
NYOS – Growl
2025 (Pelagic Records) - Stil: Instrumental/Mathrock/Postrock
Seit mehr als einem Jahrzehnt formen der britische Gitarrist Tom Brooke und der finnische Schlagzeuger Tuomas Kainulainen aus einer scheinbar minimalen Besetzung eine musikalische Welt, die sich jeder eindeutigen Zuordnung entzieht. In Jyväskylä fanden beide ihre musikalische, radikale Freiheit. Jedes ihrer Alben schien bislang ein Versuch, das Unmögliche zu erschaffen, strukturell komplex und emotional zugänglich. Mit ihrem neuen Werk ´Growl´ stoßen sie in eine noch dichter verwobene Klangarchitektur vor, die den Loop-basierten NYOS-Signaturklang bewahrt, ihn aber in einer nie dagewesenen Tiefe und Weite öffnet.
Schon der Einstieg mit ´Get Ready´ erzählt viel über dieses Album. Die nervös vibrierenden Gitarrenschichten wirken wie ein Auftakt zu einer inneren Beschleunigung. Der Groove löst sich aus den gewohnten Bahnen und wird von Tuomas Kainulainens unermüdlich vorwärtsdrängendem Schlagzeug getragen. Der Track kündigt an, worauf man sich einlässt: ein Wechselspiel aus Spannung und Entladung.
´Superstar´ wirkt wie ein Gegenentwurf in gleichem Geist, ist direkter, schärfer akzentuiert und doch von jenem NYOS-typischen Flirren durchzogen, das den Puls des Albums stetig beschleunigt. Die Gitarre gleitet in schmale melodische Linien, die Loops tanzen gegeneinander, und über allem liegt ein klarer Wille, Energie als tragendes Element einzusetzen.
Mit ´Lézard Rouge´ betreten wir einen anderen Bereich des Albums. Der Track wirkt wie eine Komposition, in der Gitarrenfiguren von fast jazziger Eleganz auf fein gesponnene Drumpattern treffen, deren Präzision an die großen polyrhythmischen Innovatoren des experimentellen Rock erinnert. Doch trotz der Komplexität bleibt das Stück erstaunlich zugänglich.
´Harder Than Rain´ zeigt das Duo in jener Form, die sie so unverwechselbar macht. Die Gitarre wechselt zwischen klaren, fast glockenhaften Motiven und schwereren, dunkleren Sphären, während das Schlagzeug eine fast meditative Beharrlichkeit entwickelt, die der Musik etwas Hypnotisches verleiht.
Ein reizvoller Kontrast dazu ist ´Pepe-Pepe´, ein Stück, das sich zunächst wie ein chaotisches Geflecht anfühlt, bevor sich die einzelnen Stränge allmählich zu einer Struktur zusammenfinden, die überraschend melodisch und geradezu beschwingt wirkt. NYOS zeigen sich außergewöhnlich gut darin, das Ohr an scheinbar unauflösbare Muster heranzuführen, um dann plötzlich einen Weg in die Klarheit zu öffnen, der rückblickend völlig logisch erscheint.
In ´Lo4´ zeigt sich das Duo von seiner dunkelsten, schwersten Seite. Der Track hat etwas Erzählendes, fast Mythisches, als würde er ein uraltes Ritual beschwören, das weit entfernt von hektischer Moderne im Rhythmus einer uralten Kraft ruht.
´Walking In Moonlight´ dient als kurzer Moment des Luftholens, bevor ´Be Free´ mit einer fast tänzerischen Leichtigkeit wieder Fahrt aufnimmt. Dieser Track gehört zu den rhythmisch spannendsten des Albums; er ist virtuos und verspielt zugleich, aber nie verkopft. NYOS gelingt hier das Kunststück, anspruchsvolle Polyrhythmen so organisch zu gestalten, dass sie wie ein natürlicher Puls wirken.
Zum Abschluss führt ´Alright, Goodnight´ all jene Elemente, die ´Growl´ so faszinierend machen, in einer letzten großen Welle zusammen. Und doch endet der Track nicht im Tumult, sondern in einem warmen, weit geöffneten Ausklang, der das Album in einer versöhnlichen, beinahe poetischen Stille zurücklässt.
´Growl´ ist ein Werk, das nach Hingabe schreit. Es schenkt dafür eine Klangwelt voller Kontraste, voller Temperament und voller Schönheit. Tom Brooke und Tuomas Kainulainen beweisen einmal mehr, wie weit man mit nur zwei Instrumenten kommen kann. Ihre Musik ist mathematisch präzise und emotional zugleich. ´Growl´ ist wahrscheinlich eines der reifsten, komplexesten und zugleich unmittelbarsten Alben in der Geschichte des Duos.
(8 Punkte)
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