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VLIMMER – Hintersommer

2025 (Blackjack Illuminist Rec.) - Stil: Post Punk/Darkwave/Shoegaze/Industrial

Mit ´Hintersommer´ hat Alexander Leonard Donat, auch als VLIMMER bekannt, ein Werk geschaffen, das tief in die Weiten des Selbst blicken lässt. Der Berliner Musiker entfernt sich auf seinem fünften Studioalbum von der grellen Intensität des Vorgängers ´Bodenhex´ und taucht in eine introspektive Welt ein, die gleichermaßen fragil und kraftvoll erscheint. Es ist ein Album, das den Hörer mit einer schillernden Mischung aus Post Punk, Darkwave und Shoegaze an die Hand nimmt, ihn in zart schimmernde, melancholische Sphären entführt, nur um ihn dort einem immer spürbareren Gefühl des Verlusts auszusetzen.

Die erste Begegnung mit ´Hintersommer´ führt den Hörer direkt in die mechanische, beinahe klinische Welt von ´Abb. 1´, das mit einer nahezu aggressiven Präzision den Weg ebnet. Doch schon nach den ersten Takten wird klar, dass dieses Album die Leere in all ihrer schmerzhaften Schönheit enthüllen will. Spätestens mit ´Firmament´ und ´Gleichbau´ wird die Atmosphäre von einer unbestimmbaren Traurigkeit durchzogen. Hier treffen die eindringliche Melancholie des Post Punk und Darkwave auf die komplexe Textur des Shoegaze oder Post Industrial, wobei die Musik nie an emotionaler Wucht verliert.

VLIMMER gelingt es meisterhaft, eine feine Balance zwischen analogen und elektronischen Klängen zu finden, die sich in jedem Moment der Songs neu verschieben. Während die ersten Stücke von einer fast geisterhaften Pop-Sensibilität durchzogen sind, die das Album mit einer fast surrealen, entrückten Qualität versieht, wird die Musik im Verlauf von ´Hintersommer´ zunehmend intensiver und spürbar beengender. Es ist, als ob sich die Luft selbst verdichtet und den Hörer in einen Raum zurückdrängt, in dem jeder Atemzug schwerer fällt. Bei Stücken wie ´Cystacanca´ und ´Diskoloration´ verfließt die Musik in ein Vakuum der Einsamkeit, aus dem der Hörer nur schwer wieder entweichen kann.

Die Texte von ´Hintersommer´ sind keine bloßen Worte, sondern eher zarte, beinahe zerrissene Reflexionen über die eigene Vergänglichkeit. Sie sprechen von Verlust und der Ahnung, dass nichts im Leben dauerhaft ist – ein Thema, das sich durch das gesamte Album zieht. In ´Sommergesicht´, mit seinem Bild der „Kellerkälte“, die sich in die Knochen gräbt, wird die Angst vor der Unvollständigkeit des Selbst spürbar. Doch auch in der Dunkelheit der Musik gibt es immer wieder den Versuch, sich dem Licht zu nähern, sei es in Form von zarten Gitarrensoli oder der flimmernden Wärme der Synthesizer.

In den letzten Liedern von Hintersommer, wie etwa ´Hirnklammer´ oder ´Augenboden´, verschmilzt der Klang zu einem beinahe organischen Ganzen, das mit jedem Takt einen weiteren Schritt in die Unausweichlichkeit des Verfalls macht. Diese letzten Momente des Albums sind von einer solchen Intensität, dass sie den Hörer nicht nur emotional, sondern auch körperlich zu übermannen drohen. Die Musik klingt wie das letzte Aufbäumen der Gegenwart, das sich gegen die Unabwendbarkeit des Lebens und des Todes stellt – eine letzte, kraftvolle, aber schmerzhafte Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein.

VLIMMER zeigt auf ´Hintersommer´ nicht nur die Vielfalt seiner musikalischen Ausdruckskraft, sondern auch die Tiefe seiner introspektiven Auseinandersetzung mit den Themen von Vergänglichkeit und Verlust. Wer ´Hintersommer´ hört, wird Zeuge eines musikalischen Werkes über das Leben, das sich im Augenblick selbst verliert. Ein Album, das dem Hörer eine ganz besondere Perspektive auf die eigene Existenz und die dahinterliegende Dunkelheit vermittelt, ohne dabei je die Hand aufzugeben. Die Leere wird zum Raum, die Stille zum Klang, und so entsteht ein Werk, das weit über seine Musik hinausgeht.

(8,25 Punkte)

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(VÖ: 21.11.2025)

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