
CARMEN MAKI & BLUES CREATION – Carmen Maki & Blues Creation
1971 (Nippon Columbia) - Stil: Blues Rock/Heavy Psychedelic
Als Kazuo Takeda Ende der Sechzigerjahre in Tokio mit dem Gitarrespielen beginnt, ist seine musikalische Welt von westlichem Blues, Surf Rock und britischem R&B geprägt. Er verschlingt alles von Wilson Pickett, Otis Redding bis zu den KINKS, ROLLING STONES, YARDBIRDS oder ZOMBIES, kopiert Gitarrenlicks aus importierten Platten, und beginnt, mit Bands wie THE BIKKIES die Tokioter Clubszene aufzumischen. Mit BLUES CREATION gründet er 1969 eine der ersten japanischen Bluesrock-Bands und bringt im selben Jahr das Debütalbum heraus, das ausschließlich aus Coverversionen von Bluesgrößen besteht. Doch Kazuo Takeda wächst nun über sich hinaus. 1971 erscheint ihr Meisterstück ´Demon & Eleven Children´, ein Album mit Eigenkompositionen, die härter, düsterer und kompromissloser sind. Der Blues explodiert dabei schon im Rock und Blues Rock. Allerdings ist die japanische Szene anschließend gleich noch einmal geschockt. Carmen Maki, bis dahin eher als Pop- und Theatersängerin bekannt, nimmt mit BLUES CREATION eine Woche nach den Aufnahmen von ´Demon & Eleven Children´ ein Album auf, das noch heute in seiner Kraft und Einzigartigkeit herausragt. Carmen Maki & BLUES CREATION ist eine wahre Erschütterung, eine wilde Fantasie, ein Wendepunkt für den japanischen Rock.
Carmen Maki ist im Jahre 1971 bereits eine bekannte Persönlichkeit in der japanischen Unterhaltungswelt, allerdings als Solosängerin mit Balladen, Pop-Perlen und Engagements im Avantgarde-Theater. Doch innerlich brodelt es. Sie sucht nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, nach einem Ausweg aus dem Gefälligen. Die Begegnung mit Kazuo Takeda und seiner Band BLUES CREATION ist der Funke, der das Feuer entfacht. Kazuo Takeda ist gerade mit den Songs seines extrem düsteren Albums ´Demon & Eleven Children´ die Stimme des Undergrounds. Seine Band löst sich in diesen Monaten von allen Konventionen. Die Band ist heißgespielt, ist experimentierfreudig und scheint nur auf die expressive, die fast schmerzvolle Stimme von Carmen Maki zu warten. Diese Verbindung elektrisiert und schockiert. Diese charismatische Frau mit ihrer durchdringenden Stimme vereint sich, geht einen Pakt mit dieser kompromisslosen Bluesrock-Band am Rande des Abgrunds ein. Gemeinsam erschaffen sie ein Meisterwerk, das weder klassischer Blues noch einfacher Rock ist. Es ist schwer. Es ist düster und schleppend. Es sind die Vorboten des späteren Psychedelic Rock und Doom.
Das Album wählt mit ´Understand´ einen düsteren und hypnotischen Einstieg. Der Song kriecht aus dem Nichts, baut sich langsam auf. Die Gitarren sind schwer, fuzzgetränkt, mit schleppendem Rhythmus. Makis Stimme schneidet die Luft. Die Atmosphäre ist beklemmend, fast erstickend.
Nun folgt ´And You´, zerbrechlich und fast balladenhaft, aber mit einer untergründigen Spannung. Der Song erinnert an die introspektiven Stücke von JEFFERSON AIRPLANE, doch Makis Vortrag ist rauer, kompromissloser. Die Gitarre bleibt dabei zurückhaltend, arbeitet mit viel Raum. Der Schmerz wird nicht betont, er ist einfach da.
Ein klassischer Slow-Blues ist ´Lord, I Can’t Be Going No More´, aber völlig neu interpretiert. Statt Wehmut regiert hier die Leere. Kazuo Takeda liefert schleppende Riffs, während Maki zwischen Flehen und Wut oszilliert. Es ist, als ob Janis Joplin in eine noch düsterere Welt hinabsteigt, mit unerbittlicher Tiefe.
Sogleich ist jedoch der Songtitel ´Empty Heart´ Programm. Die ganze emotionale Last des Albums bricht auf. Das Tempo zieht an, die Gitarren fräsen sich aggressiv durch den Mix. Maki singt mit nahezu heiserer Energie wie ein brodelnder Vulkan. Das ist einer der aggressivsten, wütendsten Momente.
Das traditionelle Spiritual ´Motherless Child´ wird radikal neu interpretiert. Kazuo Takeda lässt die bekannte Melodie in düsteren Gitarrenschichten verschwinden, während Maki den Song in eine Totenklage verwandelt. Endlich berühren sich Blues, Psychedelic und die Vorformen des Doom in einer unfassbar dichten, fast spirituellen Komposition.
Der experimentellste Song auf dem Album ist hingegen ´I Can’t Live For Today´. Unkonventioneller Rhythmus, flirrende Gitarren, dramatische Breaks – Maki schreit, flüstert, beschwört. Eine verzweifelte Ode ohne Erlösung.
Als ironischer, treibender Boogie sticht ´Mean Old Boogie´ aus dem Rest des Albums heraus. Die Band ist voller Spielfreude, Maki flirtet, spottet, kratzt sich durch die Zeilen. Ein Moment des Aufbegehrens, bevor das Dunkel zurückkehrt.
Der legendäre Song ´St. James Infirmary´ bereitet schließlich den monumentalen Abgesang vor. Langsam, schleppend, mit düsteren Moll-Riffs, die sich tief einbrennen. Maki verkörpert diese todtraurige Atmosphäre. Dann verklingt der letzte Ton. Es bleibt nur Schweigen. Und Staunen.
Kazuo Takeda selbst sagt im Rückblick, wie radikal und ungewohnt diese Musik war, zu einer Zeit, als Bluesrock in Japan gerade erst aufkeimt. Dieses Album ebnet jedoch den Weg für spätere, härtere japanische Rock- und Metal-Acts und zeigt, dass emotionale Kompromisslosigkeit auch im japanischen Kontext künstlerisch fruchtbar sein kann.
Das Album ist allerdings nicht nur stilistisch ein Meilenstein, sondern auch gesellschaftlich. Denn 1971 ist das japanische Musikbusiness männlich dominiert, radiofreundlich und stark am US-Mainstream orientiert. Carmen Maki, die sich aus der Welt des Pops löst und sich mit einer schwer riffenden Rockband zusammenschließt, vollzieht dabei einen revolutionären Akt. Später wird sie mit der Band OZ weiter forschen und weitere zehn Jahre später sogar der japanischen Heavy Metal-Band 5X vorstehen, das Album mit BLUES CREATION bleibt jedoch ihr künstlerischer Urknall.
Die offensichtlichste Referenz dieses Werkes ist BLACK SABBATH, vor allem deren Frühwerk mit tonnenschweren Riffs, schleppendem Tempo und düsterer Atmosphäre. Doch Carmen Maki bringt eine emotionale Tiefe, eine theatralische Fallhöhe ein, die eher an Janis Joplin oder Grace Slick erinnert. Gleichzeitig wirken manche Gitarrenlinien psychedelisch verzerrt wie bei JEFFERSON AIRPLANE oder CREAM, aber durch einen japanischen Filter betrachtet introspektiv und melancholisch.
Im großen Gegensatz zu westlichen Musikern benötigen CARMEN MAKI & BLUES CREATION jedoch keinen Drogen-Eskapismus, das Album ist an sich ein einziger emotionaler Ausnahmezustand. Schmerz, Wut und Hoffnungslosigkeit sind keine Imitation, sondern ein eigenständiger Beitrag zur globalen Rock-Revolution, geboren aus einem anderen Kulturkreis.
´Carmen Maki & Blues Creation´ ist ein vergessener Meilenstein, der es mehr als verdient, wieder gehört zu werden – roh, düster, unversöhnlich, samt einer Ausnahmestimme und einer auf dem Höhepunkt befindlichen Band: CARMEN MAKI & BLUES CREATION.