
JETHRO TULL – Aqualung Live – 2025 Remaster
2005/2025 (InsideOutMusic) - Stil: Art-Rock mit Folk und Blues
Als Ian Anderson im Jahr 2004 das komplette ´Aqualung´-Album live im Studio neu einspielte, war das eine selbstbewusste Wiederbegegnung mit einem Werk, das längst Legendenstatus besitzt. Zwei Jahrzehnte später erscheint diese Session erstmals auf Vinyl und das neu remasterte Ergebnis zeigt, dass JETHRO TULL ihre Vergangenheit noch einmal mit Energie aufladen können.
Schon in den ersten Sekunden von ´Aqualung´ spürt man, dass hier keine langweilige Reproduktion stattfindet. Das berühmte Riff entfaltet sich druckvoll und präzise, Martin Barre spielt mit metallischer Klarheit, die dem Song seine Härte verleiht. Ian Andersons Stimme klingt brüchig, aber voller Charakter; jeder Vers trägt die Spuren der Zeit und zugleich jene Unruhe, die dieses Stück einst unsterblich machte.
´Cross-Eyed Mary´ treibt mit kantiger Aggression voran, während ´Cheap Day Return´ wie ein leiser Atemzug wirkt, kurz, verletzlich und von jener melancholischen Ruhe durchzogen, die Ian Anderson in seinen besten Momenten beherrscht. In ´Mother Goose´ öffnet sich das Ensemble spielerisch, Flöte, Gitarre und Keyboard kreisen umeinander und verwandeln den Song in ein folk’sches Duell aus Witz und Virtuosität, als wollten sie dem Original eine zweite Jugend schenken.
Selbst Schlüsselstücke wie ´My God´ blühen hier in sakraler Wucht auf, der Choreffekt im Mittelteil wirkt wie eine geisterhafte Beschwörung, während Andersons Flöte wie Weihrauch durch die Luft zieht. Noch eindringlicher erscheint ´Hymn 43´, das die Band in eine tanzende, fast irische Raserei verwandelt. Aus einem Rocksong entsteht ein hymnischer Jig, getragen von rhythmischer Energie und dem spöttischen Unterton, der JETHRO TULL unverwechselbar macht.
Auch ´Locomotive Breath´ behält seine Kraft, diesmal etwas gestraffter und klarer auf die treibende Gitarre von Martin Barre fokussiert. Das abschließende ´Wind Up´ bündelt die Spannungen dieses Abends, die Glaubenszweifel, Ironie und den Stolz, und entlässt die Hörer mit einem spürbaren Nachhall.
Das neue Remaster bringt den Auftritt in klarer Qualität, auf Vinyl entfaltet die Musik eine Wärme, die der digitalen Version von 2005 noch fehlte. ´Aqualung Live´ ersetzt das Original nicht, sondern eröffnet ihm eine neue Perspektive. Die Songs atmen anders, das Timing wirkt reifer, die Brüche sind bewusst gesetzt. Ian Anderson interpretiert jeden Song auf eigene, unverwechselbare Weise, mal verspielt, mal ausladend, manchmal fast außer Kontrolle, sodass nicht jede Passage voll überzeugt. Dennoch bleibt die Essenz des Meisterwerks spürbar, sodass die Klassiker weiterhin ihre Kraft behalten, auch wenn das Ergebnis stilistisch nicht jeden langjährigen Liebhaber von JETHRO TULL überzeugen wird.
(7 Punkte)
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(VÖ: 21.11.2025)



