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GAZPACHO – Magic 8-Ball

2025 (Kscope) - Stil: Epic Artrock

Es ist, als hätten GAZPACHO die Zeit selbst befragt – und die magische Kugel hat geantwortet. Fünf Jahre nach dem überwältigenden ´Fireworker´ kehren die norwegischen Klangarchitekten zurück, nicht als Wiederkehrer, sondern als Seher. ´Magic 8-Ball´ ist mehr als ein Album, es ist ein Orakel aus Klang, Schicksal und Identitätsverlust, ein philosophischer Kreis, in dem jeder Ton, jedes Echo, jede Stimme ein Fragment des ewigen „Vielleicht“ ist.

GAZPACHO bleiben das Paradoxon ihrer eigenen Kunst. Sie klingen vertraut und doch fremd, warm und unerreichbar, menschlich und übermenschlich zugleich. Ihre Musik ist kein Ort, sie ist ein Zustand, so etwa wie das Gefühl kurz vor dem Erwachen, wenn Traum und Realität noch miteinander verhandeln.

Der Auftakt ´Starling´ schwebt herein wie eine Erweckungsvision. Klavier, verhallte Streicher, eine Stimme aus Nebel und Erinnerung. „Let us be reborn“ – der Satz hallt durch die Leere wie ein Gebet, das sich selbst antwortet. GAZPACHO malen mit Schweigen, komponieren mit Schatten. Es ist ein Stück, das nicht beginnt und nicht endet, sondern einfach geschieht, so wie der Moment, in dem man erkennt, dass man längst Teil der Geschichte ist.

´We Are Strangers´ zieht den Kreis enger, führt hinein in die Städte der Geister. Elektronische Impulse aus alten Zeiten schlagen im Hier und Jetzt frische Funken zwischen den Fassaden, Synthesizer flimmern wie Leuchtreklamen über nassem Asphalt. „We are strangers, in the silver sky we fly“ – der Refrain ist ein kaltes Versprechen, ein Flug ohne Ziel, getragen von jener bittersüßen Melancholie, die nur GAZPACHO beherrschen. Zwischen Postrock, New Wave und Dystopie entfaltet sich ein urbanes Gebet für alle Verlorenen.

Mit ´Sky King´ erhebt sich der Blick gen Himmel – und nach innen. Der Gesang steigt erst wie Dampf über verbrannter Erde auf, die Gitarre flackert und die Drums beginnen, zu atmen. Es ist ein Song über Macht, Schuld und die Illusion der Kontrolle. Über einen König, der nie regierte, weil er nur träumte. Hier kulminiert der GAZPACHO’sche Mikrokosmos aus Erhabenheit und Zerfall, so wie ein leuchtendes Reich auf den Trümmern des Ichs.

´Ceres´ öffnet das Tor zur Erde. Eine archaische Figur, Mutter und Richterin zugleich, ruft letztlich ihre Kinder heim – „to be reborn“. Zwischen Violine und Synthesizer schimmert das sakrale Licht des Verfalls, organisch, warm, unerbittlich. ´Gingerbread Men´ schlägt dagegen den Bogen in die Gegenwart und ist ein Märchen aus Beton und Blut. Regen fällt, Autos rasen vorbei, Träume werden gewaschen. Es ist der Klang moderner Vergänglichkeit, die Poesie des Untergangs.

Im Titelstück ´Magic 8-Ball´ begegnen wir dem eigentlichen Kern des Albums. Ein groteskes Kabinett aus Music Hall-Melancholie, Schicksalsironie und absurdem Humor. Der Takt stolpert, die Stimmen tanzen, während das Schicksal würfelt. „Your idea“ – ruft die Kugel, und irgendwo lacht das Universum.

Dann kommt ´Immerwahr´ – ein Monolith aus Klang und Bedeutung. Ein Stück, das sich langsam aufbaut wie eine Erinnerung, die man zu lange verdrängt hat. Klavier, Streicherschatten, Schlagzeug wie Herzschläge im Nebel. Die Themen kreisen um Schuld, Verblendung und die fragile Schönheit des Wissens.

Und schließlich ´The Unrisen´. Kein Finale, sondern ein Hinübergleiten. Ein Schiff der Erinnerung auf einem Meer aus Licht. Stimmen flüstern, Instrumente atmen, alles löst sich auf in jenem melancholischen Schweben, das GAZPACHO seit ´Night´ auszeichnet. Der Himmel bleibt schwarz, doch irgendwo im Nichts glimmt ein Rest von Hoffnung.

´Magic 8-Ball´ ist ein Zyklus über Identität, über Schicksal und darüber, was bleibt, wenn die Würfel gefallen sind. Es ist die stille Explosion eines Gedankens, der sich weigert zu sterben. Wie beim „Schiff des Theseus“ verwandeln sich die Songs Stück für Stück, jeder Ton ein Plankenwechsel am eigenen Ich. Und doch bleibt das Wesen erhalten, flüchtig, brüchig und unendlich.

GAZPACHO haben den Prog längst hinter sich gelassen. Sie sind zu Chronisten der Zwischenwelten geworden, zu Klangalchemisten des menschlichen Zustands. Ihr zwölftes Studioalbum ist weder Konzept noch Zufall, es ist ein Spiegel, in dem das Schicksal zurückblickt. Am Ende, wenn der letzte Ton der beinahe durchgehend von atmosphärischer Spannung und erzählerischer Tiefe lebenden Kompositionen verklingt, will man nur noch eines: die Kugel noch einmal rollen lassen.

PS: Der „Magic 8 Ball“, diese schwarze Spielkugel aus den Fünfzigern, verbirgt einen zwanzigseitigen Würfel, der jede Frage beantwortet – von „It is certain“ bis „very doubtful“. Wie beim Umdrehen der Kugel und Warten auf die Antwort navigieren auch GAZPACHO durch die Unwägbarkeiten des Schicksals – mit den großen Momenten in ´Starling´, ´We Are Strangers´, ´Gingerbread Men´, ´Immerwahr´ und ´The Unrisen´ – mal zufällig, mal vorhersehbar, immer faszinierend unberechenbar.

(8,5 Punkte)

https://www.facebook.com/Gazpacho.Official.BandPage


(VÖ: 31.10.2025)

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