
ANNIHILATOR – King Of The Kill
1994/2025 (earMusic) - Stil: Heavy Metal/Thrash Metal
1994 – das Jahr, in dem Thrash Metal scheinbar auf dem Friedhof der vergessenen Genres eingegraben wurde. METALLICA sangen von ´Unforgiven´, SLAYER tourten mehr als sie aufnahmen, und Dave Mustaine flirtete mit MTV. Doch während sich die Szene zersplitterte und Grunge das düstere Zepter übernahm, stand Jeff Waters aufrecht wie ein Berserker in Flammen und knallte der Welt mit ´King Of The Kill´ ein Album vor den Latz, das rotziger und kompromissloser war als alles, was er je gemacht hatte.
Jeff Waters, Mastermind von ANNIHILATOR, ist ein Alleskönner. Der Gitarrist, Bassist, Sänger, Produzent, Mixer und Songwriter ist ein wahrer Ein-Mann-Orkan. Nach dem überlebensgroßen Debüt ´Alice In Hell´ (1989) und seinem mächtigen Nachfolger ´Never, Neverland´ (1990), deren technische Brillanz bis heute als Messlatte gilt, folgte mit ´Set The World On Fire´ (1993) eine leicht melodischere Ausrichtung.
Danach machte Jeff Waters, was echte Könige tun. Er entließ die halbe Band, stellte Randy Black (später W.A.S.P., PRIMAL FEAR, DESTRUCTION) ans Drumkit, übernahm den Rest selbst und begann sich fortan an seinen Frühwerken abzuarbeiten. Allerdings nicht einfach blind im Sinne des Debüts, sondern nach vorn in die Zukunft gerichtet. ´King Of The Kill´ (1994) wurde kein ´Alice In Hell´-Revival, sondern eine neue Kreatur, die thrashiger als der Vorgänger, grooviger als die Frühwerke, chaotischer, mutiger und vielseitiger ist. Obwohl weniger bekannt als seine Vorgänger, ist ´King Of The Kill´ für eine Thrash-Band der 90er ein verdammt starkes Album,
Die A-Seite eröffnet heutzutage mit dem Titeltrack ´King Of The Kill´, einem Thrash-Killer in eigener Tradition. Eine klassische ANNIHILATOR-Hook, ein alles überrollender Groove, das Riff so eingängig wie tödlich und Jeff Waters’ Stimme rotzig, bissig und verdammt überzeugend. Seine erste Vorstellung als Sänger wurde aus der Not geboren, weil kein Frontmann in Sicht war. Seine damalige Freundin und Textautor John Bates überredete ihn, es einfach mal zu versuchen. Der Rest? Bandgeschichte. Ein Live-Klassiker, der alles niedermäht, was sich in den Weg stellt.
Direkt im Anschluss stürzt ´21´ herein, ein vom Groove getriebener Nackenbrecher mit simplen, aber effektiven Riffs. Catchy, roh und kompromisslos. Thrash mit Schmutz unter den Fingernägeln. Kein Wunder, dass dieser Song zu Jeff Waters’ persönlichen Favoriten zählt. Er ist simpel, aber effektiv wie ein rostiger Schlagring. Danach folgt mit ´Bliss´ ein kurzer, instrumentaler Moment der Ruhe. Eine zarte, akustische Gitarrenpassage, kaum eine Minute lang, aber das perfekte Vorspiel für ´Second To None´. Denn dieser Track ist wieder kompromisslos, rasant und melodisch. Der Refrain setzt sich direkt fest, während das Riffing in klassischer Weise gnadenlos nach vorne geht. Perfekt zwischen Aggression und Eingängigkeit austariert. Jeff Waters schrieb diesen Track in einer Zeit, in der er noch nicht wusste, ob es mit ANNIHILATOR überhaupt weitergeht. Die Antwort liefert ´Second To None´, ein alle Zweifel zerschmetterndes, musikalisches Statement.
´Hell Is A War´ traut sich noch mehr und ist alles in einem: Ballade, Groove und Thrash. Erst eine ruhige Einführung, dann brodelt es und dann explodiert es. Jeff Waters erzählt hier keine Geschichte, er komponiert einen verdammten Krieg, einen musikalischen Drahtseilakt zwischen Waffenruhe und Artilleriefeuer, mit einem Text, der mehr sagt als jede politische Parole. Episch, düster und spannend bis zur letzten Sekunde. Am Ende der ersten Seite steht der gleichnamige Bandtrack ´Annihilator´. Eine echte Groove-Walze, die so massiv aus den Boxen wummert, dass die Wände mitschwingen. Hier gibt es Händeklatschen und ein Riff, das dich überrollt wie ein Panzer im Schritttempo. Jeff Waters selbst nennt diesen mutigen Bastard von einem Song bis heute als einen seiner Lieblingssongs, nicht nur wegen des Namens, sondern wegen des puren Spaßes, den er beim Spielen bringt.
Auch die B-Seite lässt in neuer Sortierung weitere Attacken frei. Sie eröffnet mit ´Fiasco´, dem vielleicht brutalsten und wieselflinkesten Song des Albums. Nach einem bizarren Intro steigen Stakkato-Riffs ein, die wie ein Maschinengewehr rattern. Groovig, aggressiv, kompromisslos, bei ´Fiasco´ sitzt garantiert niemand still. Und erlebt ganz nebenbei eine Abrechnung mit Jeff Waters’ damaligen Plattenfirmen. Danach wird es auch musikalisch dreckig. Der frühere Album-Opener ´The Box´ ist ein schwerer, hypnotischer Midtempo-Hammer mit verzerrten Vocals und einem düsteren Industrial-Vibe. Er wirkt wie ein Thrash-Sturz in eine toxische Albtraumfabrik, langsam, repetitiv, aber völlig fesselnd.
´Bad Child´ schlägt in eine ganz andere Kerbe. Der Song klingt, als würden Hard und Heavy Rocker heimlich Thrash spielen, rotzig und tanzbar. Ein einfacher Hardrocker mit Riffs zum Mitnicken und einem Refrain, der sich ins Hirn brennt wie ein billiges Tattoo. Jeff Waters zeigt augenzwinkernd, dass er auch ohne Blastbeats die Meute zum Kochen bringen kann. Doch bevor es allzu gemütlich wird, kommt die zerbrechliche Halbballade ´In The Blood´ in einer atmosphärischen Tiefe und einer fast schon verletzlichen Emotionalität. Jeff Waters zeigt hier seine sanfte Seite, ohne an Biss zu verlieren.
Die rasende Uptempo-Hymne ´Speed´ dreht jedoch mit einem Refrain wie ein Raketenstart nochmals auf. Kein komplizierter Song, aber ein Hochgeschwindigkeits-Abräumer mit Spaßfaktor, sozusagen ein vergessener Thrash-Metal-Partytrack aus den Neunzigerjahren. Den finalen Abschluss setzt das wunderschöne Instrumental ´Catch The Wind´, ein jazzig-klassisches Gitarrenstück, das irgendwo zwischen südländischer und Schizo-Idylle pendelt. Ein ungewöhnliches Thrash-Finale, aber genau deshalb so stark. Denn dieses Album ist mehr als bloß Thrash. Es ist Reife. Es ist Wandel. Es ist Überleben.
Auf ´King Of The Kill´ blüht die Vielfalt, ohne dass es beliebig wird. Jeder Song klingt eigen, jeder Song ist erinnerbar – und das in einer Zeit, in der viele Thrashbands entweder sanftmütig wurden oder verschwanden. Es ist natürlich kein ´Rust In Peace´, kein ´Among The Living´, aber eine Kampfansage von Jeff Waters, sein „Ich bin noch da, ihr Schweine!“.
Und jetzt – 2025 – feiert dieses Biest sein Comeback auf Vinyl, als 180g Remastered Gatefold Edition, mit alten und neuen Linernotes, mit der seit 2010 erstklassig neu sortierten Tracklist und einem Sound, der härter knallt als je zuvor. ´King Of The Kill´ ist ein gern übersehener Diamant des 90er Thrash Metal, ein Album, das groovt, beißt, überrascht und begeistert.
(9 Punkte)