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STARAYA DEREVNYA – Garden Window Escape

2025 (Ramble Records/Auris Media) - Stil: Experimental, Avantgarde, Freak Folk, Krautrock

Inmitten von wildem Grollen, dem Hauch einer Flöte, dem kratzenden Klang eines Cellos und einem geheimnisvollen Murmeln, das aus der Wand zu kommen scheint, existieren STARAYA DEREVNYA. Diese Band, die aus den offensichtlichen Ecken von London, Tel Aviv, Ciudad Juárez und den versteckten Ecken von Bulgariens stammt, hat mit ihrem neuesten Werk ´Garden Window Escape´ ein weiteres Klangdokument erschaffen. Ob es als Album zu bezeichnen ist, oder als eine Art musikalische Séance im gruseligen Narrenhaus der Avantgarde, entscheidet am Ende jeder selbst.

Der Begriff „Krautfolk“, den das britisch-israelische Kollektiv selbst in die Runde wirft, kratzt nur an der Oberfläche dessen, was tatsächlich aus den Boxen schallt. Die Lieder ändern sich fortwährend wie ein lebendiger Klangorganismus, dies entspricht einem verrückten Mix aus kosmischer Musik, improvisierten Theaterstücken, dadaistischem Hörspiel und tribalem Maschinenfeuer. Jedes Lied ist wie ein Fenster und jeder Blick hindurch eröffnet uns einen neuen, anderen Bewusstseinszustand.

Das erste Stück, ´Tight-Lipped Thief´, eröffnet die Platte mit einem spannenden Moment. Der “wortkarge Dieb” öffnet nicht einfach die Tür, sondern schnitzt sich erst seine eigene aus der Wand heraus, während die Oud und die Bassklarinette um ein schiefes Schlagzeuggerüst von Andrea Serafino tanzen. Es ist ein wildes Durcheinander, irgendwo zwischen den Rhythmen eines Balkanfestes und den chaotischen Proben einer alten CAN-Band mit ordentlich Speed.

Darauf folgt ´What I Keep In My Closet´, das sich schleichend entfaltet. Maya Piks‘ Synthesizer verbreiten eine schwebende Kälte, Ran Nahmias nutzt den Santur, um Schatten auf den Boden zu malen, und über all dem liegt ein nervöses Knacken, das an einen kleinen Nager erinnert, der im Mauerwerk nistet. Die Spoken Words bringen Erinnerungen an stille Tagebucheinträge von Peter Hammill zurück.

Magische Strömung verbreitet ´Half-Deceased Uncle´. Die Reise durch das zerfallene Gedächtnis eines abwesenden Familienmitglieds beginnt fast wie ein Fiebertraum, voll von dröhnendem Cello, entwickelt sich in eine groteske Jam-Session mit schreienden elektronischen Klängen und chaotischen Rückkopplungen. Dabei krallen sich gespenstische Stimmen in unseren Ohren fest.

Der nächste Halt ´Cork Flight Operation´ klingt fast wie aus einem Militärbericht über Halluzinationen. Miguel Pérez‘ Gitarre schwirrt wie eine gefiederte Drohne auf LSD umher. Es folgt ein ständiger Kampf zwischen Free Jazz und den Klängen, die man bei Aufnahmen in Osteuropa erwarten würde. Dann kommt ´Virtue Of Standing Still´, das Dada pur ist. Das kürzeste Stück lässt Kazoos wie quietschende Gummihühner schreien und das Schlagzeug wie eine kaputte Waschmaschine hüpfen.

´Onwards, Through The Garden Window´ ist fast poetisch, gemalt aus Synthesizern und Flöten. Ran Nahmias‘ Santur legt sich wie Sonnenstrahlen auf einen nassen Teppich aus Tönen. Gosha Hniu bringt unvermittelte Klänge zum Ausdruck, dass sich das Stück wie ein Spaziergang durch ein zerfallenes Traumland anfühlt. Der Abschied schleicht leise mit ´Myshhh´ an. Elektronische Flüstertöne atmen durch einen melancholischen Klangteppich. Ein letzter Blick durch das Fenster, bevor es sich schließt.

´Garden Window Escape´ von STARAYA DEREVNYA klingt wie der Soundtrack einer verstörenden Geschichte aus der Vergangenheit. Slawische Folklore, westliche Avantgarde und elektronische Fragmente bilden dabei das Grundgerüst. Mit tödlicher Sicherheit sind STARAYA DEREVNYA einzigartig und ´Garden Window Escape´ ist ein wunderschön verstörendes Ritual – für all jene, die sich trauen, durch das Fenster zu springen.

https://starayaderevnya.bandcamp.com/album/garden-window-escape
https://www.facebook.com/starayaderevnya

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