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CHICO HAMILTON – Chico Hamilton Quintet

1956/2025 (Blue Note) – Stil: Jazz

Es gibt diese Alben, die wie ein laues Westküstenlüftchen über die Jazzlandschaft ziehen – und dann noch lange nachhallen. 1955 war Chico Hamilton so ein Wirbelwind, der mit seinem Quintett die Regeln vergaß, aber das Swingen nie. Flöte, Klarinette, Cello, Gitarre, Bass und Schlagzeug – eine Besetzung, die keiner erwartete, und doch alles erklärte. Dabei entstand ein Jazz, der leichtfüßig, verspielt und doch streng organisiert ist. Man hört das Knistern, die Intimität und die Freiheit – und wer einmal in diesen Klang eingetaucht ist, kehrt nie wieder unberührt zurück.

Der US-amerikanische Schlagzeuger Chico Hamilton war schon ein gefragter Mann, als er noch gar nicht richtig erwachsen war. Noch vor dem Schulabschluss spielte er mit Charles Mingus, Dexter Gordon, Illinois Jacquet und Buddy Collette. Später zog er mit Lionel Hampton, T-Bone Walker, Lester Young, Count Basie, Duke Ellington, Gerry Mulligan, Billie Holiday und Nat King Cole durchs Land. Er saß hinter Fred Astaire in ´You’ll Never Get Rich´ am Schlagzeug und klopfte den Beat für Bing Crosby und Bob Hope in ´Road To Bali´. Doch erst Mitte der Fünfziger kam sein persönlicher Moment – als Bandleader und Wegbereiter des West Coast Jazz.

1955 gründete Chico Hamilton in Los Angeles sein CHICO HAMILTON QUINTET, eine bis dahin völlig unorthodoxe Combo mit Flöte, Saxophon und Klarinette (Buddy Collette), Gitarre (Jim Hall), Cello (Fred Katz), Kontrabass (Carson Smith) sowie Chico Hamilton selbst an den Drums. Kein Piano, keine Trompete, keine Big-Band-Wucht. Stattdessen zarte Stimmen, die sich ineinander verschränken, Linien, die flirren wie Sonnenlicht auf Wasser, und ein Groove, der federleicht, aber unerschütterlich unter der Oberfläche pulsiert.

Dass diese Formation überhaupt zustande kam, grenzt fast an ein kleines Wunder. Buddy Collette stieß noch dazu, als Chico Hamilton eigentlich schon mit der Show des Las Vegas-Superstars Liberace aufbrechen wollte. Doch Fred Katz hatte gerade verkündet: „Bevor ich die Handschuhe an den Nagel hänge, möchte ich noch ein bisschen Jazz auf dem Cello spielen“, und Jim Hall war frisch aus Cleveland in Kalifornien gelandet – empfohlen von John Pisano, der Hamilton versicherte: „Er liest gut, spielt gut und schreibt auch.“ Carson Smith schließlich musste Hamilton in Los Angeles regelrecht aufspüren, nachdem dessen Club-Gig geplatzt war. Kaum versammelt, probten sie erstmals bei Chico Hamilton zuhause – „wir hatten nur zwei Blätter Musik, es war keine Probe, eher ein Anfang“, erinnerte er sich später. Ein Anfang, der Jazzgeschichte schrieb.

Die Platte ´Chico Hamilton Quintet featuring Buddy Collette´ (später auch als ´Spectacular!´ neu aufgelegt) ist ein zweigeteiltes Juwel: Eine Hälfte entstand am 23. August 1955 im Studio in Hollywood, die andere am 4. August live im “The Strollers Club” in Long Beach.

Die Studioseite ist die kühlere Schönheit. Sie ist präzise arrangiert, fast kammermusikalisch. Gleich zur Begrüßung flaniert ´A Nice Day´ mit Klarinetten- von Buddy Collette und Cellolinien von Fred Katz wie ein Spaziergang durch einen stillen Garten. ´My Funny Valentine´ wird hier zu einer äußerst melancholischen Miniatur, in der Fred Katz’ Cello die Romanze ausleuchtet, als wäre es eine vergessene Sonate, die Jim Hall an der Gitarre und Buddy Collette an der Flöte verfeinern.

´Blue Sands´ schwebt wie eine Fata Morgana heran, beginnt mit gedämpften Mallets, weichen Schlägeln von Chico Hamilton, und flüsternder Flöte, baut sich in geheimnisvollen arabesken Bögen auf – und zerfällt frohlockend wieder zu Sand. ´The Sage´ ist wie eine kleine Barockfantasie zwischen Jim Halls Gitarre und Fred Katz’ Cello mit prägnantem Bass von Carson Smith, während ´The Morning After´, eine Chico Hamilton-Komposition, durch das Arrangement von Jim Hall ein kunstvolles Gerüst aus Melodie, Gegenmelodie und Kontrapunkten erhält, innerhalb dessen das Quintett seine Improvisationen frei entfalten kann.

Dann öffnet sich die Tür zum Club. ´I Want To Be Happy´ tänzelt los, insbesondere Flöte und Schlagzeug sind beschwingt, ´Spectacular´ wechselt die Geschwindigkeit, Buddy Collette jagt seine Saxophonlinien über Jim Halls elegante Gitarrenriffs. Chico Hamilton hält alles locker zusammen, wie ein Schatten, der swingt.

Mit ´Free Form´ wagt sich die Band auszubrechen. Eine freie Improvisation, vier Jahre vor Ornette Coleman, langsam wild aufbrausend und kontrolliert zugleich, als hätten sich moderne Klassik und Cool Jazz aufeinander eingelassen. ´Walking Carson Blues´ ist bodenständig, ein ehrlicher kleiner Blues mit Altsaxophon und Gitarre im Zentrum des Geschehens. Doch das Set schließt ´Buddy Boo´ mit verspielter Nonchalance.

Das Besondere an diesem Album ist nicht Lautstärke oder Virtuosität, sondern Raffinesse. Niemand tritt in Konkurrenz zueinander, alle sind gleichberechtigt, Flöte, Cello, Gitarre umkreisen sich wie Planeten, während Bass und Schlagzeug unaufdringlich den Puls liefern. In einer Ära, in der Bebop in schwindelerregender Geschwindigkeit kreiste, legte Chico Hamilton ein kontemplatives Gegengewicht.

Die Musiker selbst beschrieben das Quintett damals als eine Art Werkstatt, in der jeder schreibt, denkt, erfindet. Fred Katz sprach von „Inhalten, nicht bloß cleveren Akkorden“, Jim Hall sah im Cello „das Element, das uns zusammenhält“, Buddy Collette betonte die kollektive Improvisation, aus der später ganze Stücke geboren würden, und Carson Smith erinnerte daran, dass Jazz zwar aus Improvisation geboren werde, ihre besondere Besetzung aber sorgfältige Arrangements verlange.

Improvisation, Komposition und Arrangement verschmelzen beim CHICO HAMILTON QUINTET somit zu einer neuen Form, zu einem Jazz als frei atmendes, aber präzise gebautes Klangwesen. Man kann hören, wie dieses Quintett Türen aufstößt – in Richtung einem Denken jenseits der gängigen Jazzmuster. Und gleichzeitig ist das Ganze einfach wunderschön, klar, luftig, elegant, mit einer lässigen Coolness.

Chico Hamilton selbst fasste es damals schlicht zusammen: „Wir versuchen einfach, gute Musik zu spielen. Wenn man das modern nennen will – bitte. Für mich ist es einfach Swing.“

Mit diesem Werk hat Chico Hamilton 1955 Jazz auf Samtpfoten erfunden. Zwischen Studio-Präzision und Club-Feuer, zwischen westcoastiger Leichtigkeit und kammermusikalischer Tiefe entstand Musik, die sich allen Etiketten entzieht und zeitlos klingt, als sei sie für die Ewigkeit gedacht. Jeder Ton, jede Linie atmet Freiheit und gegenseitige Inspiration. Das CHICO HAMILTON QUINTET zeigt, dass Jazz gleichzeitig verspielt, innovativ und warmherzig sein kann. Der heißeste Kammerjazz des Jahres 1955 heißt: Chico Hamilton Quintet – und swingt wie kein anderer.

(Klassiker)

´Chico Hamilton Quintet´ erscheint in der „Tone Poet Vinyl“-Reihe, in einer schwer zu übertreffenden Neuauflage und Pressung, d.h. audiophiles, rein analoges Mastering durch Kevin Gray von den Original-Analogbändern, auf Mono, eine flache und extrem leise 180g-Vinyl-Pressung durch RTI und ein glänzendes, schwer stabiles Tip-on-Single-Sleeve.

https://www.facebook.com/ChicoHamilton

Chico Hamilton – Schlagzeug
Buddy Collette – Tenorsaxophon , Altsaxophon , Flöte , Klarinette
Fred Katz – Cello
Jim Hall – Gitarre
Carson Smith – Bass

 

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