
In einer Welt, in der Musik noch Musik sein durfte, in der einige großartige Klänge und unvergessliche Melodien auf die Menschen warteten, erschien eine Gruppe von vier Leuten auf den sanften Hügeln von San Francisco. Die Gründung von JELLYFISH war so beeindruckend wie das Aufblühen einer seltenen Blume in der tristen Wüste der frühen Neunzigerjahre, als Grunge die Szene übernahm. JELLYFISH waren keine gewöhnliche Band. Sie waren die heimlichen und verkannten Helden. Ihre Musik, eine Mischung aus verspielten Harmonien, tollen Melodien und einem gewissen Rockgefühl, klang wie eine verlorene Melodie aus besseren Zeiten, die einfach nicht genug Beachtung fand.
Die Band wurde von den beiden kreativen Köpfen Andy Sturmer (Gesang, Schlagzeug) und Roger Manning (Keyboards, Gesang) geleitet, zwei Musikern, die an die Magie der Musik aus den 60ern und 70ern glaubten. Sie ließen sich von Größen wie den Beatles, Beach Boys, Queen, Cheap Trick und XTC inspirieren. Aber sie machten mehr als nur eine Hommage – sie schufen eine frische Version des Powerpop-Genres. Zusammen mit Jason Falkner (Gitarre) und Steven McDonald (Bass) nahmen sie ihr erstes Album ´Bellybutton´ auf.
Doch im Jahr 1990 befand sich die Musikszene im Wandel. Grunge wirbelte die Branche auf, während JELLYFISH eine andere Richtung einschlugen und auf kunstvollen Pop und klassische Pop-Traditionen setzten. Dass JELLYFISH zufälligerweise genau in der Zeit des Grunge-Hypes ihr Debüt herausbrachten, katapultierte sie umgehend in die Position eines Underdogs. Dementsprechend sah sich die Band augenscheinlich als „Gegner“ des Mainstreams an, der in jenen Tagen von Bands wie NIRVANA & Co dominiert wurde. Aber sie nahmen es mit Humor, schließlich bewiesen sie den echten Wert von Musik fernab von jeglichen Trends.
Denn ´Bellybutton´ war wie eine Reise in eine andere Zeit, liebevoll von einer Gruppe junger Musiker unter der Leitung des erfahrenen Produzenten Albhy Galuten erschaffen, bekannt durch seine Arbeit mit den Bee Gees bei Saturday Night Fever. Albhy Galuten besaß ein gutes Gespür dafür, wie man süßen Guss und Präzision in der Musik in Einklang bringt. Jeder Song auf ´Bellybutton´ ist ein Beleg, wie man mit perfekt abgestimmten Harmonien und melancholischen Texten großartige Lieder schreibt. Dazu gesellt sich hinter einer scheinbar polierten Oberfläche eine tiefgehende musikalische Raffinesse.
JELLYFISH hatten allerdings nicht nur einen erlesenen Sound, sondern auch ein starkes visuelles Konzept. Sie waren bekannt für auffällige Outfits und Sechzigerjahre Modeelemente, was man in ihren Musikvideos und auf dem Cover von ´Bellybutton´ deutlich sieht. Diese visuelle Ästhetik war nicht nur schlichte Mode, sie spiegelte auch die nostalgische Haltung der Band wider. Die Musiker trugen bunte und extravagante Kleidung, die zu ihrem verspielten Musikstil passte. Man erzählt sich sogar, dass die Band oft mit ihren auffälligen Outfits im Studio auftauchte, um ihre Songs aufzunehmen – fast so, als wären sie in einer Zeitreise durch die Sechzigerjahre.
Der magische Trip beginnt mit ´Man I Used To Be´, eine zugleich gelassene als auch hektische, eine dramatische und gefühlvolle Ballade mit einer sanften, melancholischen Melodie, die uns direkt in die Welt von JELLYFISH zieht. Es ist ein eher sanfter Einstieg, aber er gibt den Ton für die komplexe Musikalität und emotionale Tiefe des Albums an. Der Song handelt von der Zeit, die vergeht, und dem Gefühl, sich von seinem eigenen Ich zu entfernen.
´That Is Why´ ist der erste echte Höhepunkt des Albums und zeigt, wie JELLYFISH poppige Melodien mit Rock’n’Roll-Power verbinden. Er hat einen eingängigen, energiegeladenen Sound, eine erstklassige Gitarrenarbeit und vermittelt die fröhlichen, aber nachdenklichen Texte mit Beatles-ähnlichen Harmonien. Der Song sprüht vor typischer Power-Pop-Dynamik und vereint nostalgische Einflüsse der 60er mit der Vitalität der 90er.
´The King Is Half Undressed´ ist nicht nur einer der bekanntesten Songs des Albums, sondern auch eines der Lieblingsstücke der Band. Der Song mischt knackige Gitarren mit tollen Harmonien und zeigt JELLYFISH als Meister des Power Pop. Dass der Song jedoch nicht mehr Beachtung fand, obwohl viele ihn als Meisterwerk ansehen, war für die Band enttäuschend. Sie machten oft ironische Witze darüber, dass sie „den Song zum Hit machten, der er nie war“. Dabei bleibt die Melodie lange im Ohr und die dramatische Steigerung macht ihn zu einem echten Klassiker der Neunziger.
Dagegen zeigt ´I Wanna Stay Home´ die Kunst, eine leichte, fast verspielte Melodie mit einem unerwartet melancholischen Text zu kombinieren. Der Kontrast zwischen den fröhlichen Harmonien und der Melancholie, derweil das Stück von Einsamkeit und Entfremdung durch Ruhm und Öffentlichkeit erzählt, macht es zu einem der spannendsten Pop-Stücke auf dem Album.
´She Still Loves Him´ ist eine weitere herausragende Ballade der Neunziger, musikalisch als auch textlich bemerkenswert. Der Song beginnt mit zarten Klavierakkorden und steigert sich langsam dramatisch orchestral. Die kraftvolle balladeske Pop-Rock-Nummer erzählt von einer Frau, die in einer missbräuchlichen Beziehung bleibt. Eine wunderbare Veranschaulichung für Popmusik mit einem ernsten Thema und emotionalem Tiefgang.
Mit einem Hauch von Parodie über einen Rockstar, samt Ruhm und Reichtum, geht die Band in ´All I Want Is Everything´ den etwas rockigerer Weg. Gitarren und Schlagzeug zeigen ihre Kräfte sowie die Harmonien weiterhin ihre Schönheit in einem echten Highlight.
Nostalgische, süße Melodien mischen JELLYFISH in ´Now She Knows She’s Wrong´ mit komplexen, fast symphonischen Arrangements, wunderschönen Harmonien und melancholischen Texten über Beziehungsprobleme. Zarte Harmonien und eine sanfte Instrumentierung besitzt ´Bedspring Kiss´, ein eher ruhiger und nachdenklicher Song des Werkes. Seine zerbrechliche, fragile Schönheit mit emotionaler Tiefe entwickelt sich in bittersüßer Melancholie zu echter Schönheit.
Ein weiteres Highlight des Albums ist ´Baby’s Coming Back´ und ohne Zweifel einer der einprägsamsten Songs der Neunziger. Mit seinen eingängigen Handklatsch-Rhythmen, der hohen Energie und der verspielten Stimmung ist der Song ein tolles Beispiel für JELLYFISHs Fähigkeit, große Melodien zu schreiben, die sowohl tiefgründig als auch zugänglich sind. Dabei wurde der Song ursprünglich als Scherz, als absichtlich überperfekt, übertrieben fröhlich kreiert. Doch die Melodie war so ansteckend, dass sie schnell zu einem Favoriten innerhalb der Band wurde. Somit ist ´Baby’s Coming Back´ ein gutes Anschauungsexemplar für ihre überdrehte Popmusik.
Vielleicht weniger direkt als andere Songs auf dem Album begeistert nochmals ´Calling Sarah´ mit seiner Melodieführung, äußerst harmonischen Gesängen und cleveren, fast rätselhaften Texten.
´Bellybutton´ ist schlicht und einfach ein Meisterwerk, das seiner Zeit voraus war. Während Grunge die Charts dominierte, blieben JELLYFISH mit ihrem Debütalbum ein unterschätztes Phänomen. Sie kombinierten die Klänge der Vergangenheit, modernisierten sie und schufen etwas Neues, das sowohl zeitlos als auch frisch klang.
Das Album bewies, dass man klassische Rock- und Pop-Elemente in eine neue Ära tragen kann, ohne sich selbst zu verleugnen oder nur in Nostalgie zu versinken. JELLYFISH gelang es, die Traditionen der Vergangenheit zu ehren und dabei ihren eigenen Stil zu entwickeln.
´Bellybutton´ ist und bleibt ein kurzer, aber leuchtender Stern der Neunziger, ein funkelndes Juwel in der Powerpop-Geschichte, das bis heute seine Magie nicht verloren hat. Das Nachfolgealbum, ´Spilt Milk´, geht noch einen Schritt weiter, aber ´Bellybutton´ bleibt der glänzende Auftakt einer kurzen, aber legendären Reise, die uns gezeigt hat, wie man Musikgeschichte schreibt.
Die neueste Vinyl-Edition von ´Bellybutton´ ist eine adäquate Möglichkeit, das Album neu zu erleben. Die “Listener Edition” ist direkt von den Original-Masterbändern geschnitten und ein echtes Highlight für Vinyl-Freaks. Der Klang ist viel klarer und lebendiger als bei den Silberling- und Streaming-Versionen. Das 180g-Vinyl sorgt für den passenden Sound, für Wärme und Tiefe, für ein erstklassiges Klangbild, das die Instrumente gut getrennt voneinander formiert. Für Vinyl-Sammler und JELLYFISH-Liebhaber ist die “Listener Edition” unumgänglich.