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JUSSI REIJONEN – sayr: salt | thirst

2025 (unmusic) - Stil: Jazz

Jussi Reijonen ist ein musikalischer Grenzgänger, der die Klänge der Welt wie einen inneren Kompass spürt und lenkt. Geboren in Rovaniemi, aufgewachsen zwischen Nordfinnland, Jordanien, Tansania, Oman und Libanon, hat er sich über Jahrzehnte hinweg ein Ohr für die subtilen Nuancen der Kulturen, Instrumente und Geschichten angeeignet, die nun auf ´sayr: salt | thirst´ in einem einzigen, ununterbrochenen Atemzug erklingen. Wer ihn bisher nur als Bandleader von ´Three Seconds | Kolme Toista´ kennt, erlebt in seiner neuen Reihe „sayr“ eine radikal andere Intimität. Die große, orchestrale Gestik des Ensembles weicht einem puren Dialog zwischen seiner Stahlsaiten-Gitarre und der Erinnerung.

Die Aufnahme entstand an einem Nachmittag im März 2025 in seinem Heimstudio in Helsinki. Alles ist echt, alles ist unmittelbar, nichts wiederholt, nichts poliert. Doch ein Hauch dieser Einzelsession reicht, um eine Welt aufzureißen. Die Musik glüht zwischen den Polen von „salt“ und „thirst“, wie zwei Seiten einer Medaille, die sich ständig in Bewegung befinden. Trotz des einzigen Instruments entfaltet sich eine Klangvielfalt, die von der finnischen Kantele über die marokkanische Sintir bis zur westafrikanischen Kora reicht, immer durchzogen von den arabischen Ouderinnerungen, die Reijonen tief in sich trägt.

´salt´ beginnt mit einem knorrigen, fast kargen Fingerziehen, das sofort Bilder von rauen Küsten, von nackten Füßen im kalten nordischen Sand hervorruft. In ´salt: sarvi´ verdichtet sich das Spiel zu einer hypnotischen Spirale, die an die introspektive Meditation eines Hamza El Din erinnert, aber ebenso an die leise Blues-Schwingung eines Lightnin’ Hopkins. Dann wechselt das Album zu ´thirst´, wo die Saiten wie Wasser durch die Wüste gleiten, mal spröde, mal samtig, ein Fluss aus Erinnerungen, der an Ali Farka Touré und Toumani Diabaté flüstert und doch untrennbar Reijonens eigener Ton ist. ´thirst: koto´ schließlich gleitet in eine Art kontemplative Entrückung, wo Melancholie und Aufhellung ineinanderfließen, und jedes Geräusch – ein Klopfen, ein Rascheln, eine Resonanz – zu einem Echo seiner kosmopolitischen Biographie wird.

Die Stärke von ´sayr: salt | thirst´ liegt in der kompromisslosen Ehrlichkeit. Hier gibt es keine Wiederholung, keinen Effekt, nur die Begegnung von Mensch und Instrument, von Erinnerung und Gegenwart, von Stille und Bewegung. Man hört, wie Jussi Reijonen zwischen den Kulturen wandert, wie er die arabische Ornamentik in nordische Klarheit gießt, afrikanische Rhythmen in amerikanische Freiheit übersetzt und dabei eine Sprache spricht, die keine Grenzen kennt. Es ist Musik, die sich Zeit nimmt, die Aufmerksamkeit einfordert, die aber in jedem Moment atmet, lebt und pulsiert.

Dieses Album ist eine Einladung zum Mitwandern auf einem Weg, der immer zugleich innerlich und äußerlich ist, ein „sayr“, wie Reijonen es nennt – ein akustischer Pfad, auf dem jede Geste, jede Nuance eine eigene Geschichte erzählt. ´sayr: salt | thirst´ ist die Manifestation eines Musikers, der alles, was er gehört, gefühlt und erlebt hat, in Saiten verwandelt.

(8,5 Punkte)

https://www.facebook.com/jussireijonenmusic


(VÖ: 24.10.2025)

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