Hans Spitzen ist ein Musiker, der schon früh seine ganze Welt in Töne übersetzte. Mit sieben Jahren saß er erstmals am Klavier, später griff er zu Gitarre, Bass und Flöte, bevor er am Konservatorium in Zwolle studierte. Über IRIS bis hin zu seiner heutigen Rolle als Gitarrist bei FLAMBOROUGH HEAD hat er sich tief in der niederländischen Prog-Szene verwurzelt. Sein Solo-Debüt ´Fingerprints´ erschien 2015, nun – ein Jahrzehnt später – folgt mit ´About Time´ die lang erwartete Fortsetzung. Der Multi-Instrumentalist spielt erneut fast alles selbst ein, einzig Hans Kuypers (Gesang bei ´The Curse´) und Rosalie Vrijhof (Flöte in ´Jumping The Milestone´) setzen feine Akzente.
Der Auftakt ´The Curse´ ist ein scharfer Kommentar auf die dunkle Seite von Religion. Kuypers singt von Angst, Dogmen und heiligen Schriften, die ganze Völker in Ketten legen. Spitzen unterlegt diese Worte mit einem dichten Teppich aus Riffs, hämmernden Akkorden und spannungsvollen Dynamikwechseln. Die Musik steigert sich in Wellen – mal drohend, mal hymnisch – und spiegelt so die Zerrissenheit der Texte wider.
Mit ´Jumping The Milestone´ nimmt sich Spitzen über zwölf Minuten Zeit, um über Vergänglichkeit und den Lauf der Jahre zu reflektieren. Fragen nach verpassten Chancen, nach Dankbarkeit und dem Altern werden mit eleganten Melodien verknüpft. Lyrisch pendelt das Stück zwischen Introspektion und einem freundlichen Gesprächston, musikalisch zwischen ruhigen Flötenthemen und drängenden Instrumentalpassagen. Es ist ein Song, der langsam reift und am Ende mehr wie ein Gespräch mit sich selbst klingt.
´Out Of Here´ ist kürzer und direkter – und wirkt fast wie eine Flucht aus der Nachrichtenflut. Spitzen singt von Isolation, Pandemien, Machtspielchen in Washington und Moskau, und vom Wunsch, den Stecker zu ziehen und am Meer Ruhe zu finden. Der Song ist rockiger, geradliniger, aber immer noch mit kleinen rhythmischen Haken versehen – ein Stück Realismus im Prog-Gewand.
Dann folgt mit ´The Little Prince´ eine epische Komposition. Angelehnt an Saint-Exupérys Erzählung, mischt Spitzen poetische Szenen – der einsame Junge auf dem Asteroiden, die Begegnungen mit König, Fuchs und Schlange – mit einer Musik, die zart beginnt und sich zu orchestralen Wogen steigert. Keyboardflächen, Gitarrenfiguren und feine Details malen die Welt des kleinen Prinzen, bis am Ende die Sehnsucht nach Heimat und Rose in bewegender Klarheit stehen bleibt.
Den Abschluss bildet ´Before It Is Too Late´, ein fast zehnminütiges Finale, das sich mit der Klimaveränderung auseinandersetzt. Spitzen verwebt seine Musik mit Auszügen aus Greta Thunbergs Rede beim UN-Klimagipfel COP25 – eine bewusste Entscheidung, die dem Stück eine besondere Schärfe und Aktualität gibt. Zwischen ruhigen, beinahe zerbrechlichen Passagen und aufrüttelnden Ausbrüchen entfaltet sich ein Song, der zum Handeln mahnt.
´About Time´ ist die erhoffte Rückkehr. Hans Spitzen gelingt es, schwere Themen wie Religion, Vergänglichkeit, Einsamkeit und Klimawandel mit musikalischer Leichtigkeit zu tragen. Fließende Tempowechsel, farbige Soli und orchestrale Keyboard-Arrangements machen das Album zu einer echten Prog Rock-Scheibe. Es ist nicht nur „about time“, dass dieses Album erschienen ist – es ist auch genau die richtige Musik zur richtigen Zeit.
(7,5 Punkte)
