
KEN McINTYRE – Looking Ahead
1961/2025 (Prestige/Original Jazz Classics ) - Stil: Jazz
Manchmal rauscht so ein Juwel wie das Debütalbum von Ken McIntyre, einem Meteor gleich, kaum beachtet, an der Oberfläche der Jazzgeschichte vorbei. ´Looking Ahead´ erschien 1961 auf dem legendären “New Jazz”-Label, aufgenommen mit niemand Geringerem als Eric Dolphy, und verbrachte sein Dasein meist im Schatten der großen Meisterwerke. Dabei treffen hier kluge Kompositionen auf freigeistige Improvisation, Disziplin auf Wagemut und Komplexität auf Groove.
Das Album ist kein wilder Free Jazz-Trip, aber auch kein Standard-Bop. Es ist der Sound eines Mannes, der den Blick über den Tellerrand wagt, gemeinsam mit Eric Dolphy, der das gerade zur Kunstform erhoben hat. Beide spielen Altsaxophon, beide greifen zur Flöte. Kein Wunder, Ken McIntyre besitzt den Bachelor in Flöte, Master in Komposition und später obendrein den Doktor in Curriculum Design. Bereits mit 19 entdeckt er das Altsaxophon, vorher das Flügelhorn, zwei Jahre später Flöte und Klarinette. Seine Wurzeln liegen bei Charlie Parker, seine Äste reichen bis in avantgardistische Gefilde. Doch ´Looking Ahead´ zeigt Ken McIntyre in einer anderen Rolle, als aufstrebenden Jazz-Komponisten mit Vision.
Eric Dolphy und Ken McIntyre wechseln sich zur Begrüßung in ´Lautir´ auf den Hörnern ab. Die Melodielinie ist kantig und zackig, die Soli grooven dennoch bis zum letzten Atemzug, an Altsaxophon und Flöte, am Piano durch Walter Bishop Jr., während Sam Jones und Art Taylor das rhythmische Rückgrat zimmern. In ´Curtsy´ erhöhen sie diese unnachahmliche Dringlichkeit, elegant, aber nicht weniger fordernd. Die Altsaxophone flirten miteinander, treten in einen Dialog, nicht in ein Duell, Ken McIntyre weich in seiner Stimme, Eric Dolphy eher schrill.
In ´Geo’s Tune´ verwendet Ken McIntyre pulsierende Rhythmen, während Eric Dolphy innerhalb der sieben Minuten schrille Linien durch den Track schießt, als wolle er dem Altsaxophon neue Vokale beibringen. Selbst dem fast konventionellen, einzigen Fremdtitel ´They All Laughed´ von den Gershwins schenken die beiden durch ein jazziges Augenzwinkern einen neuen Glanz, denn die Tonalitäten der beiden Altosaxophone geben sich wieder bittersüß gegen bitterwild.
Das beinahe elfminütige ´Head Shakin’´ eröffnet die B-Seite als ein langgezogenes Groove-Monster, zum Fingerschnipsen oder Kopfnicken. Walter Bishop Jr. swingt dazu mit Eleganz am Piano, derweil Sam Jones und Art Taylor den Rhythmus wie einen Herzschlag im Hintergrund halten. Eric Dolphys wildes Altsaxophonspiel, das immer wieder den Blues anklingen lässt, kontert Ken McIntyre luftig, fast tänzerisch an der Flöte.
Abschließend tänzelt Ken McIntyres Flöte im Neunminüter ´Dianna´ zum Dreivierteltakt, elegant und weich, als eine Reminiszenz an klassische, pastorale Formen. Eric Dolphy geht hingegen mit seiner Bassklarinette in dunklere, tiefere und erdigere Gegenden. Dabei verbinden sich die beiden Stimmen zu einem bittersüßen Abgesang auf ein Album, das man immer wieder auflegen will. Und das ist vielleicht das Beste, was man über Jazz sagen kann.
Dass dieses Album heute wieder erhältlich ist – als Teil der “Original Jazz Classics”-Serie auf 180g Vinyl, mit einem AAA-Mastering von Kevin Gray, geschnitten von den Rudy Van Gelder-Bändern und gepresst bei RTI – ist ein Geschenk. Verpackt im Stoughton Tip-On-Jacket, klingt es heute besser denn je. Warm, präsent, und voll jener Magie, die Vinyl immer dann entfaltet, wenn Jazz darin wohnt.
´Looking Ahead´ ist ein oft übersehener Klassiker, in dem zwei musikalische Freigeister den Jazz mit atemberaubender Leichtigkeit durchdringen, erforschen und erweitern, dabei stets auf Augenhöhe agieren und ein Werk erschaffen, das in der Jazztradition verwurzelt ist und dennoch offen in neue Klangräume aufbricht.
(Klassiker)
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Ken McIntyre – Altsaxophon , Flöte
Eric Dolphy – Altsaxophon, Bassklarinette , Flöte
Walter Bishop Jr. – Klavier
Sam Jones – Bass
Art Taylor – Schlagzeug