
DER W – Akustik Tour – Live Im Admiralspalast
2025 (W-Entertainment) - Stil: Unplugged/Deutschrock
Der 27. Mai 2024 ist in dieser 4-LP-Box nicht bloß ein sauber konservierter Konzertabend, sondern ein Moment, in dem sich ein Künstler bewusst auf weniger verlässt, um mehr zu erreichen. Im Berliner Admiralspalast, zwischen rotem Samt, goldener Patina und einer Akustik, die keine Unschärfe verzeiht, wird Reduktion zur Zuspitzung. Johann Sebastian Bachs ´Air´ öffnet den Abend wie ein ruhiger Schnitt, der den Raum vorbereitet und das Ohr schärft. Danach ist sofort klar, dass hier nichts entschärft wird. DER W spielt akustisch, doch die Wirkung ist nicht bieder, sondern offenherzig, weil jedes Detail ungeschützt im Saal steht.
Stephan Weidner singt an diesem Abend so nah, dass man Willen und Wanken beim Atmen hört. Der Ton ist rau, aber kontrolliert, und die Texte bleiben ohne Polster im Raum. Diese Geschlossenheit entsteht aus klarer Arbeitsteilung und einer Band, die Spannung nicht über Lautstärke definiert, sondern über Genauigkeit. Dirk Czuya ist dabei der zentrale Architekt des Abends, weil er die Songs in ihren Akustik-Versionen arrangiert hat und genau jene Dramaturgie baut, die das Material trägt. Seine Gitarrenführung setzt die notwendigen Druckpunkte und hält die Stücke auf Kurs. Markus Paichrowsky ergänzt das mit einer zweiten Gitarre, die nicht verdoppelt, sondern kommentiert. Sven Berger erdet mit einem Bass, der griffig bleibt und dem Klang Körper gibt, während Peter Zettl das Schlagzeug als straffe Gangart führt, ohne den Raum zuzudecken.
Über dieser Band arbeitet eine kleine Streicherformation, die nicht dekoriert, sondern verstärkt, schärft und trägt. Anne Eberlein und Ralf Hübner an den Violinen sowie Philipp Hagemann beziehungsweise Conny Walther am Cello wirken wie eine zweite Erzählebene, die Refrains weitet, Spannung verdichtet und in den richtigen Momenten auch Dunkelheit zulässt. Die Arrangements von Patrik Bishay und Olga Hübner greifen dabei nicht nach großen Gesten, sondern nach Tiefenwirkung. Die Produktion unterstützt diesen Ansatz mit Transparenz und Dynamik. Leise Stellen bleiben leise, nicht als Pause, sondern als Druckaufbau. Weidners Stimme steht trocken und nah, die Gitarren sind plastisch, der Bass hat Biss, und die natürliche Hallfahne des Admiralspalasts wird nicht kaschiert, sondern als Teil des Klangbilds genutzt.
´Geschichtenhasser´ setzt zur Eröffnung die Tonalität. Hier geht es um Sprache als Arbeit, um Erzählen als etwas, das schützt und zugleich entblößt, und die akustische Fassung gibt dem Song eine perkussive Schärfe, die sofort trägt. In dieser Gestalt weckt der Song Erinnerungen an die späten Neunziger sowie an DAYS OF THE NEW, an diese Holz-und-Härte-Ästhetik, ohne dass DER W je ins Nachspielen rutscht. ´Mehr!!´ folgt als Selbstschwur, der nicht jubelt, sondern antreibt. Das „Mehr“ ist hier nicht Pose, sondern Disziplin, und akustisch wirkt der Drang nach vorn besonders klar, weil nichts den Kern übertönt.
´Kafkas Träume´ zieht das Licht herunter und macht aus der Sehnsucht nach Freiheit keine Weichzeichnung. Der Text arbeitet mit Abgrund, Unruhe und Selbstzweifel, und die Streicher verschärfen diese Enge, statt sie zu romantisieren. ´Gespräche mit dem Mond´ ist keine romantische Nachtpost, sondern ein Gespräch unter offenem Himmel, nüchtern und nah, mit einer Beichte, die nicht um Trost bittet. ´Zwischen Traum und Paralyse´ verzichtet auf Pathos und legt die Nervenbahn frei. Das Arrangement lässt Raum, damit die Worte wirken, und hält zugleich den Fluss, damit aus Intimität keine Selbstbespiegelung wird.
´Haus aus Spiegeln´ ist als Trennungslied präzise, weil es nicht in Gefühlen badet, sondern Konsequenzen benennt. ´Justitia´ richtet die Haltung auf, ohne zu posieren. Der mächtige Song gewinnt, indem das Arrangement Druck wegnimmt und so jedes Wort treffen lässt. ´Mordballaden´ ist Diagnose, nicht Kommentar, und live wird daraus ein Rhythmus, der den im Takt klatschenden Saal mitnimmt, ohne die Bitterkeit zu verdünnen. Danach trifft ´An die, die wartet´ mit einer Sehnsucht, die nicht schön sein will, sondern echt; die Streicher machen diese Unruhe hörbar, indem sie nicht glätten, sondern tragen. ´Angst´ benennt seinen Gegner ohne Umwege. Angst kommt nicht schleichend daher, sie steht da, und der Song ersetzt Erlösung durch Widerstand.
Im Verlauf des Abends kippt die Dramaturgie zunehmend in eine treibende Dynamik. ´Neuland (Erinnerung ist Sperrgepäck)´ klingt wie ein Entschluss, Routinen abzustreifen und der Vergangenheit nicht länger das Steuer zu überlassen. ´Schlag mich (bis ich es versteh’)´ bleibt bewusst unbequem, weil es Erinnerung nicht verklärt, sondern als Last zeigt, die sich festsetzt, und akustisch wird das noch unmittelbarer, weil man nicht ausweichen kann. ´Ein Lied für meinen Sohn´ setzt einen hellen Pol, aber ohne Zuckerguss, als Zusage, als Verantwortung, als Blick nach vorn. ´Sterne´ öffnet den Horizont, während ´Alles wieder anders´ die Weite wieder zusammenzieht und Liebe ohne Illusionen beschreibt. Als eines dieser beinahe fröhlichen Stücke ruft das Lied kurz den Ton der Ostrock-Legenden ins Gedächtnis, ohne seine eigene Schärfe zu verlieren.
Bei ´Machsmaulauf´ brennt die Akustik. Nicht weil es lauter wird, sondern weil die Band den Song so straff spielt, dass besonders der Funke von der Gitarre durch den Saal spritzt. ´Briefe an mich selbst´ macht aus Sprache eine Notwendigkeit und aus Schreiben eine Methode gegen das Verstummen. ´Mein bester Feind´ ist Abrechnung ohne Umweg, und die Direktheit schneidet in dieser Reduktion besonders tief. Dass der Saal bei ´Gewinnen kann jeder´ geschlossen mitsingt, erscheint nicht nur als Publikumsreaktion, sondern als Teil des Werks, weil dieser Refrain als Standpunkt überzeugt. Und wenn ´Der Hafen´ schließlich alles bündelt, geht es nicht um Abgesang, sondern um Ankommen. Der Song denkt den Tod als Schwelle und das Leben nach dem Tod als ruhige, endgültige Bewegung, und genau diese positive Nüchternheit macht ihn so stark.
In dieser Schlusskurve schließt sich auch nochmals der Bogen zu den großen Unplugged-Momenten der Neunziger, zu NIRVANA, R.E.M. oder TESLA. Das ist kein Zitieren, sondern eine Verwandtschaft der Idee, Rockmusik auf Substanz zu prüfen, bis nur noch Song, Raum, Stimme und Spannung übrig bleiben.
Die 4-LP-Box ist dafür mehr als ein Sammlerformat. Vinyl macht aus diesem Abend ein bewusstes Durchgehen, Seite für Seite, mit Zäsuren, die der Dramaturgie Luft geben und dem Ohr Zeit, Gewicht zu spüren. Man hört den Admiralspalast als Raum, die Instrumente als Körper, die Streicher als treibende Ebene, und man hört eine Band, die nicht auf Effekte setzt, sondern auf Zusammenhalt.
´Akustik Tour – Live Im Admiralspalast´ bleibt ein Rockabend im Akustikgewand, der weniger behauptet und mehr liefert, und der durch seine Nähe eine Wucht entwickelt, die lange nach dem letzten Umblättern bleibt. Ein seltenes, wahrhaftiges Werk. Und ohne Frage eines der bedeutendsten Kapitel in der Geschichte von DER W.
https://www.facebook.com/DERW23



