
JUSSI REIJONEN – sayr: kaiho – Live In Helsinki
2025 (unmusic) - Stil: Jazz, World Improvisation, Contemporary Acoustic
Wenn ´sayr: salt | thirst´ der erste Atemzug war, das Erwachen einer Erinnerung im Klang, dann ist ´sayr: kaiho – Live In Helsinki´ ihr Weiterleben – ein Atem, der sich nicht wiederholt, sondern wandert. Jussi Reijonen setzt seine musikalische Reise fort, nicht mit einem neuen Kapitel, sondern mit einer Bewegung, die aus der Stille wächst. „Kaiho“, dieses unübersetzbare finnische Wort zwischen Sehnsucht und zärtlicher Wehmut, trägt das Album wie ein unsichtbarer Puls.
Die Aufnahme entstand an einem einzigen Abend, im September 2025, im “Musiikkitalo” in Helsinki. Kein Studio, keine Kontrolle, kein zweiter Versuch. Nur der Moment, so wie er sich ergibt. Jussi Reijonen sitzt dort mit seiner Stahlsaiten-Gitarre und seiner Oud, zwei Instrumente, die ihn seit Jahrzehnten begleiten. Zwei Stimmen seiner Biografie. Ihre Zwiesprache ist so vertraut, dass sie sich gegenseitig Raum geben, ohne Grenzen.
´halla´ öffnet den Abend mit Frost in der Luft, dieser nordischen Kälte, die keinen Schmerz trägt, sondern Klarheit. Das Spiel wirkt tastend und entschlossen zugleich, als suchten die Finger einen Weg durch das Eis. Man hört, wie der Atem des Raumes Teil der Musik wird – das Publikum hält inne, die Stille klingt mit. Dann, in ´fes´, verändert sich die Farbe. Warme, tiefe Resonanzen der Oud steigen auf wie Erinnerungen an eine ferne Stadt, an Gerüche, Stimmen, Mauern, Hitze. Der Name ist Hommage und Heimkehr zugleich. Fès, wo Jussi Reijonen seine erste Oud fand, wird hier zu einem Ort im Inneren.
Das kurze Schlussstück ´vielä´ – „noch“ – ist kein Nachwort, sondern ein Weiteratmen. Ein letzter, zarter Akkord, bevor die Stille wieder Besitz ergreift. Es ist Musik, die nicht endet, sondern nur wie Spuren im Schnee verschwindet.
Was dieses Live-Dokument so besonders macht, ist seine Offenheit. Die Musik scheint einem fortlaufenden Prozess ausgesetzt und nie abgeschlossen. Man hört wie Jussi Reijonen spielt, spürt aber auch wie er denkt, erinnert, vergisst. Jede Note scheint sich selbst zu suchen, jede Pause erzählt von Zeit, die vergeht und sich doch festhält.
Im Gegensatz zum konzentriert-intimen ´salt | thirst´ klingt ´kaiho´ wie eine Rückkehr an den Ursprung. Jussi Reijonen verzichtet auf alles, was ablenkt. Kein Overdub, kein Effekt, kein Ornament. Nur Finger, Saiten, Atem, Raum. Und dazwischen diese feinen Schattierungen, in denen sich nordische Klarheit und arabische Ornamentik umarmen.
Jussi Reijonen gelingt hier etwas Seltenes: Musik zu machen, die einfach sein darf. ´sayr: kaiho – Live In Helsinki´ ist ein Moment, eingefangen im Fluss, in dem Erinnerung und Gegenwart sich berühren, kurz, bevor sie wieder auseinanderdriften. Es ist der Klang der Sehnsucht – nicht nach etwas, sondern nach dem Augenblick selbst.



