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LARS FREDRIK FRØISLIE – Quattro Racconti

2025 (Karisma Records) - Stil: Progressive Rock

Es gibt Soloalben, die nicht wie ein Anfang klingen, sondern wie ein geerbtes Artefakt, das aus einer anderen Zeit in unsere Gegenwart gefallen ist. ´Quattro Racconti´, die italienische Fassung von Lars Fredrik Frøislies Debüt ´Fire Fortellinger´, ist genau so ein Werk. Vier Geschichten, vier Klanglandschaften – jede wie ein Mythos, ein eigenes Universum, getragen von alten Instrumenten, deren Töne wie Nordlichter über den Horizont der Seele ziehen. Stefano “Lupo” Galifi, bekannt von den legendären MUSEO ROSENBACH, verleiht diesen Erzählungen mit seiner warmen, expressiven Stimme nun eine menschliche Wärme, einen Gesang wie flüssiges Licht, das die Schatten erhellt.

Lars Fredrik Frøislie, bekannt von WOBBLER, ist kein gewöhnlicher Musiker, er kreiert Klangräume, in denen Zeit, Natur und Traum ineinanderfließen. Mit Hammond, Mellotron, Moog und einer Sammlung antiker Tasteninstrumente errichtet er Kathedralen aus Schall, in denen jede Note ein Bogen, jeder Akkord eine Säule ist. Dazu spielt er Schlagzeug und alles außer den Bass, den Nikolai Hængsle übernimmt. Stefano “Lupo” Galifis italienischer Gesang taucht die Texte nunmehr in neue Farben und Tiefen, macht das Unsichtbare hörbar. ´Quattro Racconti´ offenbart somit umso mehr als italienische Version von ´Fire Fortellinger´ Lars Fredrik Frøislies monumentale Virtuosität und die universelle Kraft seiner Kompositionen.

Il Cavaliere Dell’Apocalisse (16:56)

Fast siebzehn Minuten lang reitet der Hörer mit dem „Ritter der Apokalypse“ durch eine Landschaft aus Eis, Schnee und Sturm. Ein fernes Grollen aus Mellotron und Orgel kündigt an, dass diese Tour kein gewöhnlicher Ausritt ist. Schicht um Schicht erhebt sich das Stück, wie ein Berg, der aus der Nebeldecke wächst. Motive, die an die Siebzigerjahre erinnern, entfalten sich rhythmisch, fordernd, pulsierend wie das Herz eines alten Göttertempels. Bald führt Lars Fredrik Frøislie die Szenerie in stillere Gefilde. Flüsternde Stimmen, getragen vom elektrischen Klavier, geben sich wie ein alchemistisches Ritual im Zwielicht des Mittelalters.

Die italienischen Lyrics malen dieselbe Winterwelt, in der Schnee Träume bedeckt und das Leben archaisch, rau und schlicht ist. Doch hinter dieser Schlichtheit lauert wilde Natur, in die man sich freiwillig wagt – „il muschio cresce su di noi e le ossa si polverizzano“. Am Ende wirkt das Stück wie ein zyklisches Oratorium, in dem Untergang und Wiedergeburt, Requiem und Neubeginn, untrennbar miteinander verwoben sind.

Un Posto Sotto Il Cielo (06:53)

„Ein Ort unter dem Himmelsgewölbe“ – auf Italienisch senkt sich die Musik wie Morgentau auf eine blühende Wiese. Harpsichord und zarte Flötenklänge vom Chamberlin öffnen die Himmelstore. Stefano “Lupo” Galifis Stimme tritt hervor, warm, getragen, wie Sonnenlicht, das durch dichte Blätter fällt. Nikolai Hængsles Bass verankert die Szene, während Mellotron und Orgel wie Äste in der Luft schweben, ein Geflecht aus Licht und Schatten.

Die Lyrics erzählen von einer mythischen Verfolgungsjagd. Eine Kutsche stürzt, die Sonne wird schwarz und rot wie Blut, Dunkelheit breitet sich aus, und die Flüchtenden wandern wie Geister durch den Wald, vom Wind getragen. Musik und Wort verschmelzen hier zu einer nordischen Saga, episch und schicksalsschwer, aber von einer melancholischen Schönheit durchzogen, die den Atem der alten Legenden in sich trägt.

Presagio (06:27)

„Zeichen und Wunder“ – so beginnt ´Presagio´. Eine treibende Hammond-Orgel eröffnet das Stück, ungestüm und direkt, wie ein Sturm über jahrhundertealten Klippen. Doch immer wieder webt Lars Fredrik Frøislie geheimnisvolle Motive ein, etwa einen sirenenhafter Klang, fast wie ein Theremin, der die Musik in sphärische Höhen trägt.

Die italienischen Lyrics spiegeln diese Doppeldeutigkeit. Ein Träumer unter einem Baum, vom Salzgeruch der Küste umweht, umgeben von Gärten, Statuen und den Echos vergangener Zivilisationen. Alles wirkt vertraut und entrückt zugleich. Die Musik erhält fiebrige Intensität, Vision und eine prophetische Aura, wie ein Blick in die verborgensten Winkel der Zeit.

Cattedrale Della Natura (16:36)

Das Finale ist ein Monument aus Klang. „Die Kathedrale der Natur“ erhebt sich wie ein Berg aus Orgelakkorden, überzogen von Schlagzeug und Gesang zwischen Beschwörung und Gebet. Themen verzweigen sich, dunkle, bedrohliche Harmonien treffen auf helle, barocke Passagen. Ein Harpsichord klingt wie Saiten in einer alten Burg, das Mellotron beschwört Chöre, die wie Geister durch die Hallen ziehen.

Die italienischen Lyrics entfalten dieselbe düstere Mythologie. Ein König schläft unter Stein und Torf, Ragnarök-Bilder ziehen durch die Verse, doch erklingt auch Heiliges – „un luogo sacro dove il passato ci incontra“. Die Musik schwillt im letzten Drittel wie ein Sturm über die Fjorde, bevor alles in einem strahlenden Schlussakkord kulminiert, eine Naturkathedrale aus Klang, Licht und Schatten zugleich.

´Quattro Racconti´ ist mehr als eine Hommage an den Progressive Rock der Siebziger. Es ist eine Wiedergeburt eines klassischen Klangkosmos, nun in italienischer Sprache. Analogzauber, alte Geschichten, tiefe Liebe zur Natur und Musikgeschichte. Dieses Album lebt und wächst. ´Quattro Racconti´ ist auf Italienisch gesungen ein gottgegebenes Meisterwerk.

(10 Punkte)

https://www.facebook.com/larsfredrikfroislie


(VÖ: 24.10.2025)

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