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BIOSCOPE – Gentō

2025 (earMUSIC) - Stil: Progressive Ambient Prog / Electronic Prog

Zwei Schwergewichte der progressiven Musikszene treffen aufeinander: Steve Rothery, Gründungsmitglied von MARILLION und seit Jahrzehnten der Meister des lyrischen und schwebenden Gitarrenspiels, und Thorsten Quaeschning, seit dem Tod von Edgar Froese musikalischer Leiter von TANGERINE DREAM, Architekt unzähliger Sequencer-Landschaften und filmischer Klangräume. Gemeinsam nennen sie sich BIOSCOPE, wie ein früher Projektionsapparat.

Die Entstehungsgeschichte reicht zurück bis in das Jahr 2020, als sich beide Musiker in Berlin trafen und über die Jahre hinweg begannen, Ideen zu sammeln. Eine konzentrierte fünftägige Session im Heimstudio von Steve Rothery in Südwestengland brachte schließlich den entscheidenden Schliff. Herausgekommen ist ein Album namens ´Gentō´, eine japanische Schreibweise der “Laterna Magica”, und suggeriert dementsprechend Bilder aus Klang sowie Licht aus Tönen.

Tatsächlich wirkt ´Gentō´ wie der Soundtrack zu einem imaginären Film, mitsamt seinen fünf Instrumentalstücken, jedes inspiriert von der Faszination des bewegten Bildes, jedes mit einer klaren dramaturgischen Klangreise. Dass Thorsten Quaeschning auch als Soundtrack-Komponist für Kino und Games bekannt ist, und Steve Rothery gerne an der Grenze zwischen Song und Klanggemälde arbeitet, hört man in jeder Sekunde.

Das Werk öffnet sich mit ´Vanishing Point´, einer zwanzigminütigen Reise durch Zeit und Raum, und legt umgehend die Essenz von BIOSCOPE frei. Atmosphärische Weiten, hypnotische Sequencer sowie ein Schlagzeugspiel von Alex Reeves (ELBOW), das nicht programmiert ist, sondern lebt und atmet. Steve Rotherys Gitarre schimmert wie ein ferner Stern, der im nächsten Moment aus dem Nebel emporsteigen kann.

Der Titeltrack ´Gentō´ ist komprimierter, aber nicht weniger intensiv. Sequenzen im Geiste der Berliner Schule treiben nach vorne, dazu zarte Gitarrenschatten, die sich wie Lichtstrahlen durch die Dunkelheit ziehen. Die Bewegung ist spürbar – Züge, Lichter, Straßenschluchten. Steve Rothery selbst sprach davon, dass das Stück bewusst wie eine Zugfahrt konzipiert ist, inklusive echtem Soundmaterial aus Tokio. Und so fließt der Geist von KRAFTWERK und TANGERINE DREAM in den modernen Großstadtrausch.

´Kinetoscope´ gleicht einer Passage vom Traum zur Bewegung. Erst tastend, dann eruptiv, getragen von Thorsten Quaeschnings modularem Maschinenpark, bis sich Steve Rotherys Gitarre wie ein menschlicher Atem darüberlegt. Wellen von Synthesizerflächen schaukeln hingegen den Hörer im dreiteilige ´Bioscope´ in eine imaginäre Unterwasserwelt, ehe Steve Rotherys Klangfarben über den Ozean hinwegziehen. Es ist der Zauber der frühen Filmgeschichte, der bewegenden Bilder. Zum Abschluss erscheint ´Kaleidoscope´ kürzer und direkter. Nach der Tiefe und Weite der vorherigen Stücke entlässt es den Hörer mit einem Gefühl von Aufbruch.

Das Album erscheint auch als Doppel-LP im Gatefold, aufwendig geschnitten im Halfspeed-Verfahren der “Abbey Road Studios”.

Schon die äußere Gestaltung – mit einer Liste an Instrumenten, die wie eine ganze Sternenkarte der analogen und digitalen Klangmaschinen wirkt – unterstreicht den cineastischen Anspruch. Denn ´Gentō´ will alle Strömungen zwischen Progressive Rock und Elektronik in einen gemeinsamen Fluss bringen. Steve Rotherys Gitarre ist kein Fremdkörper im elektronischen Strom, weil Thorsten Quaeschning Gebiete erschafft, in denen die Gitarre Luft holen darf.

´Gentō´ ist dabei spacig, episch und zugleich von einer ganz menschlichen Wärme. Vielleicht das spannendste Instrumentalwerk des Jahres 2025.

(8 Punkte)

https://www.facebook.com/bioscope.music/


Fotocredit: Thomas Ecke

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