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LARS FREDRIK FRØISLIE – Fire Fortellinger

2023 (Karisma Records) - Stil: Progressive Rock

Es gibt Debütalben, die wirken nicht wie der Anfang, sondern wie ein Vermächtnis. ´Fire Fortellinger´, das erste Soloalbum von Lars Fredrik Frøislie, ist genau so ein Werk. Vier Geschichten, vier Klanggemälde – jede einzelne entfaltet sich wie ein Mythos, getragen von alten Instrumenten und einer Sprache, die in ihrer nordischen Schwere und Schönheit unmittelbar berührt.

Lars Fredrik Frøislie ist kein Musiker, der einfach nur spielt, er kreiert Räume. Mit Hammond, Mellotron, Moog und einer ganzen Sammlung alter Tasteninstrumente baut er Kathedralen aus Klang. Dazu singt er auf Norwegisch, spielt Schlagzeug und bedient jedes Instrument außer dem Bass selbst. Letzteren übernimmt Nikolai Hængsle. ´Fire Fortellinger´ ist damit nicht nur ein Soloalbum, es zeigt seine musikalische, monumentale Handschrift.

Rytter Av Dommedag (16:56)

Fast siebzehn Minuten lang reitet man mit diesem “Ritter des Jüngsten Tages” durch eine Landschaft, die von apokalyptischer Größe ist. Zunächst nur ein fernes Grollen aus Mellotron und Orgel, dann baut sich das Stück auf, Schicht um Schicht. Die ersten Motive erinnern sogleich an die Siebzigerjahre – rhythmisch, fordernd und voller Energie. Doch Lars Fredrik Frøislie lenkt die Stimmung bald in ruhigere Gefilde. Zarte Stimmen, getragen von einem elektrischen Klavier, erklingen fast wie ein alchemistisches Ritual im Mittelalter.

Die Lyrics zeichnen eine Welt in der Winterdämmerung, in der Träume von Schnee zugedeckt werden und das Leben archaisch, rau und einfach ist – “bærer ved og henter vann i fjellbekken”. Doch hinter dieser Einfachheit lauert eine wilde Natur, eine brutale Wildnis, in die man sich freiwillig hineinbegibt, bis “Moos auf uns wächst und die Knochen zerfallen´. Diese apokalyptische, aber auch existenzielle Bildsprache verschmilzt mit den musikalischen Wellen von Untergang und Wiederauferstehung. Am Ende wirkt das Stück wie ein Zyklus, ein Requiem und ein Neubeginn zugleich.

Et Sted Under Himmelhvelvet (6:53)

“Ein Ort unter dem Himmelsgewölbe” – so klingt es auch. Nach der monumentalen Eröffnung senkt sich die Musik hier wie Tau auf eine Wiese. Harpsichord und zarte Flötenklänge vom Chamberlin eröffnen die Szene. Dann setzt die Stimme ein, warm, getragen, beinahe pastoral. Der Bass von Nikolai Hængsle bringt Tiefe, eine Art Wurzelwerk, während Mellotron und Orgel sich wie Äste darüber verweben.

Im Text taucht man in eine mythische Verfolgungsjagd. Eine Kutsche stürzt, die Sonne wird schwarz und rot wie Blut, und plötzlich herrscht Dunkelheit. Die Flüchtenden irren wie Geister durch den Wald, und der Wind wird zu ihrer klagenden Stimme. Hier, wo Musik und Wort ineinanderfallen, wirkt der Song wie ein kurzer Blick in eine nordische Saga, episch und schicksalsschwer, doch getragen von der Schönheit des Moments.

Jærtegn (6:27)

“Zeichen und Wunder” – genau das ist dieses Stück. Es beginnt unmittelbar, ohne Umschweife, mit einer treibenden, rockenden Hammond-Orgel. Ein Song, der Energie hat, der keine langen Umwege geht. Doch Frøislie wäre nicht Frøislie, wenn er es dabei beließe. Zwischendurch tauchen Melodien auf, die wie geheimnisvolle Omen wirken. Ein seltsamer, sirenenhafter Klang – fast wie ein Theremin – erhebt sich und gibt der Musik eine unirdische Farbe.

Die Lyrics spiegeln diese Doppeldeutigkeit wider. Ein Träumer, der “unter dem Baum” liegt, vom Salzgeruch der Küste umweht, umgeben von Gärten, Statuen und Erinnerungen an eine vergangene, fruchtbare Welt. Alles wirkt gleichzeitig vertraut und entrückt, als ob diese Zeichen aus einer anderen Zeit stammen, ein “Echo” einer Zivilisation, die noch in den Steinen nachhallt. Der Song bekommt so eine fiebrige Intensität, eine Spur von Vision und Déjà-vu.

Naturens Katedral (16:36)

Das Finale ist monumental. “Die Kathedrale der Natur” erhebt sich langsam aus einem dichten Klangfundament. Zunächst wirkt alles wie eine Prozession. Schwere Orgelakkorde, getragenes Schlagzeug, ein Gesang, der zwischen Beschwörung und Gebet liegt. Bald verzweigen sich die Themen – ein Wechselspiel zwischen dunklen, bedrohlichen Harmonien und lichten, fast barocken Passagen. Ein Harpsichord-Abschnitt klingt wie Saiten in einer alten Burg, während das Mellotron Chöre heraufbeschwört, die wie Geister durch die Hallen ziehen.

Der Text entfaltet dazu eine düstere, apokalyptische Mythologie. Ein König schläft seit Jahrhunderten unter Stein und Torf, und sein Erwachen würde den Untergang bringen. Bilder von Ragnarök durchziehen die Verse – Fimbulwinter, die entfesselte Wolfsgestalt, die Schlange, die das Meer durchschneidet, Hörner, die den Untergang verkünden. Und doch, inmitten dieser Katastrophe klingt auch etwas Heiliges an – “et hellig sted hvor fortid møter oss”. Die Musik schwillt im letzten Drittel an wie ein Sturm über den Fjorden und entlädt sich in einem strahlenden Schlussakkord, wie eine Naturkathedrale, die sich im Klang offenbart.

´Fire Fortellinger´ ist mehr als eine Hommage an den Progressive Rock der Siebziger. Es ist seine Wiedergeburt, getragen von analogem Zauber, von Geschichten in einer alten Sprache, von einer tiefen Liebe zur Natur und zur Musikgeschichte. Wo andere im Retro steckenbleiben, erhebt Lars Fredrik Frøislie eine neue Stimme. Dieses Album ist wie ein Wald, es ist dunkel und licht zugleich, voller verschlungener Wege sowie voller Geheimnisse. ´Fire Fortellinger´ ist ein Debüt und doch schon ein Meisterwerk.

(9,5 Punkte)

https://www.facebook.com/larsfredrikfroislie

 

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