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POPOL VUH – In Den Gärten Pharaos

1971/2025 (Esoteric Recordings) - Stil: Electronic, Rock

Es gibt Musik, die man einfach hört, und dann gibt es jene seltenen Momente, in denen Klänge einen nicht nur erreichen, sondern wirklich berühren, als hätte man für einen Augenblick eine unsichtbare Schwelle übertreten. Genau dort beginnt das Reich von POPOL VUH. Schon früh hatten sie ein Gespür für jene Orte, an denen Musik mehr wird als Ton und Struktur, an denen sie eine eigene, beinahe atmende Präsenz gewinnt. Die Neuauflage von ´In Den Gärten Pharaos´ im Jahr 2025 bringt ein Werk zurück, das 1971 entstanden ist und bis heute zu den stillsten, tiefsten und zugleich eindrucksvollsten Zeugnissen deutscher Klangkunst gehört. Ein Album, das nicht altert, sondern seine Strahlkraft behält, weil es etwas anspricht, das weit jenseits der Zeit liegt.

Man hat oft versucht, POPOL VUH in Begriffen zu fassen, die aus der Rockmusik stammen, doch nichts davon hält dem eigentlichen Erleben stand. Der Kern dieser Musik liegt nicht im Genre, sondern im Geist, mit dem sie geschaffen wurde. Florian Fricke war kein Komponist im traditionellen Sinn, sondern ein Suchender, der mit jedem Ton, jeder Schwingung, jeder Stille in jenen Bereich vorgedrungen ist, in dem Klang zur Metaphysik wird. ´In Den Gärten Pharaos´ ist das Resultat dieser Suche – zwei Kompositionen, zwei rhythmische Pulsschläge, die wie Herzschläge wirken, zwei Kapitel eines inneren Weges, zwei Räume, die sich erst öffnen, wenn man bereit ist, alles Hören von äußeren Erwartungen zu lösen.

Die erste Seite, der titelgebende Track, entfaltet sich wie ein Ritual. Der Moog-Synthesizer erscheint nicht als technisches Instrument seiner Zeit, sondern wie eine Stimme, die aus einer anderen, tiefer liegenden Schicht des Bewusstseins spricht. Die Orgel erhebt sich darüber wie ein Lichtstrahl, der aus der Dunkelheit nach oben gleitet, und zwischen beiden entsteht jener rätselhafte Zwischenraum, in dem die Musik zu schweben beginnt. Dieser Klang ist weder psychedelisch noch experimentell im herkömmlichen Sinn; er ist von einer Ernsthaftigkeit getragen, die sich nicht auf Effekte stützt, sondern auf eine innere Wahrheit, die Fricke in jedem Ton zu suchen scheint. Der Rhythmus, der sich nach und nach anschmiegt, wirkt wie der Herzschlag eines lebendigen Raumes, nicht laut, nicht aufdringlich, sondern wie eine Erinnerung an etwas Ursprüngliches.

Man spürt in diesem Stück jene Art von Zeitlosigkeit, die POPOL VUH schon immer ausgezeichnet hat. Nichts hier verweist auf ein Stilideal der frühen siebziger Jahre, nichts auf den damals aufblühenden Krautrock, nichts auf die Experimentierlust vieler Zeitgenossen. Stattdessen breitet sich eine kontemplative, heilige Ruhe aus, die eher an die Zentriertheit spiritueller Musik erinnert als an eine Szene. Wenn die Töne sich öffnen, geschieht das so organisch, dass man irgendwann nicht mehr unterscheiden kann, ob die Musik aus äußeren Lautsprechern kommt oder aus einer tiefer liegenden Schicht der eigenen Wahrnehmung.

Die zweite Seite, ´Vuh´, ist ein Monument eigener Art, ein langsamer, mächtiger Aufstieg in einen Raum, der sich nicht sofort erschließt. Die Orgel trägt das Stück wie eine vibrierende Fläche, die sich unmerklich weitet. Die Percussion wirkt warm und körperlich, fast wie ein ferner Puls, der den Übergang zwischen Körper und Geist markiert. Nichts an dieser Musik ist hastig, nichts will beeindrucken, nichts drängt sich auf. POPOL VUH begegnen ihrem Material mit einer Demut, die heute kaum noch zu finden ist. Man hört in ´Vuh´ nicht die Lust am Experiment, sondern die Hingabe an eine Form des Ausdrucks, die in ihrer Einfachheit monumental wird. Wenige Töne, weit gespannt, jede Schwingung mit Bedeutung aufgeladen – als wäre das Stück ein Dialog zwischen Erde und Himmel, geführt mit der Geduld eines Menschen, der nicht mehr fragt, sondern lauscht.

Für moderne Ohren, die an permanente Reizüberflutung gewöhnt sind, mag diese Musik zunächst rätselhaft wirken, geradezu gespenstisch, mythisch und rituell. Doch gerade in einer fast sakralen Intensität liegt ihre Kraft. POPOL VUH zeigen, wie viel Intensität entsteht, wenn man den Mut hat, die Stille als gleichberechtigten Teil der Komposition zu begreifen. In dieser Stille geschieht etwas, das sich nur schwer in Worte fassen lässt: Ein Gefühl von Weite, von Durchlässigkeit, von einer inneren Reise, die sich nicht an äußeren Bildern orientiert. Die Neuauflage des Albums bestätigt, wie außergewöhnlich klar und feinfühlig dieses Werk produziert wurde. Die Aufnahme besitzt jene warm leuchtende Tiefe, die den analogen Produktionen der frühen Siebzigerjahre eigen ist, und die 2025er LP-Version bringt diese Qualitäten mit einer sanften, respektvollen Transparenz zur Geltung, ohne die ursprüngliche Patina zu glätten.

Es ist bemerkenswert, wie modern dieses Album bis heute wirkt. Wo andere Werke ihres Jahrzehnts altern, weil sie in Stilen verhaftet bleiben, die längst weitergezogen sind, wächst ´In Den Gärten Pharaos´ über die Zeit hinweg – nicht trotz, sondern wegen seiner radikalen Reduktion. POPOL VUH haben keine ästhetische Mode bedient, sondern einen Zustand geschaffen. Die Musik scheint nicht aus 1971 zu stammen, sondern aus einem zeitlosen Raum, in dem menschliche Erfahrung und spirituelle Sehnsucht ineinanderfließen. Man hört, wie viel Ernst in dieser Kunst steckt, wie viel persönlicher Glaube, wie viel Fragilität und Mut.

Die Bedeutung des Albums liegt aber nicht nur in seiner klanglichen Gestaltung, sondern in der Überzeugung, mit der es geschaffen wurde. Fricke suchte keine Perfektion, sondern Wahrheit. Seine Musik ist kein Ornament, keine Pose, kein intellektueller Exzess. Sie ist das Ergebnis eines inneren Ringens, das sich in jedem Ton spiegelt. Man fühlt, wie die Klänge nicht nur komponiert, sondern erarbeitet wurden, manchmal beinahe ertastet, als müsse man eine unsichtbare Wand durchdringen, um überhaupt spielen zu können. Diese Musik verlangt Aufmerksamkeit, aber sie schenkt im Gegenzug etwas, das viele heutige Produktionen kaum noch bieten: eine unmittelbare Nähe zum eigenen Empfinden.

Die Neuauflage von 2025 ist deshalb weit mehr als eine Wiederveröffentlichung. Sie führt vor Augen, wie relevant POPOL VUH bis heute geblieben sind. Ihre Musik wirkt wie ein Gegenentwurf zu einer Welt, die Geschwindigkeit mit Bedeutung verwechselt und Lautstärke mit Ausdruck. ´In Den Gärten Pharaos´ erinnert daran, wie tief und weit Musik klingen kann, wenn sie nicht beeindrucken will, sondern dem Hörer Raum bietet. Und vielleicht ist es genau diese Offenheit, die das Album zu einem der wichtigsten Zeugnisse deutscher Klangkunst macht.

Wer sich diesem Werk hingibt, betritt keinen abgeschlossenen Raum, sondern einen inneren Garten, der sich mit jedem Hören verändert. Die beiden Kompositionen wachsen, sie kommen näher, sie öffnen einen Resonanzraum, in dem sich klangliche Vision und spirituelle Erfahrung begegnen. Man spürt, wie sehr POPOL VUH das Hören als eine Form der inneren Wahrnehmung verstanden haben. Und wenn die letzte Schwingung langsam verklingt, bleibt ein Gefühl zurück, das nicht von dieser Welt zu sein scheint: ein Nachhall, der weniger im Ohr als im Bewusstsein bleibt.

´In Den Gärten Pharaos´ ist ein Album, das seine Kraft aus der Stille zieht, aus der Geduld, aus dem Mut zur Reduktion. Die 2025er Neuauflage bringt dies mit einem Cut in den “Abbey Road Studios” und einem weitaus mehr gelblichen Coverartwork auf leuchtende Weise zurück, als Einladung an eine neue Generation von Hörern, dieses außergewöhnliche Werk mit frischen Ohren zu erleben. POPOL VUH bleiben damit das, was sie immer waren: eine Stimme jenseits aller Mode, ein Klangraum, der den Menschen als fühlendes Wesen ernst nimmt, eine Musik, die die Zeit nicht einfach überdauert, sondern über sie hinausweist.

(Klassiker)

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