich eingreift, sondern das Stück mit Feedback-Gitarre anraut sowie als Mitgestalter hörbar bleibt. Seine Stimme verändert die Perspektive, macht aus der Szene einen Dialog. Direkt danach setzt ´Amorcito Caradura´ einen bewussten Kontrast, auch weil Eliana Joy im Hintergrundgesang genau die Art von Nähe andeutet, die das Album später immer wieder aufgreift. Das Stück ist kurz, fast wie ein Innehalten, aber es trifft den Punkt, weil Zärtlichkeit hier als Spannung wirkt.
´No Death No Danger´ zieht die Linie schärfer. Lucrecia Dalt klingt entschlossen, und wieder ist es diese Verzahnung aus Stimme und Percussion, die den Impuls nicht nur vorgibt, sondern dauernd neu justiert. ´Caes´ öffnet danach den Sound, ohne ihn zu beruhigen. Camille Mandoki bringt eine zweite Stimme hinein, die nicht auf Harmonie aus ist, sondern auf Spannung im besten Sinn.
Ein Schlüsselstück ist ´Hasta El Final´. Hier zeigt sich, wie viel Dramatik Lucrecia Dalt erzeugen kann, ohne melodramatisch zu werden. Die Streicher treten nicht als süßer Überzug auf, sondern als klare, manchmal fast schneidende Erweiterung der Komposition. Dass diese Schärfe so sauber sitzt, liegt an einem realen Streicherteam statt an bloßer Studio-Illusion: Carla Kountoupes und Karina Wilson an den Violinen, Amanda Laborete am Cello, dazu ein Arrangement, das Lucrecia Dalt mit Eliana Joy gestaltet und in der Aufnahme so fokussiert wird, dass jede Bewegung auch Bedeutung bekommt.
´Divina´ bringt eine andere Art von Energie hinein, nicht zuletzt, weil Alex Lázaro hier nicht nur die Percussion stemmt, sondern auch mit backing vocals und howls eine unruhige zweite Ebene aufzieht, die das Stück lebendig hält. Der Wechsel zwischen Spanisch und Englisch wirkt bei Lucrecia Dalt nie wie Effekt, eher wie eine natürliche Beweglichkeit. Der Song hat etwas Zugängliches, aber er nimmt nicht den einfachen Weg. Er bleibt schräg genug, um interessant zu sein, und klar genug, um hängen zu bleiben.
Im weiteren Verlauf zeigt das Album, wie klug es mit Gästen umgeht, ohne den eigenen Kern zu verwässern. Juana Molina taucht in ´The Common Reader´ als echte Mitautorin der Worte und als Stimme auf, die Lucrecia Dalts Linie spiegelt und verschiebt, wodurch das Stück zugleich beiläufig und leicht unheimlich wirkt. ´Stelliformia´ gewinnt eine zusätzliche Kante, wenn Alex Lázaro neben der Percussion auch zur E-Gitarre greift und so die Konturen schärft, ohne das Klangbild zu verdichten. ´Mala Sangre´ geht tiefer in die dunkleren Zonen von Nähe, ohne in Schwere zu erstarren. Außerdem kann das Album auch mit Struktur spielen, ohne seine Linie zu verlieren: die Interludes und kürzeren Stücke verändern den Fluss, ohne ihn zu unterbrechen, zumal Eliana Joy mit Hintergrundgesang auf ´Covenstead Blues´ noch einmal eine zweite Haut unter Lucrecia Dalts Stimme legt, die eher schimmert als trägt.
Die Rolle von David Sylvian ist dabei auf ganzer Albumlänge spürbar, ohne dass sie Lucrecia Dalts Signatur überlagert. Als Co-Produzent und Musiker setzt er Akzente, die oft eher in Dynamik und Raumgefühl liegen als im Vordergrund, und wenn am Ende von ´Covenstead Blues´ ein E-Gitarrensolo auftaucht, wirkt es nicht wie ein Gastauftritt, sondern wie ein gezielter Schnitt, der das Album kurz in ein anderes Licht rückt.
´A Danger To Ourselves´ ist letztlich kein persönliches Album im Sinne eines Tagebuchs, sondern ein Album, das persönliche Zustände in Form bringt. Es zeigt eine Künstlerin, die sich weder dem Pop anbiedert noch Komplexität als Schutzschild benutzt. Stattdessen entsteht eine Musik, die nah heranlässt, die Spannung aus Details zieht und aus dem Mut, Lücken zu lassen. Am Ende steht kein großer Schlussstrich, eher ein Eindruck, der weiterarbeitet. Genau deshalb ist das eine Platte, zu der man zurückkehrt, weil sie sich nicht erschöpft, weil sie mehr zeigt, je genauer man hinhört, und weil Lucrecia Dalt hier mit einer Ruhe und Konsequenz agiert, die selten so selbstverständlich wirkt.
(8,5 Punkte)



