
GOMORRHA – The Complete Recordings
2025 (MiG Music) - Stil: Psychedelic/Prog Rock
Wenn “MiG Music” den verstaubten Vorhang zur Schatzkammer der deutschen Rockgeschichte beiseiteschiebt, glühen plötzlich wieder die alten Bänder von GOMORRHA auf. Und man spürt beim Hören dieser Box ´The Complete Recordings´, wie wild, schräg und zugleich visionär frühe deutsche Rockmusik sein konnte. Drei Alben, drei Kapitel einer kurzen, aber hell aufflammenden Karriere, die unter der Ägide von Conny Plank entstand, als er selbst noch kaum mehr als ein junger Tüftler im Rhenus-Studio war.
´Gomorrha´ (1970) – der psychedelische Urknall
Die Band aus dem Kölner Raum begann als psychedelische Popgruppe, und auf ihrem ersten, deutsch eingesungenen Album ´Gomorrha´ hört man diesen Hippiegeist noch deutlich. Gitarrist Adalbert “Ad” Ochel musste singen, weil sonst niemand dazu bereit war. Die Texte klingen heute fast anrührend naiv, während im Hintergrund Fuzz-Gitarren flirren und ein launiges Vibraphon jazzige Tupfer setzt.
Stücke wie ´Totes Land´ und ´Flammenhände´ lassen aber bereits erahnen, dass hier keine Blumenkinder im Sonnenschein badeten, sondern junge Männer am Klangschmelzofen standen. ´Regenbogenschein´ wiederum schwebt mit leichtfüßigem Flötenspiel durch den Raum, sozusagen psychedelisch wie ein Tagtraum in Pastell.
So liebenswert diese Aufnahme auch ist, sie wirkt wie ein letzter Sonnenstrahl der Sechziger, bevor der Nebel des Krautrock heraufzog. Immerhin bekam die Band 0,10 DM pro verkaufter Platte.
´Trauma´ (1971) – der große Wurf
Conny Planks entscheidender Einfall veränderte alles. GOMORRHA sangen mit neuem Sänger Peter Otten nunmehr auf Englisch – und plötzlich explodierte alles.
´Trauma´ ist eine ausgewachsene psychedelische Krautrock-Bombe, die mit kreisenden Orgeln, schmatzenden Gitarren und halluzinogenen Klangflächen jede brave Lavalampe aus der Fassung pustet – obwohl es sich doch eigentlich nur um Neuaufnahmen der Songs des Debüts mit englischem Gesang handelt.
Im Mittelpunkt steht der 13-minütige Titeltrack, ein Lavafluss aus Orgel, Gitarren und kosmischen Effekten, der sich langsam auftürmt, bis er in einer fiebrigen Jam-Eruption explodiert. ´Journey´ und ´Dead Land´ glänzen mit düster-melancholischem Unterton. Letzteres eine apokalyptische Mahnung, geschrieben mit Blick auf das ansteigende Weltbevölkerungswachstum. In jedem Ton steckt ein ungezähmter Drang, Klanggrenzen zu sprengen.
An dieser Stelle schälen sich GOMORRHA aus dem Kokon der Sechziger und spannen die Flügel des Krautrock weit auf.
´I Turned To See Whose Voice It Was´ (1972) – der Gipfelsturm
Nur ein Jahr später erreicht die Band ihren Zenith. “Brain Records”, damals frisch gegründet, gibt den Musikern Studiozeit und völlige Freiheit, und Conny Plank zündet den Nachbrenner. Das Resultat ist ein dunkler, komplexer, von Orgeln umwobener Hardprog mit apokalyptischem Konzept.
´Dance On A Volcano´ wuchtet sich mit schneidenden Gitarrenriffs und eruptiven Dynamiksprüngen durchs Eröffnungstor, ´Opening Of A Sealed Book´ changiert zwischen filigranem Flüstern und nervösem Brodeln, und ´I Try To Change The World´ ist eine bluesgetränkte Krautrock-Odyssee, die in psychedelischen Funken verglüht. Selbst das Titelstück, inspiriert von der Offenbarung des Johannes, pulsiert trotz biblischer Schwere mit glühendem Drive. Hier treffen westcoastige Weite, deutsche Experimentierlust und britischer Hardrock zu einem ungezähmten Klangwesen zusammen.
Die Band selbst zerbrach 1973 – vielleicht zu früh, vielleicht zur rechten Zeit. Ali Claudi wanderte in den Jazz, Ad Ochel legte die Gitarre für immer weg und baute lieber Häuser. Doch wer heute diese Box auflegt, hört keinen Anachronismus, sondern elektrisierende Visionen aus einer Ära, in der alles möglich schien.
´The Complete Recordings´ ist ein vergessenes Kleinod, ist ein Trip zurück in die Zeit, als deutsche Rockmusik begann, ihre eigenen kosmischen Pfade zu schlagen. GOMORRHA klingen heute wie ein fehlendes Bindeglied zwischen frühen SCORPIONS, JANE und der düsteren Seite von PINK FLOYD, aber mit dieser eigentümlich deutschen, leicht schrägen Handschrift, die man „Kraut“ nennt. ´The Complete Recordings´ ist für alle, die wissen wollen, wie wild, rau und schön der deutsche Prog einmal war.
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