
MEGACE – Inner War
1999/2025 (Golden Core/ZYX Music) - Stil: Tech Thrash/Prog Metal
Nach dem entfesselten Debütalbum ´Human Errors´ war klar, MEGACE würden nicht einfach den Pfad des Erwartbaren beschreiten. Doch zunächst folgte ein zäher Stillstand im juristischen Niemandsland. Unstimmigkeiten mit ihrem Label “1MF Recordz” führten nicht nur zur Veröffentlichungspause, sondern die Band an den Rand der Auflösung.
Zwei Jahre lang kämpften sie nicht mit Riffs, sondern mit Paragrafen. Erst 1993, nach langem Rechtsstreit, war der Weg frei. Doch MEGACE wären nicht MEGACE, hätten sie nicht auch diesen Kampf in kreative Energie verwandelt. Zugleich ergab sich eine neue Besetzung. Gitarrist „Dirty“ Möller und Drummer Carsten Schubert verließen die Band noch im Jahr 1992. Für sie kamen Stefan Speidel an der Gitarre und nach einigen kurzen Gastspielen am Schlagzeug schließlich Andreas Düwel.
Schon das Demo ´Pseudo Identity´ aus dem Jahr 1994 deutete an, wohin der nächste evolutionäre Schritt gehen würde. Weniger Raserei, mehr Substanz und mehr Tiefe. Aber noch immer diese Stimme. Melanie Bock war nach wie vor keine Sängerin, die jedermann gefallen wollte. Ihr Gesang besaß allerdings nun mehr Klarheit, mehr Melodie, ohne auch nur ein Tröpfchen an Intensität zu verlieren.
Die Aufnahmen zum zweiten Album ´Inner War´ begannen schließlich im Jahre 1996 und verzögerten sich. Nicht aus Mangel an Ideen, sondern weil der Do-it-yourself-Geist zur Tugend wurde. Die Drums entstanden in den Hamburger “Hansen Studios”, alles Weitere wurde im bandeigenen „Arschweh-Studio“ aufgenommen. Stück für Stück, immer wenn Equipment von Kai Hansen oder Dirk Schlächter, beide GAMMA RAY, nicht gerade anderweitig gebraucht wurde. So wurde ´Inner War´ zu einem Album, das sich selbst Zeit nahm. Ein Werk, das langsam reifte. Gemixt von Charlie Bauerfeind, mit Bedacht und nicht mit Hast.
Als das Album 1999 über “Angular Records” erscheint, ist die Metalwelt eine andere. Thrash ist aus der Mode gekommen, doch MEGACE scheren sich nicht um angesagte Trends. ´Inner War´ kracht zwar weniger frontal als der Vorgänger, aber nicht weniger intensiv aus den Lautsprechern. Der Thrashfaktor ist somit gezügelt, aber nicht gezähmt. Die Musik öffnet sich für Melodien, für Nachdenklichkeit und für den inneren Konflikt. Die Songs verzichten auf die schnelle Wirkung und gewinnen stattdessen an Tiefe. Melanie Bock rückt stärker in den Fokus. Ihr Gesang, oft klar, oft schneidend, steht mehr denn je im Zentrum des Sounds. Gitarren, Drums, Bass – alles bleibt komplex und verschachtelt. Nur das Gewicht verlagert sich. Weg vom äußeren Aufruhr, hin zum inneren Krieg.
Der Auftakt der A-Seite heißt schlicht ´Cry´ und macht seinem Namen alle Ehre. Kein klassisches Intro, kein behutsamer Einstieg. Stattdessen fragmentierte Rhythmen, ein Gitarrengewitter ohne Vorwarnung. Eine Stimme, die nicht bittet, sondern klagt („Cry, cry, cry. I don’t know the answer why“.). Dieser musikalische Aufschrei ist ein Ringen um Klarheit inmitten innerer Zerrissenheit („Is it me who is confused?”). Die Antwort bleibt offen.
Mit ´Schweißnaht´ folgt der erste Bruch, sprachlich, stilistisch und thematisch. Deutsch, direkt und industriell. Der Sound klingt nach Metall und Fabrik. Der Text ist politisch, aggressiv und bitter („Jede Stimme ist bloß Dünger für den Kohl, dabei geht es um Menschen und ihr Wohl.“). Die Sprache schweißt nicht nur Worte, sondern ganze Weltbilder aneinander. Hier wird nicht diskutiert, hier wird durchgezogen.
Dann reduziert sich plötzlich ´Two´ auf das Minimum. Gitarren, die nicht antreiben, sondern zögern. Eine Stimme, die kaum mehr weiß, wovon sie spricht – oder für wen. Der Text verliert sich in der Frage nach dem Ich („Where are my ideas and my will. What have you done to me?“). Ein Song wie ein verlorenes und sich nicht mehr selbst erkennendes Echo.
Mit dem Titelsong ´Inner War´ gipfelt diese Selbstsuche in der inneren Spaltung. Zwei Gehirne, zwei Stimmen, kein Kompromiss („Thinking with two different brains. My thoughts carry me away.“). Die Musik bricht auf, fällt zurück, reißt sich wieder hoch, wie ein Kampf mit sich selbst. Am Ende steht keine Lösung, nur die schlichte Erkenntnis über den niemals endenden inneren Kampf („I fight my inner war. I don’t know how to stop.“).
Weniger emotional, dafür konzeptuell ist ´Ciphers´. Der Song denkt über Kommunikation nach, über das, was sie ermöglicht und begrenzt. Der Text stellt die Frage, ob wir wirklich offen sind für neue Perspektiven, oder ob uns unsere Muster längst blind gemacht haben („This view will keep you from new dimensions.“), denn sicherlich ist die Sehnsucht, andere Denkformen verstehen zu können, äußerst menschlich.
Mit ´Synchronicity I´ greifen MEGACE zu fremdem Material und machen es sich zu eigen. Was bei THE POLICE spirituell und schwebend klang, wirkt hier kühler und analytischer („A connecting principle. Linked to the invisible. Almost imperceptible.“). Die Band zeigt, auch das Unaussprechliche kann in Maschinenrhythmen sprechen, wenn man nur genau genug hinhört.
Mit ´Industrial Dictatorship´ greift das Album auf der B-Seite wieder an. Und zwar frontal. Der Text ist ein Abgesang auf den Glauben an moralischen Fortschritt in einer technokratischen Gesellschaft („Suppressed morality dictates what you do. Slave of success, hidden dependence.“). Zwischen Kaltschnäuzigkeit und Verzweiflung bleibt nur eine Frage („Why do you lead them astray?“) übrig.
Im erlesenen Stück ´In Guilty´ verdichtet sich die Spannung zu einem düsteren Höhepunkt. Die Musik schiebt, windet sich, bäumt sich auf. Der Text verhandelt Schuld, Mitläufertum und Selbstbehauptung („How can I keep my self respect in this world of forces?“), sowie die Verantwortung in einem System, das Verantwortung verwischt.
Ein kurzer Bruch mit dem ´First-Take-Ponka-Song´, dann wird es wieder existenziell. ´Instinct, Science, Faith´ spielt drei gegensätzliche Weltdeutungen gegeneinander aus, nicht wertend, sondern nebeneinanderstehend („Instinct – science – faith. Rationally – feeling – tale“). Die Musik tastet sich zwischen Synthese und Konflikt vor, bleibt offen, fragmentarisch. Fast so, als wolle sie nicht entscheiden müssen oder dürfen.
Deutsch wird es erneut mit ´Affengesicht´, einem wütenden Angriff auf autoritäres Denken, gesellschaftliche Etikette und Doppelmoral. Der Ton ist rotzig, der Text voller Fronten („Hey, du Spießer, du Primatengesicht, hast du dich mal im Spiegel gesehen?“). Doch unter der Provokation liegt auch eine präzise Systemkritik.
´…Which Have Been Predicted´ wirft schließlich einen Blick in die Vergangenheit der Zukunft. Es ist ein Song über Technik, Kontrolle und Entfremdung, aber vor allem über Ohnmacht („Trying to find understanding. Seems really pointless to me“). Die Hoffnung liegt in der Möglichkeit, dass es vielleicht auch anders geht. Wenn man bereit ist, zu sehen.
Rain beschließt die Reise leise. Der letzte Kampf ist keiner mehr. Nur noch Rückzug. Ein Mensch, erschöpft von sich selbst: („All his self-inflicted pain, hurts as it never did before“). Der Regen fällt – und hört nicht mehr auf.
Der Re-Release von ´Inner War´ ist die längst überfällige Würdigung eines Albums, das für viele Jahre nur ein Geheimtipp blieb, da es zu progressiv für den Thrash war, zu unbequem für den Prog und zu eigen, um irgendwo dazuzugehören. Ursprünglich 1999 auf CD veröffentlicht, erscheint es endlich erstmals auf Vinyl, mit überarbeitetem Mastering, das dem organischen Klangbild dieser Musik gerecht wird. Obendrein enthält eine Bonus-LP rare Demoversionen und bislang unveröffentlichte Stücke, die ein Schlaglicht auf die Zwischenjahre werfen.
Das Bonus-Vinyl beginnt mit ´Pseudo Identity´. Der Drumcomputer des Demos schlägt hart, die Gitarren stoßen sich daran. Der Song klingt kontrolliert, aber innerlich zerrissen. ´…Which Have Been Predicted´ wirkt als Demo wie ein früher Schatten seiner späteren Albumversion. Reduziert, direkt und fast starr vor Anspannung. Der Demo-Song ´Lost A Part Of Its Function´ bleibt ein Außenseiter. Die Struktur ist spröde, der Ablauf fremd. Trotzdem haftet dem Stück etwas Beharrliches an. ´Ciphers´ trägt klar “Dirtys” Handschrift. Seine Gitarrenlinien sind präzise, der Klang kantig.
´Polizisten´, der alte EXTRABREIT-Kracher, lehnt sich zurück und grinst. Mela spricht, Chriddle schreit, dazwischen knallt eine Spielzeugpistole. Alles wirkt leicht, aber nichts ist belanglos. ´Abendbrot´ dagegen sagt nichts. Es steht einfach da, eine Aufnahme ohne Plan, oder mit mehr, als es scheint. Mit ´Iron Fist´ / ´Metropolis´ wechselt die Sprache. Jörg brüllt, der Sound reißt nach vorn. Es ist keine Hommage, nur ein MOTÖRHEAD-Tribut. ´Sacrifice´ führt das fort. Kein Filter, keine Gnade. In ´The Dogs Of War´ von PINK FLOYD verlangsamt sich alles. Die Töne hängen schwer in der Luft. ´Riot´ der DEAD KENNEDYS bricht hingegen aus diesem Nebel heraus. Laut, roh und endgültig. Zum Schluss: ´Abendbrot 2´. Kaum ein Stück, eher ein Zeichen. Die Platte hört nicht auf – sie verschwindet.
´Inner War´ ist acht Jahre nach ´Human Errors´ kein klassisches Comeback-Album. Es ist eher der spätgeborene Bruder oder die Schwester des Klassiker-Debüts. Weniger aufbrausend, dafür gewachsener. Die Komplexität ist geblieben, doch sie wählt nunmehr den bewussten Wandel. Auch der Gesang von Melanie Bock hat sich verändert. Er ist klarer, melodischer, aber kein bisschen versöhnlicher, immer drohend und nie unterwerfend. ´Inner War´ ist ein Dauerbrenner in einem Genre, das oft zu kurz denkt. Es ist jedoch auch das letzte Kapitel einer Band, die nie den Weg des geringsten Widerstands ging. Drei Bandmitglieder finden später wieder als STEP INTO LIQUID zusammen und Gitarrist Jörg Schrör erscheint in der Retro-Formation FIRE.