
HILDEGARD KNEF – Ich möchte am Montag mal Sonntag haben
Ausgewählte Songtexte - Zum 100. Geburtstag von Hildegard Knef am 28. Dezember 2025
Es gibt Bücher, die nimmt man in die Hand wie ein altes Vinylalbum. Man weiß, dass etwas in ihnen knistert, dass irgendwo zwischen den Zeilen eine Stimme wartet, die mehr tut als singen. Sie hebt an, lehnt sich zurück, erzählt, widerspricht, seufzt – und lächelt dabei einen Hauch zu wissend, um harmlos zu sein. Der neue Band mit ausgewählten Texten von Hildegard Knef gehört zu genau dieser Sorte. Zum hundertsten Geburtstag dieser einzigartigen Künstlerin erscheint eine Sammlung, die nicht nur eine Hommage ist, sondern ein Erinnerungsraum, der plötzlich wieder bewohnt scheint. Man hört sie beinahe, wie sie das „ch“ mit diesem rauen Schmirgelton formt, der immer ein bisschen so klang, als wüsste sie bereits, was wir erst noch lernen müssen.
Dieser Band versammelt einhundert Texte – Chansons, die sich weigern, alt zu werden, weil sie mit einer Attitude geschrieben wurden, die man nicht imitieren kann. Hildegard Knef formulierte stets so, als stünde sie im Leben nicht vor, sondern mittendrin. Ihre Worte tasten nach der Wahrheit, ohne pathetisch zu werden, und sie treffen das Alltägliche mit literarischer Leichtigkeit. Dadurch entsteht eine Sprache, die unfehlbar nach ihr klingt: lakonisch, glänzend abgeklärt und von einer Verletzlichkeit, die nie jammerte, sondern widerspenstig blieb.
Dass zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler diese Texte in eigenen Kommentaren spiegeln, verleiht dem Buch eine zweite Ebene. Man liest, wie Sebastian Krumbiegel seine Bewunderung in präzise Wertschätzung übersetzt, wie Mieze Katz den poetischen Puls dieser Chansons nachfühlt oder wie Stoppok die Knef als Kollegin auf Augenhöhe beschreibt. Sie alle schreiben mit einer ungezwungenen Nähe, die zeigt, wie groß ihr Einfluss geblieben ist – und wie eigenständig sie war. Ihre Kunst ließ sich nie domestizieren, nicht vom Markt, nicht von Erwartungen, nicht einmal von ihr selbst.
Der titelgebende Song ´Ich möchte am Montag mal Sonntag haben´ entfaltet in gedruckter Form noch stärker seine eigentümliche Mischung aus Melancholie und Witz. Diese Sehnsucht, dem Alltag einmal die Tür von außen zuzuziehen, wirkt heute vielleicht noch dringlicher als damals. Die Verse träumen sich durch Erdteile, Jahreszeiten, Illusionen und kleine Eskapaden, doch sie tun es mit einer feinen Ironie, die verhindert, dass der Wunsch sentimental wird. Hildegard Knef benennt Träume nicht, um sich in ihnen zu verlieren, sondern um zu zeigen, wie notwendig sie sind, um weiterzugehen.
Beim Lesen dieser Sammlung wird besonders deutlich, wie souverän sie Sprache als Instrument beherrschte. Die Texte sind nie nur Liedmaterial, sondern kleine Szenen, entwaffnend genau beobachtet. Man spürt ihr Schauspiel, ihre Welterfahrung, ihre müde Heiterkeit. Und immer wieder ihre Unabhängigkeit: jene Haltung, die schon Miles Davis beeindruckt haben soll, weil sie mit einer Stimme sang, die weder groß noch klein war, sondern einfach wahr.
Man stolpert beim Lesen unweigerlich über Zeilen, die nicht altern. Viele ihrer Chansons tragen diese eigentümliche Mischung aus Widerstand und Zärtlichkeit, als hätten sie in den verrauchten Kellern der alten Bundesrepublik genau die Temperatur gemessen, unter der ein Herz zu frieren beginnt. In einem Text spricht sie mit beiläufiger Eleganz über den Wunsch, sich nicht länger an die Erwartungen anderer anpassen zu müssen, und man spürt, wie die Künstlerin ihrer Zeit weit voraus war. An anderer Stelle seziert sie mit kaum hörbarer Ironie die Gepflogenheiten eines Landes, das sich so gern brav gab und doch voller Ungereimtheiten war. Diese Lieder wirken heute fast hellsichtig, als hätten sie bereits gewusst, wie sehr wir uns eines Tages wieder nach Klarheit sehnen würden.
Und dann gibt es jene Stücke, in denen Hildegard Knef ihre Verletzlichkeit nicht versteckt, sondern formt, als wäre sie ein Material, das erst durch Reibung glänzt. Man sieht förmlich die Bühne, das gedämpfte Licht, die Haltung einer Frau, die sich nicht duckt, sondern lächelt – wissend, dass Offenheit manchmal mutiger ist als jede Pose. In diesen Texten mischt sich ein Hauch bitterer Lebenserfahrung mit einer souveränen Gelassenheit, die nur jemand entwickelt, der seine eigenen Brüche kennt und sie nicht mehr verleugnet. Es sind Songs, in denen das Persönliche nie privat bleibt, sondern zu etwas Allgemeinem wird. Sie öffnen Räume, in denen man sich wiedererkennt, ohne dass die Künstlerin je anbiedernd wirkt. Gerade in diesen Momenten begreift man, warum ihre Texte bis heute eine solche Wirkkraft besitzen.
In einer Zeit, in der vieles auf stilistische Oberflächen zielt, wirkt diese Veröffentlichung fast unverschämt substantiell. Sie erinnert daran, wie Chanson funktioniert, wenn es ernst gemeint ist. Und wie Kunst klingt, wenn sie aus einem Leben geboren wird, das den Ruhm ebenso kannte wie den Rückzug, das Grenzüberschreitungen wagte, ohne je in Pose zu verfallen. Hildegard Knef bleibt eine Solitärfigur: eine Autorin ihrer selbst, eine Interpretin eigener Widersprüche, eine Frau, die in ihren Songs eine Welt geschaffen hat, in der Schwäche Stärke ist und Eleganz aus Erfahrung erwächst.
Dieses Buch ist kein Nostalgiealbum. Es ist ein literarischer Körper, der immer noch warm wirkt. Wer die Texte liest, merkt, dass sie in einem eigenen Zeitmaß leuchten, wie Momentaufnahmen, die sich nicht abnutzen. Und vielleicht ist das die schönste Wirkung dieser Ausgabe: Sie holt die Knef nicht zurück, sie lässt sie weitergehen. Man begleitet sie ein Stück, mit dem leisen Gefühl, dass man diesen Weg schon kennt, obwohl man ihn nie zuvor gegangen ist.
Wenn man das Buch schließt, bleibt eine Stimme im Raum, die man nicht imitieren kann und die bis heute niemand ersetzt hat. Eine, die das Leben umarmte, sogar dann, wenn es zurückschlug. Eine, die wusste, wie man Würde bewahrt, während man Tacheles singt. Und das ist vielleicht das größte Geschenk dieses Jubiläumsbandes: Er erinnert uns daran, dass Kunst nur wahr sein muss, um zu bleiben. Hildegard Knef war es immer.
Broschur, mit Abb.
272 Seiten
7.12.2025
20,00 €(D)
ISBN 978-3-95575-249-1
Neben Sebastian Krumbiegel (Die Prinzen), Mieze Katz (MiA.), Pe Werner, Bernd Begemann würdigen unter anderem Bernadette La Hengst (Die Braut haut ins Auge), Markus Berges (Erdmöbel), Stoppok, Franceso Wilking (Die Höchste Eisenbahn), Kai Havaii (Extrabreit) und Tex Rubinowitz Hildegard Knef mit ihren ganz persönlichen Liner Notes.
https://www.facebook.com/hildegard.frieda.knef



