
VENAMORIS – To Cross Or To Burn
2025 (Ipecac Recordings) - Stil: Ambient, Experimental Music, Industrial Music
Mit ´To Cross Or To Burn´ führen Paula Lombardo und Dave Lombardo ihr gemeinsames Projekt VENAMORIS auf ein künstlerisches Plateau, das man nach dem eher tastenden Debüt zwar erhoffen, aber kaum in dieser Geschlossenheit erwarten konnte. Das neue Album entfaltet sich wie ein weitläufiger, düster schimmernder Raum, in dem jede Klangspur, jede Stimme und jedes rhythmische Pulsieren mit einer Sorgfalt gesetzt ist, die unmittelbar erkennen lässt, dass hier zwei Musiker eine gemeinsame Vision bis in ihre feinsten Verästelungen umgesetzt haben. Was in den frühen Gehversuchen noch unbeholfen wirkte, erscheint nun als souverän geformte Dramaturgie, die sich aus Elementen des Trip-Hop, des Dark Pop, elektronischer Klangnischen und einer Art melancholischer Kammermusik speist.
Schon die Eröffnung hinterlässt den Eindruck eines nächtlichen Kameraschwenks über ein verrauchtes Bühnenbild, in dem Paula Lombardo mit einer Stimme eintritt, die zugleich nahe am Ohr und tief im imaginären Raum schwebt. Die Zurückhaltung ihrer Phrasierung erzeugt eine innere Spannung, während Dave Lombardo dem Stück einen rhythmischen Ansatz einverleibt, der weniger treibt als trägt. Man spürt sofort, wie eng die beiden Musiker ihre Rollen verzahnen. Paula Lombardo als Erzählerin einer tief berührenden Welt, Dave Lombardo als Architekturmeister ihres akustischen Umfelds.
Wenn sich später in ´In The Shadows´ einzelne Klangschichten wie bei einem langsamen Lichteinfall öffnen, gewinnt das Album eine räumliche Tiefe, die an düstere Filmkompositionen erinnert, dabei aber nie in reine Atmosphäre abgleitet. Die elektronischen Akzente scheinen sich mit organischen Bewegungen zu vereinen, sodass eine merkwürdig lebendige Spannung entsteht, die sich in fast jedem Stück wiederfinden lässt, besonders in den dunkel funkelnden Trip-Hop-Momenten von ´Truth´ oder den fein verästelten Linien von ´Spiderweb´. Hier zeigt sich die große Stärke des Albums. Es ist emotional offen, ohne je plakativ zu werden, und es arbeitet mit rhythmischer Präzision, ohne sich in Mechanik zu verlieren.
Die Gäste, sparsam und gezielt eingesetzt, erweitern diese Klangsprache wie sorgsam platzierte Farbakzente in einem Gemälde. Wenn Alex Skolnick in ´Stain Of Pain´ einen hellen, beinahe flamencoartig vibrierenden Ton in die Szenerie setzt, öffnet sich plötzlich ein Fenster zu einer anderen emotionalen Welt, ohne dass der Gesamtfluss gestört würde. Gary Holt verleiht der Interpretation von ´Animal Magnetism´ ein unerwartet schweres Leuchten, das der bekannten Komposition eine neue psychologische Tiefe gibt und sie stärker in den Kosmos von VENAMORIS zieht, als man es bei einem Cover vermuten würde.
Gerade im letzten Drittel entfaltet das Album eine ansteigende atmosphärische Dichte. In ´Numb´ nimmt die Struktur an Geschlossenheit zu, als wolle das Stück das innere Zittern eines vergangenen Tages festhalten, bevor der Titeltrack das Album in eine Geräuschlandschaft führt, die an ältere, analog arbeitende Horrorkompositionen erinnert und dennoch vollständig in der Gegenwart verankert bleibt. Es ist ein Finale, das nicht auf Wirkung zielt, sondern eine innere Konsequenz aus dem zuvor Gehörten zieht.

´To Cross Or To Burn´ ist ein Werk, das jenseits üblicher Genregrenzen existiert und sich gerade dadurch so unmittelbar mitteilt. Paula Lombardo und Dave Lombardo haben ein Album geschaffen, das seine Stärke aus Ruhe, Tiefe und gestalterischer Klarheit bezieht, aber dennoch eine unverkennbare Spannung trägt – als würde jede Note von einer Kraft durchströmt, die über die Grenzen des Sichtbaren hinaus wirkt. Es gehört zu jenen seltenen Veröffentlichungen, die ihre Intensität erst dann vollständig offenbaren, wenn man ihnen Zeit gibt, sich im eigenen Inneren auszubreiten.
Ein reifes, eindringliches, atmosphärisch souveränes Werk – und ein Meilenstein für VENAMORIS.
(8,5 Punkte)
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Pic: Hannah Verbeuren



