
MILES DAVIS – The Musings Of Miles
1955/2025 (Concord/Craft Recordings/Universal) – Stil: Jazz
Miles Davis wollte im Juni 1955, als er die “Rudy Van Gelders Studios” betrat, seine schlimmsten Jahre hinter sich lassen. Zeiten der Selbstzerstörung, heroindurchflutete Nächte, Zeiten als Stricher und Zuhälter – eine einst gefeierte Karriere, die so leuchtend mit Charlie Parker begonnen hatte, befand sich am Rande des Absturzes. ´The Musings Of Miles´, seine erste 12-Zoll -Langspielplatte für “Prestige Records”, war für ihn mehr als nur ein Neustart, es war das erste Aufwachen eines Mannes, der sich aus dem Tief seines Lebens zurückkämpfte.
Miles Davis steckte damals inmitten einer Wandlung. Privat wollte er weg von der Sucht und hin zu einem geregelten Leben. Seine Musik befand sich noch zwischen dem energischen Bebop und der introspektiven Klarheit seiner späteren Quintett-Jahre. Mit Red Garland am Klavier, Oscar Pettiford am Bass und Philly Joe Jones am Schlagzeug entstand gleichwohl ein mehr als ansprechendes Album, das man heute als musikalischen Wendepunkt ansehen kann.
Auf ´The Musings Of Miles´ ist erstmals Miles Davis’ typischer Sound zu hören, in der Mittellage rund und weich, in den Höhen klar und fokussiert, mit einem “Harmon”-Dämpfer, der seinem Klang eine nasale, aber niemals schrille Färbung verleiht. Aber es ist nicht nur der Klang, sondern seine Spielweise. Die Phrasierungen sind reduziert, oft fragmentarisch, aber immer gefühlvoll, fast nebenbei lässig und elegant. Miles Davis beginnt von diesem Moment an, jene Sprache zu sprechen, die ihn zu einer Schlüsselfigur des modernen Jazz machen sollte.
Der Standard ´Will You Still Be Mine?´ von Matt Dennis eröffnet die A-Seite. Miles Davis und seine drei Mitspieler machen daraus ein leichtfüßiges Stück mit viel Platz zum Auszeichnen. Miles Davis hält das Ensemble souverän zusammen, während sich Red Garland und Oscar Pettiford mit ihrem luftigen Stil wohltuend hervorheben. Miles Davis spielt im Sinne seiner aufkommenden Reduktion kontrolliert und überlegt.
Es folgt die Ballade ´I See Your Face Before Me´ von Arthur Schwartz. Die Melodielinien sind reduziert, fast schon bruchstückhaft, aber gerade in ihrer Einfachheit sehr emotional. Und Miles Davis spielt mit gedämpfter Trompete besonders gefühlvoll, während Red Garland die Tasten am Klavier obendrein auch kraftvoll anschlagen kann.
Für turbulente Klänge sorgen Red Garland und Philly Joe Jones in ´I Didn’t´, womöglich eine augenzwinkernde, ironische Antwort auf Thelonious Monks ´Well, You Needn’t´. Der Rhythmus in seinen hergebrachten Bepop-Linien bewirkt gewiss diese äußerst lebendige Vitalität.
Ein weiteres Stück von Arthur Schwartz, ´A Gal In Calico´, eröffnet die B-Seite fröhlich und unbeschwert. Miles Davis spielt sehr melodisch, Red Garland ergänzt mit fließenden Läufen, während Oscar Pettiford mit seinem Bass das Fundament für diesen leichten, fast tänzerischen Elan bildet.
Dizzy Gillespies Klassiker ´A Night In Tunisia´ erhält in dieser Version einen ganz neuen Anstrich. Statt der Energieausbrüche, die man von Dizzy Gillespie kennt, setzt Miles Davis auf Spannung und Zurückhaltung. Philly Joe Jones benutzt Sticks mit kleinen Glöckchen, die dem Stück noch eine exotische Note schenken.
Zum Schluss steht ´Green Haze´, eine Eigenkomposition von Miles Davis mit Blues-Einschlag, auf dem Programm. Der Blues steht allerdings nicht für Klage, sondern für Reflexion, und der Titel könnte ein Hinweis auf die schlimmen Zeiten vor diesem Neuanfang sein. Denn die Stimmung ist nachdenklich, Miles Davis’ Ton weich und dunkel und Red Garland begleitet dezent.
Mit ´The Musings Of Miles´ setzt Miles Davis ein klares Zeichen. Er ist zurück und auf dem Weg zu einem neuen Sound. Das Album ist zwar noch kein radikaler Bruch, aber es enthält bereits alle wichtigen Zutaten für seinen späteren Stil. Auch personell deutet sich hier der nächste Schritt an. Red Garland und Philly Joe Jones gehören schon zur Besetzung und werden noch im selben Jahr zusammen mit Paul Chambers und John Coltrane das legendäre First Quintet bilden. Deshalb ist ´The Musings Of Miles´ nicht nur ein gelungenes Quartettalbum, sondern auch ein wichtiges Zeugnis einer Übergangsphase. Es ist der Moment, in dem Miles Davis den Grundstein für eine beispiellose Karriere legt.
(8,5 Punkte)
´The Musings Of Miles´ erscheint in der von „Craft Recordings“ wiederbelebten Reihe „Original Jazz Classics” auf schwarzem Vinyl, in einer rein analogen AAA-Version frisch aufgelegt, natürlich auf 180g-Vinyl in einem Tip-on Jacket und mit einem coolen OBI-Streifen für den Sammler. Die mehrlagige Innenhülle ist eine antistatische aus Reispapier. Das Vinyl ist bei RTI produziert und wurde durch Kevin Gray von den Original-Masterbändern erstklassig gemastert.
Miles Davis – Trompete
Red Garland – Klavier
Oscar Pettiford – Bass
Philly Joe Jones – Schlagzeug
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