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WATCHTOWER – Energetic Disassembly (Re-Mix)

1985/2025 (High Roller Records) - Stil: Technical Metal

“Dass ´Energetic Disassembly´ auch über 40 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung noch Interesse wecken würde, hätten wir uns bei der Aufnahme dieser Songs nie so recht vorstellen können.

Das selbstveröffentlichte Album sollte ursprünglich nur ein Mittel zum Zweck sein; unser größtes Ziel war ein Plattenvertrag bei einem etablierten Label. Schließlich gelang uns das, wenn auch nicht ganz so, wie wir es uns damals vorgestellt hatten.

Trotz seiner Unvollkommenheiten hat ´Energetic Disassembly´ den Geist der frühen Jahre von WatchTower eingefangen. Wir hoffen, euch gefällt das Album genauso gut wie uns die Jahre, die dem vorausgingen.” – Bassist Doug Keyser.

“High Roller Records” veröffentlicht die 40‑jährige Jubiläumsausgabe von ´Energetic Disassembly´ neben einem “Original Mix” des Weiteren im “Re-Mix”, d.h. bei dieser Version wurde das Album durch Jared Tuten restauriert und von den Original-Mehrspurbändern neu abgemischt. Diesen neu abgemischten Sound hat obendrein Patrick W. Engel bei “Temple of Disharmony” für Vinyl frisch gemastert.

Die “Re-Mix”-Ausgabe mit goldener Heißfolienprägung ist limitiert auf insgesamt 750 Exemplare (300 Stück 180g black, 350 Stück golden & 100 Stück golden / black galaxy effect Vinyl), samt Inserts mit Fotos und Lyriks, und A5-Fotokarte.

Parallel zum “Re‑Mix” erscheint auch eine “Original Mix“‑Edition ohne Bonus-Tracks im ausschließlich frisch gemasterten Klangbild der Erstveröffentlichung. Doch der “Re-Mix”-Release erreicht mehr Tiefe, Klarheit und Trennung der Instrumente, ohne den aggressiven Charakter zu verlieren. Der Sound ist präziser und transparenter, besonders bei den komplexen Riffs und Basslinien. Vergleichbar mit dem Unterschied zwischen einem VHS-Mitschnitt und einer 4K-Restaurierung, nur ohne digitale Kälte. Daher greifen Tech-Fans und Klangliebhaber zu ´Energetic Disassembly´ im “Re-Mix”.

WATCHTOWERs Debüt ´Energetic Disassembly´ war 1985 kein Album, sondern ein seismischer Riss in der Musikgeschichte. Vier texanische Teenager schraubten Thrash, Jazz und Krach in ein chaotisch präzises Klangsystem, das allen anderen wie ein Blick in die Zukunft erschien, unberechenbar, technisch und fehlerfrei. Sie probten bis zur Erschöpfung, in Billy Whites Schlafzimmer als provisorischen Proberaum, schnitten Kassetten, setzten Fragmente neu zusammen, dachten rückwärts und fühlten vorwärts. Es entstand ein Manifest gegen musikalische Normen.

Schon der Opener ´Violent Change´ fährt in den Körper wie eine tektonische Verschiebung. Thrash-Riffs drehen in jazziger Unlogik, der Bass unter Strom, die Gitarren wie Rotorblätter – und Sänger Jason McMaster schreit gegen einen Zyklus an, in dem die Menschlichkeit wie Staub an der Naturgewalt zerschellt. Danach kippt alles in ´Asylum´, ein schizophrener Paranoia-Trip aus Riffverhakungen und sezierter Taktik, in dem der Wahnsinn nicht das Problem, sondern der einzige Ausweg ist. Die Kontrolle kippt, aber sie kippt exakt.

´Tyrants In Distress´ wirkt beinahe zugänglich, bis das außerirdische Solo alle Gewissheiten zerschneidet. Das Riff ruft nach Freiheit, wird aber von Ketten gehalten – ein Chor zwischen Rebellion und Gehorsam, während die Tyrannen stürzen, ohne dass jemand den Sieg davonträgt. ´Social Fears´ klinkt sich mit steroidgefüttertem Tech-Metal ein – die Moral wird zur Zensur, das Schlagzeug zum Puls der Paranoia. Der Text entlarvt die Tugendwächter als ideologische Brandstifter, was bleibt, ist Angst als Herrschaftsform.

Der Titeltrack ´Energetic Disassembly´ ist der nukleare Kollaps des Albums – ein 13/8–9/8-Beben aus Bassfeuer, Gitarrenzacken und Rhythmusfragmenten, das nicht gehört, sondern überlebt werden will. Danach geht’s in die Vergangenheit. ´Argonne Forest´ wirft einen Blick in die Gasnebel des Ersten Weltkriegs – heldenlos, verzweifelt, musikalisch martialisch. Die Gitarren rufen nach Geistern, doch nur Hall antwortet. In ´Cimmerian Shadows´ kollabiert das Raumgefühl endgültig. Ein schwarzes Loch aus Jazz, Thrash und kontrollierter Destruktion, das alles gleichzeitig will und schafft.

Zum Schluss kommt mit ´Meltdown´ der Fehler, der alles löscht – ein fast konventioneller Song, der nur deshalb “normal” wirkt, weil vorher alles aus den Angeln gehoben wurde. Die Apokalypse schleicht sich an, explodiert ohne Ankündigung – und danach bleibt nur Stille. Aber keine Erlösung.

Der “Re-Mix” beleuchtet die musikalische Komplexität von WATCHTOWER besser als je zuvor. Gerade bei einem der technisch anspruchsvollsten Metal-Alben aller Zeiten lässt sich durch den Remix vieles entdecken, was früher kaum zu vernehmen war, etwa das Zusammenspiel zwischen Bass und Gitarre oder die rhythmischen Verschiebungen im Schlagzeug.

Außerdem wurden weitere Songs hinzugefügt. Das kurze experimentelle Gitarren-Instrumental ´BW115´ von Billy White, das eher wie eine Soundskizze wirkt, schenkt einen Einblick in die kreative Atmosphäre der Band in ihrer Entstehungsphase. ´Rick On Parade´ zeigt eindrucksvoll die technische Finesse von Rick Colaluca beim Drum-Soundcheck und gibt Fans eine intime Perspektive auf den Rhythmus hinter den Songs.

Zudem zeigen frühe Demo- oder Rohversionen von den beiden Songs ´Instruments Of Random Murder´ und ´The Eldritch´, die später auf dem zweiten Album landen sollten, mit Jason McMaster am Gesang, wie sich die Songs im Laufe der Zeit entwickelt haben. Eine spannende Dokumentation der Evolution und des Schaffensprozesses der Band.

Obendrein enthält der Song ´Argonne Forest´ erstmals sein ausgedehntes Bass- und Gitarren-Intro, das aufgrund zeitlicher Beschränkungen des Vinyls für die endgültige Veröffentlichung im Jahre 1985 gekürzt wurde.

Dass es überhaupt zu einem Re-Mix kommen konnte, ist dem Wiederauffinden der Original-Masterbänder im Jahre 2009 zu verdanken. Ein befreundeter Produzent, Jared Tuten, nahm sich im Herbst 2024 der Tape-Restauration des Werkes an und mischte es neu ab. Sänger Jason McMaster betonte, dass im “Re-Mix” die Übersteuerungen und der starke Hall der ursprünglichen Aufnahmen reduziert wurden. Die Gitarren klingen nun klarer und detaillierter. Der Bass ist präsenter und differenzierter, der Gesang verständlicher und weniger von Hall überlagert. Die Gesamtmischung wirkt transparenter und weniger breiig, die Räumlichkeit wird besser dargestellt

Die “Re-Mix”-Version ist daher nicht einfach nur eine Neuauflage, sie ist im Gegensatz zum “Original Mix” eine klanglich neu erlebte Version von ´Energetic Disassembly´, die die musikalische Brillanz von WATCHTOWER auf ein neues Level hebt. Für viele Fans ist sie eine Gelegenheit, das Album so klar und mächtig zu hören, wie es 1985 klanglich gar nicht möglich war.

(Jahrhundertwerk im frischen Sound)

01 Asylum (2024 Remix)
02 Meltdown (2024 Remix)
03 Tyrants (2024 Remix)
04 Argonne Forest (2024 Remix)
05 Energetic Disassembly (2024 Remix)
06 BW115 (2024 Remix)
07 Violent Change (2024 Remix)
08 Rick on Parade (2024 Remix)
09 Social Fears (2024 Remix)
10 Cimmerian Shadows (2024 Remix)
11 Instruments Of … (2024 Remix, Bonus Song)
12 The Eldritch (2024 Remaster, Bonus Song)

Jason McMaster – vocals
Billy White – guitar
Doug Keyser – bass
Rick Colaluca – drums

https://www.facebook.com/OfficialWatchTower

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