
DER KOMMISSAR – Music From The Original TV-Series (1969-1972)
2025 (Allscore) - Stil: Soundtrack / Filmmusik
Als das ZDF Ende der 1960er-Jahre begann, eigene Wege im Krimigenre zu beschreiten, ahnte niemand, dass “Der Kommissar” sich zu einem Stück deutscher Fernsehgeschichte entwickeln würde. Die Serie, getragen von Erik Ode als moralischem Ruhepol einer sich wandelnden Gesellschaft, war weit mehr als ein kriminalistisches Format. Sie spiegelte Zeitgeist, gesellschaftliche Brüche und die neue Unruhe einer jungen Generation. Genau in dieser Spannung zwischen Tradition und Aufbruch fand Peter Thomas einen musikalischen Raum, in dem er seine unverwechselbare Handschrift entfalten konnte. Zum 100. Geburtstag des Komponisten erscheint nun erstmals eine umfassende Veröffentlichung seiner Arbeit für die Serie – ein Ereignis, das nicht nur nostalgische Erinnerungen weckt, sondern den Blick auf ein außergewöhnlich vielseitiges Stück deutscher Musikgeschichte lenkt.
Peter Thomas, der schon vor “Der Kommissar” zu den prägenden Klangarchitekten des deutschen Films zählte, nahm die Serie nie als Pflichtaufgabe, sondern als Experimentierfeld. Dass Helmut Ringelmann die Reihe bewusst als Gegenentwurf zu den damals populären US-Krimis anlegte, öffnete auch dem Klangbild neue Freiheiten. Der Alltag der Münchner Schauplätze, die oft dokumentarisch wirkende Bildsprache und die von Herbert Reinecker entworfenen Erzählwelten verlangten nach einer Musik, die sich nicht bloß an Hollywood orientierte, sondern mitten in Deutschland verwurzelt war und zugleich den Mut hatte, Grenzen zu überschreiten. Peter Thomas nutzte dieses Terrain mit einer Freiheit, die bis heute überrascht: Jazz, Beat, orchestrale Dramatik, elektronische Versuche, psychedelische Einwürfe und filigrane Soul-Texturen – alles fand hier Platz, oft innerhalb weniger Minuten.
Viele seiner Kompositionen entstanden nicht als komplett ausgearbeitete Scores, sondern als vielschichtige Library-Musiken, die Peter Thomas später den jeweiligen Folgen anpasste. Doch gerade in dieser Methode offenbart sich seine Stärke: Das Material blieb offen genug, um unterschiedlichste Situationen zu tragen, und zugleich präzise genug, um die feine psychologische Zeichnung der Serie zu vertiefen. Die aktuelle Veröffentlichung führt diese Qualitäten in einer selten erlebten Klarheit zusammen. Sie wirkt wie ein akustischer Gang durch die frühen Siebzigerjahre – voller urbaner Schatten, gesellschaftlicher Reibungen und jener spezifischen Mischung aus Nüchternheit und Nervosität, die “Der Kommissar” so unverwechselbar macht.
Bereits ´The World Is Gone´ schlägt einen Ton an, der das Wesen dieser Musik einfängt. Ein atmosphärisch schwebender Einstieg, der mit reduzierten Mitteln eine innere Spannung erzeugt, die weit über ihre kurze Laufzeit hinaus wirkt. In ´Zuchthaus´ und ´Abschiedsvorstellung´ schärft Peter Thomas den Blick, indem er mit knappen Motiven arbeitet, die weniger erzählen als andeuten – ein Verfahren, das seine Musik besonders filmisch macht. Das Instrumentalstück ´Corinna´ führt eine weichere, fast melancholische Farbe ein, bevor die vokale Fassung später eine überraschende Pop-Sensibilität offenbart. Mit ´Nymphenburg-Soul´ öffnet sich die Tür in eine Münchner Welt zwischen Wohlstand, urbaner Eleganz und einem Hauch nächtlicher Gefahr, während ´Raubzug´ die rhythmische Seite des Komponisten hervorhebt und sich wie ein musikalischer Schatten durch die Szene bewegt.
Immer wieder überrascht die Vielseitigkeit von Peter Thomas’ Klangsprache. ´Tod am Bahndamm´ nutzt perkussive Strukturen, um das Unbehagen der Schauplätze einzufangen; ´Grausamer Fund´ entfaltet eine bedrückende Eleganz; ´Melodie für eine Teekanne´ zeigt seine Fähigkeit, Banalität in musikalische Poesie zu verwandeln; und ´Papierblumenmörder´ entwickelt eine fast hypnotische Intensität, in der sich orchestrale Passagen und psychedelische Linien gegenseitig durchdringen. In ´Morbide Hausgemeinschaft´ wird die unterschwellige Komik des Abgründigen spürbar, die Thomas so unverwechselbar beherrschte, während ´Peripherie-Beat´ den Blick auf die städtischen Ränder richtet, in denen die Serie bis heute ihre stärksten Szenen findet.
Besondere Aufmerksamkeit verdient ´Jet-Set-Lady´ in seiner alternativen Version. Hier schimmert die mondäne Seite des frühen Fernsehens durch – ein Klang zwischen Bar-Jazz, leichter Exotik und einer Eleganz, die sich bewusst nicht festlegen lässt. Der große Hit dieses Kosmos, ´Du lebst in deiner Welt´, erscheint in der TV-Version als Moment von beinahe irritierender Emotionalität. Es ist ein Song, der damals die Charts stürmte und bis heute ein Echo jener Jahre trägt, in denen Schlager, Pop und Filmmusik eine enge Verbindung eingingen. Dazwischen entfalten Stücke wie ´Dromedar Called Itzenplitz´ ihren absurden Charme, der nie bloß kurios wirkt, sondern die experimentelle Ader des Komponisten zeigt. Die nur auf der CD enthaltenen Titel erweitern dieses Panorama um weitere Facetten – darunter die rhythmisch pulsierende ´Tour des Wucherers´ oder die schimmernde Klangarchitektur von ´Fuga Astronautica´ –, wodurch das Gesamtbild noch vollständiger wird.
Der Reiz dieser Veröffentlichung liegt jedoch nicht allein in der Musik selbst, sondern auch in ihrer Bedeutung. “Der Kommissar” war ein Straßenfeger in Schwarzweiß, ein Spiegel gesellschaftlicher Spannungen und zugleich ein Fernsehformat, das die Wahrnehmung des Krimis in Deutschland entscheidend prägte. Die moralische Ruhe von Kommissar Keller, die formale Strenge vieler Folgen und die fein nuancierte Darstellung sozialer Konflikte machten die Serie zu einem Dokument ihrer Zeit. Peter Thomas’ Musik wirkt in diesem Kontext wie der unsichtbare, aber stets präsente Kommentar, der nicht urteilt, sondern verstärkt, der Stimmungen bündelt und innere Bewegungen hörbar macht. Dass seine Arbeit heute in DJsets, Sample-Sessions und internationalen Filmmusikerkreisen wiederentdeckt wird, zeigt, wie modern und vorausblickend sie war.
Die neue Edition würdigt diesen Beitrag mit großer Sorgfalt. Das Gatefold-Cover mit Illustrationen von Adrian Keindorf verbindet das historische Material mit einer Gegenwart, in der diese Klänge ihre Relevanz keineswegs verloren haben. Die Vinyl-Ausgabe – wahlweise in klassischem Schwarz oder als auf zweihundert Exemplare limitiertes dunkelgrünes Presswerk – betont den Sammlerwert, ohne den dokumentarischen Anspruch zu überlagern. Was hier zählt, ist die Musik selbst: ein breites, farbenreiches Spektrum, das Peter Thomas’ außergewöhnliche Stellung zwischen orchestraler Finesse, Popkultur und experimenteller Spielfreude eindrucksvoll verdichtet.
Am Ende steht ein Album, das ein akustisches Fenster in eine Epoche öffnet, in der das deutsche Fernsehen noch maßgeblich von Autoren, Komponisten und Regisseuren geprägt wurde, die sich spielerische Freiheit erlaubten und Neues wagten. Peter Thomas gehört zu jenen Persönlichkeiten, die diese Phase unverwechselbar gemacht haben. “Der Kommissar” zeigt ihn in Bestform – neugierig, stiloffen, gleichzeitig präzise und verspielt. Die Veröffentlichung zu seinem hundertsten Geburtstag macht diesen Schatz endlich zugänglich und erinnert daran, wie viel Mut, Witz und Eleganz in seiner Musik steckt.
Wenn Klänge ein Zeitgefühl bewahren können, dann gelingt es diesen hier. Sie tragen die Schwarzweiß-Bilder von einst in die Gegenwart und zeigen, dass große Filmmusik nicht altert, sondern weiterlebt – in jedem Ton, der eine Geschichte begleitet, die man nie ganz vergisst.
https://www.facebook.com/peterthomassoundorchester
(VÖ: 28.11.2025)



