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SAINT – The Calf

~ 2019/2020 (Armor Records) – Stil: Heavy/Power Metal ~


Ja, ich weiß, dass es sich bei SAINT schon wieder um eine White Metal-Band handelt. Aber ich kann wirklich nichts dafür! Schon meine Eltern waren, trotz einer vorbildlichen katholischen Erziehung ihres Sohnes, stets sehr unglücklich darüber, dass diese nichts gefruchtet hat und ich aus meiner offensichtlichen atheistischen Weltanschauung keinen Hehl gemacht habe. Ich habe nichts gegen Religionen, jeder soll glauben woran er möchte, solange damit nicht automatisch einhergeht, anderen seinen Glauben aufzuzwingen. Ich leugne keinen Gott, oder Götter. Es ist nur so, dass ich keine(n) brauche. Ich befinde mich da in einer Linie mit den neoexistentiellen Atheisten. Aber genug davon (Schade! – Anm. d. Red.) und endlich zur Band. (Aber wir sollten ihn alle in unser Nachtgebet einschließen – Anm. d. Red.)

SAINT machen seit ihrer Gründung 1982 in Salem, Oregon, kein Geheimnis aus ihrer Weltanschauung und so beinhalten ihre bislang veröffentlichten zwölf Alben und zwei EPs in ihren Texten derartig viele Verweise auf die christliche Lehre, dass man damit mehrere Semester eines theologische Seminars mit Lehrmaterial ausstatten könnte. Aber wie gesagt, solange nur Geschichten aus der Bibel zitiert und nicht zur Verfolgung Andersgläubiger aufgerufen wird, habe ich kein Problem damit.

Treibender Motor von SAINT ist Bassist Richard Lynch, der als einziges Bandmitglied seit Anfang an dabei ist und die Band nach der Auflösung von THE GENTILES gründete. Diese wiederum hatte er 1979, damals noch unter dem Namen POWER FAITH, unter anderem mit John Mahan gegründet, der bis zur vorläufigen Auflösung von SAINT im Jahr 1989 deren Gitarrist gewesen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt, an dem sie bereits zwei LPs und eine EP herausgebracht hatten, war die Bandhistorie mitgliedertechnisch gesehen noch einigermaßen überschaubar, aber seit ihrer Wiederauferstehung im Jahr 1999 ist das Aufzählen der Musiker die gekommen und wieder gegangen sind in etwa so spannend, wie das Lesen der Genealogie der zwölf Stämme Israels in der Genesis. Insofern dürfte es wenig überraschend sein, dass es bei ´The Calf´ mit Dave Nelson einen neuen Sänger zu begrüßen gibt. Aber SAINT wären nicht SAINT, wenn dafür nicht wieder eine exzellente Wahl getroffen worden wäre und tatsächlich kann man bereits beim gleich zu Beginn des Albums stehenden Titelstück feststellen, wie perfekt Daves raue, aber klare und zugleich druck- und kraftvolle Stimme zur Musik dieses Titels harmoniert, in welcher die beiden Gitarren die Marschrichtung vorgeben.

An dieser Stelle bereits ein Hinweis an die Traditionalisten, die SAINT noch von ihren Werken aus den 80ern kennen. Daves Stimme ist in keinster Weise mit der von Josh Kramers zu vergleichen, die nicht nur wegen der hier und da eingestreuten Screams eine starke Nähe zu der von Rob Halford aufwies. Auch die JUDAS PRIESTschen Einflüsse in der Musik sind nicht mehr so allgegenwärtig, wie noch in den Anfangsjahren. Bei ´The Calf´ handelt es sich um modernisierte SAINT, die jedoch weiterhin tief im klassischen Metal verhaftet sind. Dazu aber gleich mehr.

 

 

Mit ´Another Day´ geht es etwas melodischer weiter, was Dave Nelson gleich Gelegenheit gibt zu zeigen, dass er seiner Stimme durchaus auch eine solche Prägung verleihen kann. Diese beiden ersten Stücke stecken bereits recht gut die Bandbreite von ´The Calf´ ab, wobei sich alle zehn Stücke um einen musikalischen Schwerpunkt bewegen, der im Mid-Tempo-Bereich angesiedelt ist. Dabei sind einige Stücke, wie beispielsweise ´Stormy Night´ oder ´Fine Line´ mit seiner feinen Gitarrenarbeit, melodischer ausgefallen und wiederum andere, wie ´Hell To Pay´, ´Psalm 23´ oder das seinem Titel Lügen strafende ´Fragile´, bei welchem das Riffing wie in alten Zeiten wieder stark an klassische JUDAS PRIEST erinnert, recht druckvoll und verfügen über eine solide Grundhärte. Das Album wird von ´God Is God´ abgeschlossen, welches für mich ein Highlight darstellt. Es beginnt zwar mit den Klängen einer Akustikgitarre, die gegen Ende des Songs auch wieder zu vernehmen sind, bietet zwischendurch aber alles, was in Summe auf diesem Album zu finden ist und steht somit stellvertretend für das gesamte Werk. Es beginnt mit druckvollem Schlagzeugspiel, treibenden Riffs, kraftvollem Gesang, virtuoser und sich ergänzender Gitarrenarbeit beider Protagonisten an diesem Instrument und dann wird nach zwei Dritteln des Stückes unvermittelt Tempo herausgenommen. Dave legt Kreide auf seine Stimmbänder und auch musikalisch wird die melodische Seite angestimmt. Nach diesem kurzen Intermezzo geht’s dann aber weiter zum großen Finale. Genial!

Sowieso muss konstatiert werden, dass SAINT die fünf Jahre seit ihrem letzten Album perfekt genutzt haben und die 40 Minuten von ´The Calf´zu keiner Zeit Langeweile aufkommen lassen, was natürlich impliziert, dass kein Lückenfüller enthalten ist. Wer melodischen Heavy/Power Metal mit einem Sänger, der sein Fach versteht zu schätzen weiß und auch nichts gegen eine saubere Produktion einzuwenden hat, der wird mit ´The Calf´ also bestens bedient. Für die Produktion zeichnet übrigens Drummer Jared Knowland verantwortlich und ausführender Produzent, oder besser, da er alle Fäden in der Hand hält, „geschäftsführender Produzent“, ist Richard Lynch persönlich, der auch Inhaber aller Rechte ist.

8 (nicht ganz so ungläubige) Punkte

 

Die Veröffentlichung fand auf „Armor Records“ statt, auf welchem seit 1997 ausschließlich alle Arbeiten von SAINT erschienen sind und bei welchem ich stark vermute, dass David Lynch (Mit-)Besitzer ist.

´The Calf´ ist am 11. Dezember 2019 digital und auf CD sowie in diesem Jahr dann auch in transparentem goldenem Vinyl erschienen. Das auf 300 Exemplare limitierte Vinyl enthält einen Beileger mit Texten und einigen zusätzlichen Informationen, z.B. auch über den Verantwortlichen für das Cover Artwork und Design des Albums. Diesem Künstler namens Dakin Costello würde ich bei Gelegenheit gerne mal die Frage stellen, seit wann denn ein Kalb, selbst wenn es sich um das „Goldene Kalb“ handelt, über Reißzähne verfügt.

https://www.facebook.com/saintband

http://armorrecords.wixsite.com/saintsite/home

Musiker
David Nelson – Gesang
Jerry Johnson – Gitarren
Matthew P. Smith – Gitarren
Richard Lynch – Bass
Jared Knowland – Schlagzeug