
ESTHESIS – Out Of Step
2025 (Misty Tones/Just For Kicks) - Stil: Prog Rock
ESTHESIS versuchen erst gar nicht laut zu werden, weil sie wissen, dass Tiefe leiser spricht. Mit ´Out Of Step´ legt die französische Formation um Aurélien Goude ein Werk vor, das ein Eigenleben entwickelt. Es ist ein Album, das fließt, das sich bewegt wie Nebel über stillen Straßen, und das jene stille Energie entfaltet, die entsteht, wenn jedes Detail sitzt.
Nach dem schon bemerkenswert dichten ´Watching Worlds Collide´ führen ESTHESIS ihren Weg nun konsequent weiter. Die Handschrift verweilt weiterhin im melodiösen Art Rock mit melancholischem Puls. Marc Anguill lässt den Bass singen, während Arnaud Nicolau Schlag für Schlag kleine Gewitter entfesselt. Über allem schwebt die Stimme von Aurélien Goude – keine klassische Rockröhre, sondern ein stilles Instrument der Nähe, das mehr flüstert als flucht.
Bereits der Opener ´Connection´ entfaltet dieses geheimnisvolle Schweben. Ein schleppender Puls, ein vorsichtiges Klavier, ein Hauch Dunkelheit. Dann öffnet sich der Raum, um alles magisch anzuziehen. ´The Frame´ folgt als fragiles Konstrukt aus Melodie und Reflexion, ein Lied über das Gefangensein im eigenen Blickfeld, über die Rahmen, die wir uns selbst ziehen. Mathilde Collet verleiht mit ihren entrückten Harmonien den Liedern eine weitere Stimme.
Der Titelsong ´Out Of Step´ ist ein stiller Koloss von betörender Eleganz. Der Bass gräbt sich tief ins Bewusstsein, die Gitarre von Rémi Geyer zieht Funken über die glatte Oberfläche, während Goude zwischen Distanz und Hingabe balanciert. Es ist Musik, die unter die Haut geht, über das Fremdsein in der eigenen Welt, über das Gefühl, einen halben Schritt neben dem Takt des Lebens zu gehen.
Mit ´City Lights´ nehmen ESTHESIS das Tempo heraus, nur um mehr Raum zu schaffen. Zwischen sanft perlendem Klavier und flirrenden Gitarren erklingt das nächtliche Leuchten einer Stadt, die träumt und doch nie schläft. ´Circus´ dagegen überrascht mit drängender Energie, ein musikalischer Wirbel aus Bewegung und Spiegelbild, sozusagen ein ironischer Kommentar auf die Masken, die der Alltag fordert.
Das fast elfminütige Finale ´The Storm´ bündelt alle Kräfte des Albums. Es beginnt im Flüsterton, wächst organisch, zieht sich zusammen wie der Himmel vor einem Gewitter, bis es in einem instrumentalen Höhepunkt explodiert. Hier zeigen ESTHESIS ihre ganze Klasse.
´Out Of Step´ schenkt am Ende die erhoffte Tiefe. Ihr Sound verbindet die introspektive Weite von THE PINEAPPLE THIEF mit der strukturellen Eleganz von RIVERSIDE, doch bleibt er unverwechselbar französisch – elegant, melancholisch, auf subtile Weise cineastisch. Ein Werk, das aus der Zeit gefallen scheint und gerade deshalb so modern wirkt. ESTHESIS möchten mit ´Out Of Step´ sanft sein und dennoch tief treffen.
(8,5 Punkte)



