MeilensteineVergessene Juwelen

JANIS IAN – Breaking Silence

1992/2017 (Analogue Productions) - Stil: Rock/Folk

Es gibt Stimmen, die tragen mehr als Melodien, sie tragen ganze Lebensgeschichten. Janis Ian gehört zu jenen seltenen Künstlerinnen, deren Lieder wie heimliche Briefe wirken, die uns seit Jahrzehnten begleiten.

Geboren 1951 in Farmingdale, New Jersey, war sie kaum dem Teenageralter entwachsen, als sie 1966 mit ´Society’s Child´ die amerikanische Folkszene aufrüttelte. Ein Lied über ein Thema, das damals kaum jemand aussprach. Und sie sang es mit einer Wahrhaftigkeit, die ihr den Platz in der Musikgeschichte früh sicherte. Mit ´At Seventeen´ schrieb sie 1975 die Hymne einer Generation, die sich nach Ehrlichkeit sehnte. Doch Janis Ian war nie die Sängerin, die im sicheren Hafen des Erfolges vor Anker ging. Ihre Laufbahn ist ein Weg voller Verluste und Neuanfänge sowie voller unverwechselbarer Werke.

1992 kehrte Janis Ian nach Jahren der Stille mit dem Album ´Breaking Silence´ zurück, geboren aus persönlichen Krisen, Krankheit und finanzieller Not. Sie nahm einen zweiten Kredit auf ihr Haus auf, weil kein großes Label mehr an sie glaubte. Die Aufnahmen entstanden nahezu live in Nashville, pur und direkt, ohne Synthesizer, Samples oder technische Tricks. Ihre Stimme, glasklar und voller Präsenz, erreicht hier vielleicht ihre reinste Form. Aus jeder Note ist herauszuhören, dass sie alles auf diese Aufnahmen setzte.

Schon die ersten Songs entfalten die ganze Bandbreite ihrer Kunst. ´All Roads To The River´, ursprünglich für einen John-Mellencamp-Film geschrieben, öffnet sich wie eine Einladung, weiterzugehen, egal wie schwer der Weg wird. Das Lied entstand während Janis Ian das Theaterstück “The Maids” von Jean Genet sah, und seine lyrische Tiefe spiegelt die Reflexion über menschliche Beziehungen und moralische Entscheidungen wider. ´Ride Me Like A Wave´, beinahe nicht aufgenommen, gilt heute als eine der sinnlichsten Aufnahmen ihres Œuvres, live ist es ein Publikumsliebling. ´Tattoo´, ein stiller Aufschrei gegen das Vergessen, thematisiert den Holocaust, und wurde von der niederländischen Regierung für das 50-jährige Kriegsende ausgewählt. Bereits hier zeigt Janis Ian die Vielfalt ihres künstlerischen Ausdrucks: Hoffnung, Sehnsucht und historische Erinnerung.

´Guess You Had To Be There´ blickt zurück auf die Sechzigerjahre, auf eine, die Gesellschaft prägende Zeit, melancholisch und zugleich voll leiser Ironie. ´What About The Love´ stellt Fragen nach Menschlichkeit und Mitgefühl in einer Welt voller Ideologien, die nichts an Aktualität verloren haben. ´His Hands´, ein kaum zu ertragendes Stück über häusliche Gewalt, wird von Janis Ian so schlicht und eindringlich gesungen, dass es direkt unter die Haut geht. ´Walking On Sacred Ground´ erinnert daran, dass jeder Schritt Gewicht hat, dass Respekt und Verantwortung nicht nur Worte, sondern Taten erfordern.

Das Album steigert sich letztlich bis zu seinem Herzstück, dem Titelsong ´Breaking Silence´ über Missbrauch, Gewalt und Tabus. Keine Anklage, eher ein Akt der Befreiung. Dazwischen finden sich Balladen wie ´Some People’s Lives´, später von Bette Midler zum Welthit getragen, oder ´Through The Years´, eine zarte, versöhnliche Rückschau auf ein gemeinsames Leben voller Höhen und Tiefen. ´This Train Still Runs´ ist ein trotziges Lied der Beharrlichkeit, das nach allem Schmerz weitergeht, während ´This House´ von Verrat und zerbrochenen Versprechen erzählt, als wären die Mauern stille Zeugen der Narben, die Menschen hinterlassen.

Das Album wurde 1993 für den Grammy als „Best Contemporary Folk Album“ nominiert und von der Kritik gefeiert. Seinen audiophilen Status gewann das Meisterwerk allerdings erst später.

Die ursprüngliche Aufnahme, bereits analog und nahezu live, wurde 2017 von “Analogue Productions” neu aufgelegt – auf 180g-Vinyl, in 45 RPM durch Kevin Gray bei “Cohearent Audio” von den analogen Originalbändern geschnitten.

Jede Nuance hörbar, der Bass tief und straff, die Höhen klar und transparent. Janis Ian erscheint dabei fast greifbar im Raum. Ein fast übersehenes audiophiles Meisterwerk, das die Verbindung von technischer Präzision und künstlerischer Intimität feiert.

Die wahre Größe von ´Breaking Silence´ liegt jedoch in der Haltung, aus der es entstanden ist. Janis Ian setzte alles auf ihre Kunst und schuf damit ein Werk voller Empathie, verletzlicher Kraft und entschlossener Stimme. ´Breaking Silence´ ist, gegen alle Widrigkeiten, ein Zeugnis dafür, dass wahrhaftige Musik stärker ist als jedes Schweigen.

(Klassiker)

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