
MR. BUNGLE – Mr. Bungle
1991/2025 (Warner/Rhino) - Stil: Rock, Experimental
Als MR. BUNGLE im Sommer 1991 ihr erstes Album über “Warner Bros. Records” veröffentlichten, war nichts und niemand auf dieses Stück musikalischer Anarchie vorbereitet. Das Werk trägt schlicht den Bandnamen, doch in seinem Inneren tobt ein Kampf aus Stilbrüchen, Klangexperimenten und grotesker Spielfreude, der bis heute wie ein Fiebertraum zwischen Genie und Wahnsinn wirkt.
Mike Patton, damals frisch als Sänger von FAITH NO MORE berühmt geworden, nutzt hier die völlige Freiheit, die ihm seine alte Schülerband gewährt. Zusammen mit Trey Spruance an der Gitarre, Trevor Dunn am Bass, Danny Heifetz am Schlagzeug sowie den Bläsern Clinton „Bär“ McKinnon und Theo Lengyel entfesselt er ein Klangbild, das jede Grenze sprengt. Produzent John Zorn, selbst ein Virtuose des musikalischen Chaos, sorgt dafür, dass die Wucht dieser Ideen nicht in Beliebigkeit zerfällt. Er hält die Fäden zusammen, während die Musik gleichzeitig in alle Richtungen zu explodieren scheint.
´Mr. Bungle´ ist kein Album, das sich einfach nebenbei konsumieren lässt, es fordert seine Hörer heraus. Innerhalb weniger Sekunden kippt eine Passage von Jazz in Thrash Metal, von Funk in Zirkusmusik, von bossa-haftem Easy Listening in Krach und Stille. Wo andere Gruppen versuchen, verschiedene Einflüsse harmonisch zu verweben, prallen sie hier ungebremst aufeinander. Diese Reibung ist kein Zufall, sondern Methode. MR. BUNGLE interessieren sich nicht für Harmonie, sondern für die Energie, die entsteht, wenn sich Stile gegenseitig zerlegen.
Schon das eröffnende ´Quote Unquote´ (im Original wegen seines alten Titels ´Travolta´ von “Warner” leicht zensiert) führt mitten hinein in diese verstörende Welt. Bedrohliche Keyboardflächen und ein von Wahnsinn umzingelter Rhythmus treiben Mike Pattons Stimmen durch ein Labyrinth aus sakraler Andacht und Slapstick-Hysterie. Der Song wirkt wie ein Albtraum, der sich selbst kommentiert, majestätisch, bizarr und vollkommen unberechenbar.
´Slowly Growing Deaf´ entfaltet sich wie ein fiebriges Stück Drogenpsychose, das sich in seiner Struktur zunächst fast an Progressive Rock anlehnt, bevor es in Free Jazz und metallischen Lärm übergeht. Immer wieder tauchen fragile Momente auf, als wolle die Band kurz Luft holen, nur um diese Ruhe gleich darauf wieder zu zerschlagen. Die Musik wirkt hier wie eine halluzinatorische Spirale, in der sich Wahrnehmung und Geräusch zu einem fiebrigen Flimmern vermischen.
Mit ´Squeeze Me Macaroni´ treiben MR. BUNGLE ihre Zirkuslogik ins Extreme. Funkige Slap-Bässe, hysterische Gesangsausbrüche und pornografische Wortspiele verschmelzen zu einer Art musikalischem Cartoon, der alles gleichzeitig verspottet und feiert, was Popmusik an Übertreibung zu bieten hat. Es ist ein Stück purer Körperlichkeit, überdreht, sexuell aufgeladen und mit einer Energie vorgetragen, die man fast körperlich spürt.
´Carousel´ führt diese Überdrehtheit in eine andere Richtung. Die Musik verwandelt sich in eine krumme Jahrmarktsparade mit Ska-Einschüben, die zwischen kindlicher Naivität und unterschwelliger Bedrohung pendelt. Patton klingt, als würde er gleichzeitig lachen und schreien, während Trey Spruance’ Gitarre Melodien zersägt, die wie zerrissene Fetzen einer Erinnerung wirken. Der Song ist gleichermaßen verspielt und unheimlich, eine Art Kinderlied aus der Hölle.
Das ausgedehnte Stück ´Egg´ entfaltet sich über knapp zehn Minuten und wirkt dabei wie ein surrealer Monolog. Aus seiner bizarren Erzählweise und den ständig wechselnden musikalischen Stimmungen entsteht eine seltsame Spannung, so als würde sich der aufgestaute Wahnsinn kurz neu sortieren, bevor er erneut in chaotische Eskapaden ausbricht.
´Stubb (A Dub)´ ist fast schon ein Mini-Hörspiel, eine skurrile Parabel über einen toten Hund, die sich musikalisch zwischen Trauermarsch, Kinderlied und dadaistischem Spektakel bewegt. Die Band formt aus absurden Textfetzen, traurigen Bläsern und plötzlichen Taktwechseln ein Stück, das grotesk und berührend zugleich wirkt, zwischendurch natürlich immer wieder von schnellen Ska-Passagen unterbrochen, die einen bizarren Kontrast zu den düsteren Momenten schaffen.
In ´My Ass Is On Fire´ kehrt die Gewalt zurück. Hier dominiert ein explosiver Wechsel zwischen metallischer Raserei und jazziger Verwirrung. Patton schreit, röchelt, lacht, während Bass und Gitarre wie in einem epileptischen Duett gegeneinander anrennen. Das Stück gleicht einem Zusammenbruch im grellen Licht, chaotisch, schmerzhaft und faszinierend.
Mit ´The Girls Of Porn´ treiben MR. BUNGLE ihre Lust am Abgründigen auf die Spitze. Der Song mischt laszive Funk-Rhythmen mit billig wirkenden Samples aus Pornofilmen und grotesk überzeichneter Erotik, bis die ganze Szenerie kippt und nur noch der hohle Nachhall der Begierde bleibt. Hier zeigt sich Pattons Fähigkeit, jede Emotion in Karikatur zu verwandeln, Lachen und Ekel liegen eng beieinander.
´Love Is A Fist´ wirkt schließlich wie ein wütender Kommentar auf all das, was zuvor verspielt wurde. Der Song ist ein schmutziger Hybrid aus Hardcore, Thrash und Funk, bei dem Danny Heifetz’ Schlagzeug unnachgiebig treibt, während Trey Spruance und Trevor Dunn die Grenzen rhythmischer Kontrolle ausreizen. Die Musik schlägt, als wolle sie den Hörer wachrütteln, roh, direkt und körperlich.
Am Ende steht mit ´Dead Goon´ ein düsterer Abgesang, der den ganzen Irrsinn noch einmal bündelt. Das Stück beginnt mit schleppenden Grooves, steigert sich in fiebrige Jazz-Fragmente und endet in einem dissonanten, fast erlösenden Zusammenbruch. Man hat das Gefühl, als würde der Zirkus seine Manege abbauen und das Publikum in gespenstischer Stille zurücklassen.
Hinter dieser Zirkushaftigkeit liegt eine beeindruckende musikalische Präzision. Trevor Dunns Bassläufe tanzen zwischen Funk und Free Jazz, Trey Spruance schneidet kantige Riffs in absurde Harmonien, Danny Heifetz hält trotz der wilden Taktwechsel alles mit akribischer Genauigkeit zusammen. John Zorns Produktion lässt die Stücke klingen, als würden sie sich ständig selbst hinterfragen, sauber, aber nie glatt.
Drei Jahrzehnte später hat dieses Album nichts an Wucht verloren. Es bleibt ein Monument des musikalischen Eigensinns, das beweist, dass Extreme nicht nur provozieren, sondern auch befreien können. ´Mr. Bungle´ ist weniger ein Werk im klassischen Sinn als ein schillerndes Experiment über das, was Musik alles sein darf. Wer sich darauf einlässt, hört nicht nur eine Band, sondern ein ganzes Theater aus Stimmen, Stilen und Ideen, das sich weigert, stillzustehen.
Im vergangenen Jahr brachte “Warner” unter dem Dach von “Rhino” erstmals die ersten drei Studioalben von MR. BUNGLE in einer limitierten 6-LP-Box heraus – eine Veröffentlichung, die die Klanggewalt und den Wahnsinn dieser Band endlich wieder in würdiger Form zugänglich machte.
Nun erscheinen die Alben auch einzeln im Rahmen der „Rhino Rocktober 2025“-Reihe, und ´Mr. Bungle´ eröffnet diese Serie in angemessen opulenter Gestalt. Die Neuauflage kommt als doppelte Farb-Vinyl-Ausgabe, sorgfältig remastert und in limitierter Stückzahl gefertigt.
Schon beim ersten Auflegen spürt man, dass diese Musik nichts von ihrer Sprengkraft verloren hat. Sie klingt immer noch so frisch, so unberechenbar und so abgründig verspielt, als wäre sie gestern aufgenommen worden – ein Beweis dafür, dass wahre Grenzüberschreitung keine Patina kennt.
Meisterlich.
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