
HAWKWIND – Hall Of The Mountain Grill
1974/2025 (Atomhenge/Cherry Red Records) - Stil: Space/Progressive/Psychedelic Rock
HAWKWIND sind seit jeher ein fliegender Zirkus zwischen Mythos, Motorik und Metaphysik. Ende ’69 in den wilden Straßen von Ladbroke Grove gestartet, standen sie nie einfach nur als Band auf der Bühne. Sie waren Bewegung, Ritual, ein Sturm aus leuchtender Energie. Aus improvisierten Jams, LSD-überzogenen Nächten und anarchischen Free Festivals wuchs ein Sound, der nach Sternen roch und nach nassem Asphalt schmeckte. Eine Musik, die weniger Songs spielte als vielmehr Pforten zu anderen Welten aufstieß.
Bis 1974 hatte die Crew schon etliche Häutungen hinter sich. Musiker kamen und gingen, Dichter wie Michael Moorcock warfen Worte ins All, Tänzerinnen wie Stacia bemalten die Luft mit Körpern. Doch mit ´Hall Of The Mountain Grill´ betrat mit Simon House – klassisch geschult, Meister der Violine und des Mellotron – eine neue Kraft das Schiff. Er brachte eine symphonische Weite in den HAWKWIND-Kosmos, ein schimmerndes Gegengewicht zu Lemmys irdischem Donnerbass und Nik Turners wilden Blasattacken.
Der Name des Albums entstammt nicht etwa Griegs Bergkönig allein, sondern einem Café in Notting Hill, wo Freaks, Dichter und Musiker Tee tranken, kifften und Pläne schmiedeten. Im Obergeschoss des Cafés Mountain Grill arbeitete zeitweise sogar die Underground-Zeitung “International Times”. Damit ist der Titel nicht nur eine Verneigung vor einem schrägen Treffpunkt der Szene, sondern fast wie ein Standbild der Realität jener Tage, Kosmos und Curry auf demselben Teller.
Schon der Einstieg, ´The Psychedelic Warlords (Disappear In Smoke)´, zieht den Hörer mit einem treibenden Groove, Stimmen wie aus einem Chor der Schatten, Nik Turners Saxophon als Funkenregen ins Vakuum. Der Song ist eine Abflugrampe, die langsam in den schwarzen Himmel schießt. Direkt danach taucht ´Wind Of Change´ auf, ein stiller Strom aus Mellotron und Violine, eine Vision von Bäumen, die von Beton verschlungen werden, nur um am Ende doch im Nebel weiterzustehen. Dave Brock hatte dieses Stück tatsächlich für eine bestimmte Diaserie von Lichtmagier Liquid Len komponiert. Eine Geschichte von der Natur, die sich gegen die Stadt behauptet. Man hört, wie sehr Bild und Ton hier ineinanderflossen.
Dann rollt ´D-Rider´ heran, düster und schwer, ein Stück zwischen kosmischem Gospel und metallischem Vorbeben. Nik Turners Gesang schwankt, als würde er selbst durch interstellare Turbulenzen stürzen. ´Web Weaver´ wirkt hingegen fast unscheinbar, ein Geflecht aus Klavier und Akustikgitarre, doch es spannt Fäden, die den Rest des Albums zusammenhalten.
Diese Vinyl-Seite zeigt HAWKWINDs ganzen Erfindergeist. Treibend, hypnotisch und experimentell baut jeder Track auf dem vorherigen auf. Jeder Moment öffnet ein Fenster in den Raum und jeder Ton ist ein winziges, funkelndes Universum. Man spürt deutlich, dass die Band den Space Rock nicht nur spielt, sondern ihn lebt, und die Fahrt packt den Hörer schon bei den ersten Takten und lässt ihn nicht mehr los.
Auf der zweiten Seite der Platte erhebt sich ´You’d Better Believe It´ wie ein monumentaler Felsen, ein Live-Monolith, in dem Lemmys Bass wie ein unaufhaltsamer Rammbock treibt, Dave Brock ihm im Chor folgt und Simon House mit seiner Geige über das Klangfeld zieht, strahlend und verspielt wie eine irre Country-Sonne über einer weiten Soundwüste. Die Drums von Simon King pulsieren unter der Oberfläche, mal subtil, mal aufbrausend, und schaffen eine rhythmische Spannung, die das Stück über die sieben Minuten hinweg trägt und gleichzeitig eine kosmische Weite eröffnet.
Darauf folgt das titelgebende Zwischenspiel ´Hall Of The Mountain Grill´, ein kurzes, pianobasiertes Stück, das wie ein stiller Atemzug zwischen zwei Raumstürmen wirkt. Simon Houses Mellotron und seine Violine verweben sich zu einem zarten Teppich, der die folgende Intensität von ´Lost Johnny´ vorbereitet. Letzteres ist ein roher, energiegeladener Rocker, in dem Lemmy nicht nur singt, sondern auch seinen Bass wie ein donnerndes Fundament einsetzt. Wie ein dreckiger Rock’n’Roller, der schon MOTÖRHEAD ankündigt. Dabei wirkt das Stück wie ein dunkles Porträt der Ladbroke-Grove-Szene, ein Spiegel von Exzess, Underground und der rauen Poesie jener Zeit.
Nach diesem Erdbeben breitet ´Goat Willow´ eine fast gespenstische Atmosphäre aus. Nik Turners Flöte und die spinettartigen Keyboards verweben sich zu einem kurzen, hypnotischen Intermezzo, das direkt in den Abschluss ´Paradox´ überleitet. Dort bauen Dave Brock und Lemmy zunächst auf einem scheinbar einfachen Rockriff auf, bis die Harmonien, die Violine und die kontrapunktischen Synthesizer den Song in eine rauschhafte, fast symphonische Explosion führen. Die mehrstimmigen Gesänge lassen den Hörer mit einem Gefühl des taumelnden Schwebens zurück, wie auf einer endlosen Orbitbahn zwischen kosmischen Klängen und pulsierender Erde.
Diese Seite der Platte ist eine Demonstration der perfekten Balance zwischen roher Rockenergie, orchestraler Eleganz und der unberechenbaren, halluzinogenen Freiheit, die HAWKWIND so einzigartig macht. Jeder Track fließt in den nächsten, als wäre das Album ein einziger, zusammenhängender Raumflug, und doch behält jeder Moment seine eigene Persönlichkeit, seinen eigenen Kosmos.
´Hall Of The Mountain Grill´ ist eine echte Erfahrung. Ein Werk, das zwischen Chaos und Klarheit tanzt, das rohe Energie und orchestrale Schönheit verbindet. Es zeigt, warum HAWKWIND nicht klingen wie jemand anders. Andere klingen wie sie. PINK FLOYD mögen Parallelen teilen, aber wo PINK FLOYD träumen, da taumeln HAWKWIND mitten hinein ins schwarze Loch, bewaffnet mit Verstärkern, Rauch und schamanischem Humor.
Dies hier ist kein glatter Rock oder Prog. Es ist der fettige, schwitzende, brodelnde Imbiss im Universum, wo der Tee mit Schuss nachgefüllt wird, die Teller nie leer werden und hinter dem Fenster die Galaxien vorbeiziehen. Ein Kultklassiker des Space Rock, ein Album, das man nicht vergisst. Oder wie Lemmy später sagte, das war unsere Hochphase. Punkt.
´Hall Of The Mountain Grill´ bleibt bis heute einer dieser Momente, in denen Rockmusik das tut, was sie tun soll, Grenzen sprengen.
Das Cover von Barney Bubbles zeigt ein abgestürztes Raumschiff im Nebel und wird zum Symbol für die Musik selbst. Die Maschine ist kaputt, doch sie wirkt schöner als alles, was jemals fliegen wollte. Sie erzählt von Absturz und Freiheit, von Chaos und Schönheit zugleich und fängt das Wesen der Platte in einem einzigen Bild ein.
´Hall Of The Mountain Grill´ erscheint aktuell auf Vinyl als Remastered-Release mit Bonus 45rpm LP, inklusive Single-Versionen von ´You’d Better Believe It´, ´Paradox´ und ´The Psychedelic Warlords´ sowie dem B-Seiten-Track ´It’s So Easy´.
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