PlattenkritikenPressfrisch

BORIS – Pink

2005/2025 (Relapse Records) - Stil: Metal / Stoner / Noise / Rock / Garage / Punk / Ambient / Psychedelia

Zwanzig Jahre sind vergangen, doch ´Pink´ erhebt sich erneut, größer, mächtiger, unverrückbar, als ob die Zeit selbst diesem Werk Tribut zollt. Jeder Akkord, jede Schwingung, jede Feedback-Wolke wirkt wie ein Sturm, der das Bewusstsein durchschüttelt und zugleich sanft trägt. Wata, Takeshi und Atsuo formen mit ihrem Trio eine Klangarchitektur, in der Sludge, Drone, Psychedelic und Post Rock in unvorhersehbaren Strudeln aufeinandertreffen, in der Dichte und Leichtigkeit, Chaos und Präzision eine untrennbare Einheit bilden. ´Pink´ öffnet Räume, sprengt Grenzen, zieht den Zuhörer in eine Welt, die zugleich beklemmend und berauschend ist, eine Sphäre, in der jede Nuance zählt und jede Sekunde zu einem Erlebnis von beinahe greifbarer Intensität wird. Dieses Album ist nicht nur Musik – es ist Monument, Experiment sowie eine Einladung, sich in Klang und Zeit zu verlieren.

Die Eröffnung mit ´Farewell´ entfaltet sich wie ein weitläufiges Panorama, in dem schwere Gitarrenakkorde und donnernde Trommeln auf leise Melodien und das murmelnde Flüstern der Stimme treffen. Die Spannung wächst wie ein langsamer Ozean, der sich über den Hörer ergießt, unaufhaltsam, hypnotisch, mit einem Atem von Weite und melancholischer Schönheit, während jeder Klang durch den Raum schwebt. Ohne Pause stürzt das Trio in den Titeltrack ´Pink´, der als knallender Psych-Riot über den Zuhörer hereinbricht, jede Faser elektrisierend, die Gitarre von Wata kreischt, Atsuos Schlagzeug peitscht den Takt unbarmherzig voran und Takeshis Gesang wirkt wie ein schwebendes, beinahe wütendes Mantra. Die Kraft dieses Stücks liegt nicht nur in der rohen Energie, sondern in der geschickten Balance aus Chaos und Melodie, aus abrupten Ausbrüchen und subtilem atmosphärischem Spiel.

Mit ´Woman On The Screen´ und ´Nothing Special´ steigert sich das Tempo, die drei Musiker entfalten eine perfekte chemische Reaktion, in der jede Note, jede Rückkopplung in einem präzisen Wirbel aus Fuzz und Verzerrung pulsiert. Garage-Rock-Wurzeln vermischen sich mit der verzerrten Psychedelik, und doch bleibt die Musik stets kontrolliert. Diese Balance zwischen roher Intensität und akribischer Struktur zieht sich durch das gesamte Album und demonstriert die Erfahrung von BORIS, die jahrzehntelange Auseinandersetzung mit Feedback, Drone und Doom in all ihrer Vielschichtigkeit.

´Blackout´ bringt einen Moment der Dichte, in dem die Musik wie ein schwarzes Loch alles Licht und jeden Gedanken aufsaugt. Atsuos Trommeln hallen wie ferne Gewitter, Watas Gitarrenfeedback breitet sich aus wie eine Lawine aus Klang, und Takeshis Bass zieht alles zusammen in eine drückende, aber faszinierende Schwerkraft. Darauf folgen ´Electric´ und ´Pseudo-Bread´, die mit beschleunigten, instrumentalen Passagen die Spannung wieder freilegen, während kleine melodische Einsprengsel und Soli durch die dichte Fuzzlandschaft blitzen. In ´Afterburner´ verschmilzt der Einfluss von Jimi Hendrix mit den schleppenden Stoner-Riffs, die Band spielt mit Zeit und Raum, während unerwartete Klatscher und Geräusche den Takt verzerren, den Hörer in den Strudel der Komposition ziehen und zugleich die Kontrolle niemals völlig aufgeben.

Die Stücke ´Six, Three Times´ und ´My Machine´ bilden eine Art Ruhepause, in der sich die zuvor entfesselte Energie subtil entlädt, in einer sanften Welle von melodischem Post Rock, während das abschließende Epos ´Just Abandoned Myself´ das Album in einem 18-minütigen Monolithen zusammenführt. Die Komposition entwickelt sich langsam von treibender, psychedelischer Energie zu einem hypnotischen Drone-Geflecht, in dem Feedback, Ambient-Elemente und subtil eingesetzte östliche Instrumente wie Samisen die Dimensionen von Raum und Zeit verschieben. Jede Minute dieses Stücks fordert, belohnt und berauscht zugleich, bis das Ende in einem summenden, beinahe sakralen Klangfeld mündet.

´Pink´ ist ein umfassendes Erlebnis, eine akustische Reise, die sowohl Fans des Extreme Metal als auch neugierige Entdecker abseits des Genres anspricht. Es ist ein Werk, das die gesamte Geschichte von BORIS zusammenfasst, ohne in Wiederholung zu verfallen, eine Synthese aus Experiment, Handwerkskunst und kreativer Freiheit. Hier verschmelzen Fuzz, Feedback, Sludge und Psychedelic zu einem einzigen, unaufhaltsamen Fluss aus Energie, der den Hörer unweigerlich in den Bann zieht.

In dieser Form erweist sich ´Pink´ als das wohl zugänglichste und zugleich am dichtesten gearbeitete Album der Band, ein Meisterwerk, das in seiner Epik und Reichhaltigkeit zeitlos bleibt, das sowohl die Vergangenheit ehrt als auch die Zukunft des experimentellen Metal mitbestimmt.

(Kult Klassiker)

P.S.: Zum zwanzigjährigen Jubiläum kehrt ´Pink´ in einer glanzvollen Neuauflage zurück, erhältlich als opulente 6-LP-Box mit farbigen Scheiben, Tour-Editionen, Sessions, Live-Aufnahmen und Rough Mixes, sowie als exklusive 2-LP-Version mit originaler CD-Reihenfolge und erstmals gravierter D-Seite.

https://www.facebook.com/borisheavyrocks/

 

Ähnliche Artikel

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"