
SONNY ROLLINS – Way Out West UHQR
1957/2025 (Analogue Productions) - Stil: Jazz
Sonny Rollins war schon immer ein Grenzgänger. Geboren 1930 in New York City, wuchs er im Herzen von Harlem und auf Sugar Hill auf, ein Kind der Karibik, das früh die Musik entdeckte. Mit sieben oder acht Jahren bekam er sein erstes Altsaxophon, verbrachte Stunden allein im Zimmer, als würden die Wände seines Zimmers die Weite der Welt abbilden. Schon bald wechselte er zum Tenor, beeinflusst von Coleman Hawkins, und spielte in Bands mit zukünftigen Größen wie Jackie McLean, Kenny Drew und Art Taylor. Die frühen Aufnahmen mit Miles Davis, Thelonious Monk und Charlie Parker zeigten schnell, dass Sonny Rollins kein Nachahmer war, sondern ein Musiker, der seine eigene Sprache suchte, kraftvoll, leidenschaftlich, unberechenbar und immer auf der Suche nach Freiheit. Nach Jahren des Aufstiegs, Drogenproblemen und Gefängnisaufenthalten stand Sonny Rollins 1957 an einem neuen Punkt und war bereit, die Jazzlandschaft erneut herauszufordern.
Die Session für ´Way Out West´ begann um drei Uhr morgens im Studio von “Contemporary Records” in Los Angeles, um den vollen Terminkalendern der Musiker gerecht zu werden. Sonny Rollins am Tenorsaxophon, Ray Brown am Bass und Shelly Manne am Schlagzeug, zwei Musiker, die Sonny Rollins zuvor nie getroffen hatte. Kein Piano, keine Gitarrenakkorde, nur die nackte Freiheit eines Trios. Vier Stunden später, nach der Hälfte der Aufnahmen, hätten alle erschöpft sein müssen. Stattdessen rief Sonny Rollins: „Ich bin jetzt heiß!“ Shelly Manne, seit 24 Stunden wach, sagte: „Mann, ich habe Lust zu spielen.“ Ray Brown lächelte nur. Diese Mischung aus Erschöpfung, Konzentration und Humor war die perfekte Grundlage für ein Album, das zu einem Klassiker werden sollte.
Die Platte öffnet sich mit ´I’m An Old Cowhand´, geschrieben von Johnny Mercer und bekannt durch Bing Crosby. Shelly Manne setzt die Hufe eines imaginären Pferdes auf den Boden, und Sonny Rollins steigt ein, sein Tenor schwingt locker, jede Note ein Zwinkern, jeder Lauf ein Ritt über die Prärie. Ray Brown trägt den Boden, tief und zuverlässig, während Sonny Rollins die Melodie mit der Lässigkeit eines Cowboys ausspielt. Humor und Virtuosität verbinden sich, und man spürt, wie der Tenor die Narrative des Wilden Westens ins Studio trägt. Die Musiker schenken einander Raum. Sonny Rollins führt, aber Ray Brown und Shelly Manne antworten, ergänzen und kommentieren, als würden sie die Szene eines Films live untermalen.
Dann folgt ´Solitude´ von Duke Ellington. Die Wahl dieser Ballade mag zunächst ungewöhnlich erscheinen, doch Sonny Rollins wusste genau, was er tat. Die Melodie spiegelt die Einsamkeit des Cowboys wider, der durch endlose Weiten reitet. Sonny Rollins’ Tenor atmet, flüstert und brennt zugleich. Ray Browns Bass ist wie ein Schatten, der ihn begleitet, Shelly Manne setzt Akzente, die den Raum zwischen den Noten füllen. Es ist ein Moment der Intimität, in dem die Stille selbst zur Musik wird, ein Sonnenuntergang über Monument Valley, eingefangen in Tönen.
Mit ´Come, Gone´ bricht Sonny Rollins wieder auf. Die Komposition, inspiriert von dem Standard ´After You’ve Gone´ aus dem Jahre 1918, ist schnell, ungestüm, ein energetisches Post-Bop-Stück. Sonny Rollins dominiert die Szene wie ein Koloss, doch er teilt den Raum großzügig. Shelly Manne liefert ein treibendes Schlagzeugsolo, Ray Brown antwortet mit melodischer Sicherheit, und Sonny Rollins’ Tenor schwebt darüber, wild, überraschend, immer kontrolliert. Es ist Improvisation in Reinform, ein Dialog voller Energie und Präzision, in dem jeder Ton eine neue Möglichkeit öffnet.
´Wagon Wheels´ ist der filmische Höhepunkt des Albums. Über zehn Minuten entfaltet sich das Stück wie ein Cinemascope-Western. Ray Brown und Shelly Manne eröffnen die Landschaft, langsam, majestätisch, wie Tumbleweeds, die über die Prärie rollen. Sonny Rollins tritt ein, hell und ausladend, jeder Ton wie ein Sonnenstrahl über den endlosen Weiten des Westens. Die Weite der Szene erlaubt es ihm, die Phrasen auszudehnen, zu spielen, zu pausieren, den Raum zu atmen. Shelly Manne ist präzise, aber nie aufdringlich, Ray Brown fundiert das Stück wie ein Fels in der Brandung. Sonny Rollins’ Improvisationen wirken spontan, doch jeder Satz ist genau gesetzt, wie ein Ritt über endlose Horizonte.
´There Is No Greater Love´ bringt einen Moment der Ruhe und Tradition. Sonny Rollins interpretiert den Standard mit der Sensibilität eines erfahrenen Geschichtenerzählers. Die Melodie schwankt zwischen sanfter Lyrik und einem harschen Unterton, Ray Brown erzählt seine eigene Geschichte am Bass, Shelly Manne ergänzt mit subtilen Akzenten. Jeder Musiker ist präsent, keiner dominiert, die Balance ist perfekt. Die Kombination aus bekannten Harmonien und Sonny Rollins’ freier, fast spielerischer Improvisation macht den Song zugleich vertraut und neu.
Den Abschluss bildet der Titelsong ´Way Out West´, Sonny Rollins’ eigene Komposition. Hier verschmelzen Humor, Virtuosität und cineastische Weite zu einem einzigen Moment. Sonny Rollins schreitet voran, Ray Brown und Shelly Manne folgen, nicht aufdringlich, aber unverzichtbar. Es ist ein Tanz auf offener Bühne, ein Ritt über bekannte und unbekannte Pfade, ein Moment, der sowohl die musikalische Freiheit als auch die tiefe Verbundenheit der Musiker zeigt. Der Song spiegelt Sonny Rollins’ Kindheitsträume wider, seine Liebe zu Westernfilmen, seine Vorstellung von Weite und Utopie, die er immer in seine Musik einfließen ließ.
Die Session war voll kleiner Anekdoten, die die Nacht lebendig werden lassen. Sonny Rollins scherzte über Titel wie ´After You’ve Come´, Ray Brown brachte alle zum Lachen, Shelly Manne spielte mit einem Humor, der nie die Ernsthaftigkeit des Spiels störte. Diese Momente zeigen, dass ´Way Out West´ nicht nur ein musikalisches Meisterwerk ist, sondern auch ein Spiegelbild der Dynamik, der Kreativität und der Persönlichkeit dieser drei Musiker.
´Way Out West´ ist ein Statement der Freiheit. Sonny Rollins zeigt, wie viel Raum ein Trio ohne Harmonien bieten kann. Humor, Mut, Intelligenz und Leidenschaft durchziehen dabei jede Note. Wie auf dem berühmten Coverfoto des berühmten Jazzfotografen William Claxton – Sonny Rollins in Westernkleidung, Saxophon in der Hand, Blick in die Weite – steht er für eine Ära, in der Jazz neue Horizonte eroberte. Ein Album, das noch heute leuchtet, wie die Sonne über der Mojave-Wüste, und daran erinnert, dass wahre Freiheit immer im Spiel beginnt.
Achtundsechzig Jahre nach diesen legendären Aufnahmen hat ´Way Out West´ eine neue, fast magische Inkarnation gefunden: die UHQR-Vinylneuauflage von “Analogue Productions”. Vier Seiten, 200 Gramm schweres Clarity Vinyl, abgespielt bei 45 RPM – jede Note, jeder Atemzug, jedes minimale Rütteln der Trommeln wird hörbar. Mastered AAA von Bernie Grundman direkt von den originalen Analogbändern, in einer nummerierten Auflage von nur 2.750 Exemplaren. Dazu ein Deluxe-Booklet mit 16 Seiten, das die Geschichte von “Contemporary Records” erzählt und neue Linernotes von John Koenig enthält, Sohn des Labelgründers. Alles verpackt in einem Stoughton Printing Old Style Tip-On Gatefold Jacket mit kratzresistenter, matter Oberfläche – optisch wie akustisch ein Meisterwerk.
Die UHQR-Neuauflage ist mehr als nur eine Replik. Sie ist ein unvergleichliches Erlebnis, das mit höchster Sorgfalt hergestellt wurde, um den bestmöglichen Klang zu erzielen. Der Tenor von Sonny Rollins klingt satter, wärmer, unmittelbarer. Shelly Mannes Becken funkeln, seine Trommeln tragen Luftbewegung in den Raum, Ray Browns Bass pulsiert kraftvoller als je zuvor.
Wenn man die Nadel aufsetzt, beginnt sofort die Illusion. Man sitzt in einem kleinen Club, Zeit und Raum lösen sich auf, Sonny Rollins’ Tenor schwingt über Ray Brown und Shelly Manne, die Bühne ist lebendig, das Spiel unmittelbar, transparent, dreidimensional. Von ´I’m An Old Cowhand´ bis zum finalen ´Way Out West´ entfaltet sich die Musik in einer Tiefe, die jede alte Pressung verblassen lässt. Die UHQR-Version lässt die legendäre Session neu aufleben – die kleinen Dialoge, die subtilen Akzente, die Weite und Intimität des Trios werden hörbar, wie man sie zuvor nur erahnen konnte.
Dieses Vinyl ist eine Reise in eine andere Epoche, ein Symbol des Jazz, ein musikalisches Meisterstück. Wer ´Way Out West´ auf dieser UHQR-Edition hört, erlebt Sonny Rollins’ Meisterschaft in ihrer reinsten, unmittelbarsten Form, frei, mutig, humorvoll und unvergesslich. Ein Sammlerstück, das nicht nur den höchsten Ansprüchen an Klangtreue genügt, sondern die Essenz eines Moments einfängt, der 1957 entstand und bis heute nachwirkt. Wer dieses Vinyl besitzt, hält nicht nur Musik in den Händen, sondern die Luft, die Energie und die grenzenlose Weite einer Nacht im Studio mit einem der größten Jazzmusiker aller Zeiten.
(Klassiker)
Sonny Rollins – Tenorsaxophon
Ray Brown – Bass
Shelly Manne – Schlagzeug
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