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JÜRGEN PLUTA – Blanche

1980/2025 (MiG Music) - Stil: Kosmische Elektronik

Es gibt Wiederveröffentlichungen, die wie Fenster in eine vergangene Zeit wirken – und es gibt solche, die plötzlich eine Geschichte freilegen, die man nie gekannt, aber immer geahnt hat. ´Blanche´ von Jürgen Pluta gehört zu Letzteren. Das 1980 erschienene Soloalbum des ehemaligen WALLENSTEIN-Bassisten war lange ein fast mythenumwobenes Fragment aus jener Übergangsphase, in der elektronische Musik ihren letzten Atemzug der Siebziger wagte und gleichzeitig aufbrach in eine neue, pulsierende Zukunft. Mit der nun erstmals digital und auf CD vorliegenden Edition erhält dieses Werk die Bühne, die es verdient, und offenbart zugleich, wie feinfühlig, neugierig und mutig sein Schöpfer damals gearbeitet hat.

Jürgen Pluta, der in Bottrop aufwuchs, hatte sich früh zwischen Sporthallen und Proberäumen bewegt, doch seine eigentliche Heimat lag immer in der Musik. Als er 1973 der Einladung von Jürgen Dollase folgte und bei WALLENSTEIN einstieg, begann für ihn eine intensive Phase der künstlerischen Auseinandersetzung, die ihn prägte. Von dort führte der Weg weiter zu STREETMARK und schließlich zu EMBRYO – jener weit verzweigten Band, die mehr Expedition als Gruppe war und deren freie Struktur Jürgen Plutas Blick endgültig für neue Klangsprachen öffnete. Parallel wuchs sein Interesse an Synthesizern, das unter anderem durch die Zusammenarbeit mit Harald Großkopf, dem späteren Elektronik-Pionier von ASHRA und Weggefährten von Klaus Schulze, intensiviert wurde.

Im Winter 1979 schloss sich der Kreis. In Kirchhellen, im “Procom Studio” seiner Heimatregion, begann Jürgen Pluta die Arbeit an ´Blanche´. Unterstützt wurde er dabei von Rolf Eggemann am Schlagzeug und dem Gitarristen Fritz Frey, mit dem er einst bei PROSPER musiziert hatte. Diese Besetzung blieb zwar klein, doch gerade daraus entfaltet ´Blanche´ seine Kraft. Die Musik wirkt konzentriert, schlank und von einer inneren Klarheit getragen, die schnell spürbar macht, dass Jürgen Pluta nicht experimentieren wollte, um Effekte zu erzeugen, sondern um Stimmungen zu öffnen.

Die Tracks gleiten wie unterschiedliche Lichtzustände an einem einzigen Tag vorüber. ´Montreux´ eröffnet das Album mit einer Mischung aus Warmherzigkeit und Bewegung, getragen von melodischen Synthesizerlinien, die sich wie ein ruhiger Atemzug in den Raum legen, während Schlagzeug und Gitarre behutsam Konturen zeichnen. ´Bayswater´ bringt einen urbaneren Puls ins Spiel, als würde man durch eine fremde Stadt wandern, ohne sich jemals fremd zu fühlen. In ´Airports´ weitet sich die Musik und wirkt wie ein Blick auf Startbahnen im Abendlicht, ein Schweben aus Sequenzen, das ein weites, ungedrängtes Panorama zeichnet.

Mit ´Blanc Et Noir´ öffnet sich eine feingliedrige Klangarchitektur, die zwischen Neugier und melancholischem Zauber schwingt. Dann folgt ´Serbian Nights´, ein Stück, das mit seinen schimmernden Synthesizerflächen und dem leicht schräg funkelnden Rhythmus eine deutliche Verwandtschaft zu den frühen Werken von Jean-Michel Jarre ahnen lässt, ohne je in echte verwandtschaftliche Nähe zu geraten. Jürgen Pluta bleibt immer er selbst, zugänglich, melodiös, aber auch bereit, dem Klang Raum zu geben, in dem sich Geschichten ohne Worte entfalten.

Das lange Epos folgt mit ´Valentyne´, einem sich langsam öffnenden Stück, das wie eine nächtliche Fahrt durch leere Straßen wirkt. Es ist ein ruhiges, aber stetig wachsendes Stück elektronischer Poesie, das zwischen feinen Sequenzern und verträumten Harmonien schwebt und dabei eine erstaunliche emotionale Tiefe erreicht. Das abschließende ´Voyage´ bündelt alle vorherigen Eindrücke. Es ist ein Werk voller Weite, zunächst beinahe meditativ, dann kraftvoll und voller präzise gesetzter Impulse.

Für die Neuauflage hat Eroc das Material mit großer Sorgfalt remastert. Die Wärme der analogen Quellen bleibt erhalten, doch die Details treten klarer hervor, Sequenzen wirken deutlicher strukturiert, Bassfrequenzen bekommen mehr Fundament, ohne den Charakter des Originals zu verfälschen. Besonders eindrucksvoll wirkt dies bei den rhythmisch akzentuierten Passagen, in denen die Elektronik früher oft etwas verhangen klang, nun öffnet sie sich mit einer neuen Transparenz.

´Blanche´ ist in dieser Neuauflage ein Stück Elektronikgeschichte, das neu zu leben beginnt. Es zeigt einen Musiker, der zur richtigen Zeit die richtigen Fragen stellte, ohne sich an den großen Namen seiner Epoche orientieren zu müssen. Jürgen Plutas Musik bewegt sich zwar in der Nähe von Edgar Froese, Jean-Michel Jarre oder Harald Großkopf, doch sie trägt eine eigene Handschrift, die von Klarheit, melodischer Intuition und einer unprätentiösen Offenheit geprägt ist.

Für jene, die elektronische Musik in ihrer historischen und emotionalen Dimension begreifen wollen, ist diese Ausgabe von ´Blanche´ ein unverzichtbares Must-Have – und zugleich das wunderbare Porträt eines Künstlers, der damals wie heute den Mut besitzt, seinen eigenen Weg zu gehen.

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