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KRAUTFUZZ – Live At The Church

2025 (Sulatron Records) - Stil: Psychedelic Rock, Stochastic Rock, Krautrock, Noise

Ob Du es glaubst oder nicht, es ist Samstagabend und Du gehst in eine Kirche. Vorabendgottesdienst? Nein, es gibt keinen Gottesdienst, keinen Chor und kein Orgelspiel. Stattdessen erwartet dich ein dunkler Raum, der in einem lebhaften Violett leuchtet, als käme er aus einer anderen Welt. Der Altar strahlt sanft, Nebel zieht durch den Raum und das Publikum setzt sich geruhsam auf alte Holzstühle. Doch dann erklingt ein wilder Gitarrenklang und ein Schlagzeug schlägt monoton. Willkommen bei KRAUTFUZZ – einem der spannendsten Live-Acts im Bereich psychedelischer Rockmusik.

Gegründet Ende 2022, ist KRAUTFUZZ ein kreatives Projekt von drei Musikern, die wissen, wie man Klänge erschaffen kann. Schlagzeugerin Imari Kokubo ist das Herz der Band. Manchmal zurückhaltend, manchmal explosiv, aber immer da, um die Energie zu halten. Sie bringt eine meditative Schwere ins Spiel. Gitarrist und Teilzeitsänger Dirk Dresselhaus, einer von Schneider TM, faust oder Angel, mischt dazu kosmischen Jazz, Rock und avantgardistische Klänge. Seine Gitarrensounds bauen sich wie Mauern auf, unterbrochen von verzerrtem Feedback. Seine Stimme ist dagegen eher ein Ruf aus einer fernen Welt. Und Bassist Derek Shirley ist der tiefdröhnende Grundton der Band, sein Bass ist kraftvoll und manchmal kaum hörbar. Er ist ein Meister des tiefen Spektrums, zwischen Jazz-Gefühl und schwerer Musik.

KRAUTFUZZ improvisieren natürlich ständig, daher sind Gäste ein wichtiger Teil ihres Sounds. Am 15. Juni 2024 war J Mascis von DINOSAUR JR. dabei. Seine unverwechselbare, dreckige Gitarre fügte sich problemlos in die Klänge ein und hob alles auf ein neues Level. Und diese Performance blieb keine gewöhnliche Jam-Session. Sie war rituell und tranceartig.

Zwei Tracks. Zwei Erlebnisse. Einer mit Gitarrenteilen, die einen umhauen. ´Live At The Church´, aufgenommen in der Ev. Kirchengemeinde Genezareth von Berlin.

Ein normalerweise stiller, meditativer Raum wird für eine Nacht zur Klangkathedrale. Die Musik. Zwei Stücke ohne Kompromisse.

Track A läuft 24:54 Minuten. Ein Soundtrip. Zuerst steigt eine langsame Spannung auf, das Schlagzeug tastet sich voran, der Bass vibriert schwer und die Gitarren flüstern wie Geister. Dann kommt eine Fuzz-Wand, es gibt keinen Refrain oder Vers, nur pure Energie. Dresselhaus singt aus dem Bauch heraus, wie ein Priester des Chaos. Der Track wächst, zerfällt und explodiert immer wieder – ganz nach einer eigenen Dramaturgie.

Track B läuft 25:18 Minuten auf der LP, sogar fast 40 Minuten auf der CD. Hier stößt J Mascis hinzu. Alles wird weiter, heller und wilder. Seine Gitarre schwingt um die Strukturen von KRAUTFUZZ wie ein feuriger Prophet. Die beiden Gitarren schaffen eine Symbiose von Noise, die zwischen Schönheit und Zerstörung schwankt. Es klingt, als würden die Wände der Kirche selbst anfangen zu singen. Der Track fängt nicht einfach an zu explodieren, sondern implodiert in ein Chaos aus Rückkopplungen und harmonischem Lärm. Danach: lauter Applaus.

Vergiss den Vorabendgottesdienst. ´Live At The Church´ verbindet Lärm mit Andacht, Trance mit Aggression, ist ein Fiebertraum aus Improvisation. Dabei bietet die Kirchenakustik der Aufnahme einen besonderen Charakter, beinahe wie eine Offenbarung. Wer sich auf dieses Album einlässt, wird anders rauskommen. Die Kirche war nie heiliger und nie wilder.

Halleluja hieß es gestern – heute heißt es Fuzzelujah.

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