Livehaftig

LAST IN LINE

~ 13. Dezember 2019, Bluesgarage, Isernhagen ~


Ich gebe unumwunden zu, dass die Existenz von LAST IN LINE komplett an mir vorbei gegangen war und ich erst durch den Hinweis eines Freundes auf deren Gastspiel in der Nähe meines Wohnortes aufmerksam gemacht worden bin. Da ich aber die Homepage der Bluesgarage (dem Veranstaltungsort) regelmäßig nach für mich interessanten Bands durchsuche, wäre mir ein derartiger Bandname sicherlich ins Auge gefallen, handelt es sich doch hierbei um den Titel der zweiten Scheibe von DIO aus dem Jahre 1984. Und tatsächlich bestanden die aus Los Angeles stammenden LAST IN LINE bei ihrer Gründung im Jahre 2012 aus Vinny Appice am Schlagzeug, Vivian Campbell an der Gitarre, Jimmy Bain am Bass und Claude Schnell an den Keyboards, also der kompletten Besetzung, mit der Ronnie James Dio die ´Last In Line´ eingesungen hat. Diese Besetzung ist auch für das Debüt ´Holy Diver´ von DIO (ohne Claude Schnell) und den Nachfolger der ´Last In Line´ nämlich ´Sacred Heart´ verantwortlich. Bei den Aufnahmen von ´Dream Evil´ (1987) war dann bereits Vivian Campbell nicht mehr dabei und zur ´Lock Up The Wolves´ (1990) hatte Ronnie die gesamte Mannschaft ausgetauscht.

Aber zurück zu LAST IN LINE. Als sich anlässlich des Todes von Ronnie James Dio im Jahre 2010 seine Musiker 28 Jahre nach der Gründung von DIO wieder treffen, beschließen sie eine Band zu gründen und holen sich nach zahlreichen Auditions schlussendlich Andrew Freeman (THE OFFSPRING, LYNCH MOB etc.) als Sänger an Bord, mit welchem sie offiziell im Jahre 2012 als LAST IN LINE starten. In dieser Formation singen sie 2015 ihr Debüt ´Heavy Crown´ ein, welches im Februar 2016 veröffentlicht wird. Nur einen Monat zuvor war Jimmy Bain 68-jährig an den Folgen von Lungenkrebs verstorben. Die verbliebenen Mitglieder gaben aber nicht auf und besorgten sich mit Phil Soussan (OZZY OSBOURNE etc.) adäquaten Ersatz. Mit diesem veröffentlichen sie im Februar dieses Jahres das Nachfolgewerk zum Debüt, welches sie schlicht mit ´II´ betiteln. Während des Gigs haben sie die Veröffentlichung ihres dritten Album für das nächste Jahr angekündigt.

 

 

Wie eingangs erwähnt, war ich mit dem Material von LAST IN LINE nicht vertraut, habe dies aber noch schnell vor dem Gig nachgeholt. An meiner Entscheidung hinzugehen, hätte der musikalische Inhalt der Alben aber vermutlich nichts geändert, denn wo bekommt man sonst derart geballt ein „Who‘s Who“ der 80er US-Musikszene mit einer solchen musikalischen Qualität geboten? Außer den bereits genannten Bands stehen BLACK SABBATH, WWIII, DEF LEPPARD, RIVERDOGS, SWEET SAVAGE, THIN LIZZY, WHITSNAKE und viele, viele mehr auf ihren Lebensläufen.

Umso erfreuter war ich, als ich feststellen durfte, dass auf den Scheiben sehr gefälliger Hard bis Heavy Rock enthalten ist, wobei insbesondere das aktuelle Werk einige Songs enthält, die sich ordentlich in die Gehörgänge winden. Ich kann nicht verstehen, dass viele Kritiker der Band Belanglosigkeit vorwerfen. Das kann ich absolut nicht teilen. Möglicherweise orientieren sich diese Kritiker vor allem an den ersten drei DIO-Werken und obwohl LAST IN LINE ab 2012 als DIO-Coverband unterwegs gewesen ist, so ist sie mittlerweile zu einer in meinen Augen eigenständigen Band herangewachsen. Ich zumindest hatte mich auf die Eigenkompositionen gefreut und lediglich mit zwei bis drei Coverstücken gerechnet. Tatsächlich entstammen dann aber acht der vierzehn gebotenen Songs aus den ersten beiden Scheiben von DIO (fünf aus ´Holy Diver´ und drei von der ´Last In Line´). Ich fand es etwas schade, aber die Zuschauer in der sehr gut besuchten Bluesgarage (zur maximalen Kapazität von 400 Zuschauern hat bestimmt nicht mehr viel gefehlt) waren sehr darüber erfreut und konnten zumindest den Refrain der meisten Stücke enthusiastisch mitsingen.

 

 

Eröffnet wird der Gig, wie am Freitag in der Bluesgarage üblich, pünktlich um 21 Uhr mit der Eigenkomposition ´Landslide´ vom aktuellen Album, zu der auch ein Musikvideo gedreht worden ist. Eine Vorband gibt es, ebenfalls traditionell, in der Bluesgarage nicht. Aber eine solche braucht das Publikum auch nicht, denn es ist von den ersten Tönen an voll dabei und feuert die Band begeistert an. Und ich gehöre dazu, denn die Stimme von Andrew Freeman schlägt einen sofort in ihren Bann. Er legt eine unheimliche Power und sehr viel Gefühl in seine Performance und überträgt auch beides perfekt ins Publikum, mit welchem er stets in intensivem Kontakt bleibt. Ein wahrlich charismatischer und sympathischer Sänger mit einer enormen Bühnenpräsenz und einer tollen Stimme.

Über das Können der anderen Musiker, brauchen wir uns wohl auch nicht zu unterhalten. Vivian Campbell ist beispielsweise dieses Jahr mit DEF LEPPARD in die ´Rock And Roll Hall Of Fame´ aufgenommen worden und wenn man sein Gitarrenspiel live erlebt, dann muss man sich eingestehen…zurecht! Unterstützt wird der sehr gute Gesamteindruck durch den wie immer exzellenten Sound in der Bluesgarage und schon beim zweiten Stück ´Stand Up And Shout´ kennt die Menge kein Halten mehr. ´Holy Diver´ und ´Last In Line´ bilden den Höhepunkt des regulären Sets, welches mit ´Rainbow In The Dark´ abgeschlossen wird. Letzteren vernehme ich erstmalig im Leben ohne Keyboard, was den Song in meinen Ohren sogar nochmals aufwertet, soweit dies überhaupt möglich ist.

Anschließend geht die Band nicht etwa von der Bühne, was in der Bluesgarage immer mit einem Gang durch die Menge verbunden ist. Vielmehr wird das Publikum von Andrew darüber belehrt, dass das Wiederherbeirufen der Band auf die Bühne zwar enorm wichtig für das Ego der Musiker ist, sie aber heute darauf verzichten wollen. Stattdessen sollen alle Zuschauer zunächst ordentlich Radau machen und dann die Augen schließen. In der Zwischenzeit sollen sich die Anwesenden vorstellen, dass die Band die Bühne verlassen und diese dann kurz vor dem Öffnen der Augen wieder erklommen hat, wodurch es sogleich mit den Zugaben weitergehen kann. Dieses Prozedere wird dann auch vom Publikum brav befolgt und ist, wie ich finde, ein durchaus auch von anderen Bands nachahmenswertes Vorgehen. Die Zugabe startet dann mit dem grandiosen ´Don’t Talk To Strangers´, geht mit der sehr starken Eigenkomposition ´Devil In Me´ (auch hierzu existiert ein Musikvideo) vom Debütalbum weiter und endet mit einem begeistert mitgesungenem ´We Rock´.

 

 

Nach 90 Minuten feinstem Heavy Rock ist der Gig zu Ende und alle, wirklich alle Anwesenden sind hochzufrieden, denn hier waren heute Abend absolute Profis am Werk. Jeder durfte seinen Lieblingsstücken von DIO (das Durchschnittsalter der Anwesenden wurde nur durch das Mitbringen ihrer Sprösslinge unter 50 gedrückt…ich gehöre übrigens dazu) in perfekter Soundqualität lauschen und auch die Band war gut gelaunt und an Spielfreude kaum zu toppen. Jeder der Musiker nahm die Gelegenheit wahr, sich zwischen den Stücken persönlich an das Publikum zu richten und auch untereinander wurden Späßchen ausgetauscht. Ganz besonders tat sich dabei Phil Soussan hervor, der nicht nur Vinny mit allerlei an italienischen Nahrungsmitteln und Kräutern angelehnten Titeln bedachte, sondern auch seines Vorgängers gedachte, der im Geiste immer noch hinter ihm stehen würde.

Wenn es in Aschaffenburg, wo sie am 9. Dezember aufgetreten waren, auch nur annähernd so wie in Hannover abgelaufen ist, dann bin ich mir sicher, dass wir LAST IN LINE bald wieder auf Tour in Deutschland erleben dürfen und dann sicherlich nicht nur an zwei Terminen.

Was bleibt ist also die Empfehlung: Augen aufhalten und Tickets kaufen, sobald ihr eine Konzertankündigung für LAST IN LINE seht.

 

P.S.: Über ein kleines Ärgernis muss ich nun aber doch berichten. 25$ für ein T-Shirt, 35€ für eine signierte LP, 30€ für einen Drumstick etc. Sind denn mittlerweile alle Amis durchgeknallt? Auf die Frage, was denn eine unsignierte Platte kosten würde kam als Antwort, dass es so etwas nicht gebe. Ohne Worte!