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HERB ROBERTSON, CHRISTOPHER DELL, CHRISTIAN RAMOND, KLAUS KUGEL – Blue Transient

2025 (Nemu Records) - Stil: Jazz

Mit ´Blue Transient´ liegt ein Werk vor, das weit über den Rahmen einer gewöhnlichen Liveaufnahme hinausreicht. Dieses Doppelalbum hält einen musikalischen Moment fest, der sich erst im Nachhinein als historisch begreifbar macht. Als Christopher Dell, Christian Ramond und Klaus Kugel im März 2024 gemeinsam mit Herb Robertson auf Tour gingen, war nicht abzusehen, dass dies die letzte Reise des amerikanischen Trompeters sein würde. Heute wirkt diese Musik wie ein offenes Vermächtnis, frei von Pathos, getragen von radikaler Gegenwärtigkeit.

Die Besetzung ist von einer Klarheit, die sofort Raum schafft. Trompete und Vibraphon stehen sich nicht gegenüber, sie umkreisen einander. Kontrabass und Schlagzeug bilden kein klassisches Fundament, sondern einen beweglichen Körper, auf dem sich die Musik fortwährend neu formt. Was hier entsteht, ist kein freier Jazz im gestischen Sinne, sondern ein offenes System aus Zeit, Klang und Entscheidung.

Schon der erste Abschnitt von ´Blue Transient´ entfaltet eine tastende Spannung. Christopher Dell lässt das Vibraphon wie Lichtpunkte im Halbdunkel aufscheinen, während Herb Robertson die Trompete nicht als Stimme, sondern als lebendiges Material begreift. Töne erscheinen, brechen ab, werden verschoben. Christian Ramond und Klaus Kugel reagieren nicht begleitend, sondern gleichberechtigt, sie dehnen die Struktur, bis sich eine fragile Balance einstellt. Kontemplation und latente Unruhe liegen hier eng beieinander.

In den folgenden Teilen verdichtet sich die Musik phasenweise zu eruptiver Energie. Besonders in den mittleren Abschnitten des ersten Datenträgers schiebt sich eine nervöse Dynamik in den Vordergrund, wenn Herb Robertson sein Instrument in extreme Register treibt und Christopher Dell mit metallischen Resonanzen antwortet. Dennoch kippt nichts ins Chaotische. Jede Eskalation wirkt bewusst gesetzt, jede Rücknahme ebenso. Gerade diese Fähigkeit zum Innehalten verleiht der Musik ihre Spannung.

Der zweite Datenträger öffnet den Raum noch weiter. Die Stücke atmen länger, lassen Stille zu, ohne je in Leerlauf zu verfallen. In einem der ruhigeren Abschnitte entwickelt Christian Ramond ein Bassspiel von großer körperlicher Präsenz, während darüber Trompete und Vibraphon wie ferne Signale auftauchen. Hier zeigt sich die besondere Qualität dieses Quartetts, das nicht gewollt auf Höhepunkte zielt.

Herb Robertson erweist sich dabei einmal mehr als radikaler Klangdenker. Sein Spiel vermeidet jede konventionelle Linienführung, sucht stattdessen nach Reibung, nach Zwischenräumen, nach dem Moment, in dem ein Ton mehr Frage als Aussage ist. Dass diese Musik nun als letzte veröffentlichte Aufnahme seines Schaffens vorliegt, verleiht ihr eine stille Gravität, die sich nicht aufdrängt, aber dauerhaft nachwirkt.

´Blue Transient´ ist kein Album für beiläufiges Hören. Es fordert Aufmerksamkeit, Geduld und Offenheit. Dieses Doppelalbum dokumentiert nicht nur eine außergewöhnliche Begegnung zwischen vier starken Persönlichkeiten, sondern bewahrt einen Augenblick, in dem Kunst, Risiko und Erfahrung vollkommen deckungsgleich waren.

Ein Werk von seltener Dichte, das nicht erklärt, sondern einfach zeigt.

(8,25 Punkte)

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