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SLAUGHTER – Stick It To Ya

1990/2024 ([PIAS] Recordings) - Stil: Glam Metal/Hard Rock

Es gibt Alben, die knallen nicht nur aus den Boxen, sie brennen sich direkt ins Herz. ´Stick It To Ya´ von SLAUGHTER ist genau so ein Biest. Ein Zeitzeugnis, ein Meilenstein, ein feuchter Traum jeder Haarspray geschwängerten Rock-Generation. Jetzt, wo das Teil endlich wieder auf Vinyl in makelloser Pressung erhältlich ist – golden-yellow Hype-Sticker inklusive – ist es höchste Zeit, sich nochmal rücklings in dieses sleazige Feuerwerk zu stürzen.

1988, Las Vegas. Während Vinnie Vincent in seinem eigenen Chaos versinkt, ziehen zwei seiner ehemaligen Mitstreiter, Sänger/Gitarrist Mark Slaughter und Bassist Dana Strum, die Reißleine nicht in Demut, sondern mit erhobenem Mittelfinger. “Chrysalis Records”, clever genug, den Unterschied zwischen Wahnsinn und Vision zu erkennen, reicht den Multi-Millionen-Dollar-Deal einfach weiter – an Mark Slaughter und Dana Strum. Die beiden holen sich Tim Kelly an der Gitarre und Drummer-Showtier Blas Elias. Was danach kommt, ist schlicht Rock’n’Roll-Magic.

1990, die Sonne brennt, die Haare stehen, MTV regiert, und SLAUGHTER feuern ihr Debüt ´Stick It To Ya´ in die Massen. Innerhalb weniger Monate regnet es Double Platinum, American Music Award und drei Top-40-Singles. Diese Jungs meinen es ernst.

Schon der Opener der A-Seite, ´Eye To Eye´, geht es unmissverständlich an: “Ready or not – here we come!” Tim Kellys Gitarre sticht wie ein Messer, während Mark Slaughter mit seinem Falsett wie ein junger Steven Tyler auf Speed durch die Nacht schreit. Direkt im Anschluss folgt ´Burnin’ Bridges´, ein versteckter, aber schmerzhaft ehrlicher Abschied an Ex-Kollege Vinnie Vincent, voll gespickt mit bitterer Ironie, messerscharfen Riffs und dem legendären Satz: “You’re a liar, liar, liar – with your pants on fire!”

Dann kommt die Stadion-Hymne ´Up All Night´. Schlaf wird selbstverständlich überbewertet, zumindest in diesem Song, in diesen Tagen. Alles schreit zum Mitgrölen und Headbangen, in den letzten Stunden vor dem Sonnenaufgang. Der Groove ist tight, der Chorus ist unsterblich und die High Notes hören vielleicht nur noch die Hunde. Und dass der Clip von einem jungen Michael Bay gedreht wurde, passt wie die Faust aufs Auge.

´Spend My Life´ liefert danach genau das Gegenteil, eine wunderbar sentimentale Tiefe. Mark Slaughter zeigt hier, dass er mehr ist als ein Falsett-Poser. Er besitzt Gefühl, Ausdruck und Seele. Anschließend groovt ´She Wants More´ mit der rotzigen Arroganz einer Sunset-Strip-Nacht, in der Groupies, Gier und Gitarrenriffs um die Wette kreischen. Sleaze pur, mit einem Augenzwinkern und einem fetten Grinsen im Chorus.

Nicht zu vergessen ist die Powerballade ´Fly To The Angels´, die selbst dem härtesten Sleaze-Dude mal kurz die Tränensäcke aufdrückt. Ob es um Verlust, Tod oder Verlassenwerden geht, dieser Song trifft dich wie ein Schlag ins Herz. Monumental, ehrlich und unvergessen.

Die B-Seite ist kein bisschen schwächer. ´Mad About You´ verabreicht einen Tritt in den Allerwertesten und der wütende Bruder ´That’s Not Enough´ randaliert im Midtempo drauflos, während ´You Are The One´ völlig unterbewertet wie Hölle erscheint. Keyboard-Einstieg, großartiger Chorus, ein Hit, der nie die Bühne bekam, die er verdient hätte.

Mit einem Vibe irgendwo zwischen Poser- und Stadion-Rock stampft sogleich ´Gave Me Your Heart´ voran, mit genug Hook und Herz, um die Faust in die Luft zu reißen. Dagegen schiebt sich ´Desperately´ mit bittersüßer Melodie ins Ohr, wie ein nächtlicher Highway-Trip, melancholisch, zielstrebig und mit verdammt viel Gefühl in der Gitarre.

´Loaded Gun´ schließt das Album wie ein feuriger Burnout ab. Rennwagensounds, gesprochenes Intro, Mark Slaughter singt halb, spricht halb, während Tim Kellys Solo ein letztes Mal die Wände wackeln lässt. Das ist keine Nummer zum Runterkommen, das ist der letzte Schuss Tequila vor der Apokalypse.

Was ´Stick It To Ya´ bis heute von vielen seiner Zeitgenossen abhebt, ist seine Liebe zum Songwriting, zum Arrangement und zur Produktion. Kein Plastikprodukt, sondern ein ehrliches, selbstproduziertes Stück Rockgeschichte. Dana Strum und Mark Slaughter hatten von Anfang an die Kontrolle über ihre Songs, und man hört es jeder Sekunde an.

1990 war auch das letzte Jahr, in dem man mit solchen Sounds noch Stadien füllen konnte, bevor “from Seattle with Love” die Lichter ausgeknipst wurden. Aber ´Stick It To Ya´ lebt. Auch 35 Jahre später. Wenn auch nicht ganz so übermächtig wie in der Zuversicht von Mark Slaughter anno 1990: “Just like a Led Zeppelin album stands up today, we hope our album stands up in 10 or 20 years.”

Die neue Vinylpressung klingt jedenfalls gewaltig, klar, dynamisch, ohne Kompression. Ein Genuss auf jedem Plattenteller. Nur das Cover-Artwork ist plötzlich übertrieben dunkel geworden. Also, legt das Teil auf den Plattenteller, zieht die Nietenjacke an, macht den Whiskey auf und lasst euch nochmal zurückkatapultieren in eine Ära, in der Rock noch Spaß machte. Denn SLAUGHTER haben nicht nur große Töne gespuckt, sie haben auch mächtig Krach gemacht. Und irgendwie klingt der heute noch verdammt gut. Stick it to ya, baby.

https://www.facebook.com/markslaughterofficial

Pics: links die Pressung 1990
rechts die Pressung 2024

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