
SERGE CHALOFF – Blue Serge
1956/2025 (Blue Note) - Stil: Jazz
Wenn man an große Jazzmusiker denkt, dann kann Serge Chaloff sehr leicht übergangen werden. Dies wäre allerdings ein echter Frevel, denn Serge Chaloff hat insbesondere mit seinem Album ´Blue Serge´, das 1956 in Los Angeles aufgenommen wurde, ein wirklich einzigartiges Erbe hinterlassen.
Jetzt gibt es diese Platte in einer gewohnt hervorragenden Vinyl-Neuauflage aus der “Tone Poet-Serie” wieder zu erstehen. Die Mono-Abmischung wurde von Kevin Gray direkt von den analogen Originalbändern gemastert und bringt Serge Chaloffs nuancierten Klang wunderbar zur Geltung. Sie klingt warm, direkt und sehr prägnant. Diese Pressung auf 180g-Vinyl wird Jazz-Liebhaber sicherlich glücklich machen. Es ist ein audiophiles Erlebnis, das Serge Chaloffs flüchtiges Erbe bewahrt.
Der Weg, den Serge Chaloff bis zu diesem Punkt gegangen ist, war jedoch alles andere als einfach. Er stammte aus einer musikalischen Familie in Boston – seine Mutter hat unter anderem Größen wie Keith Jarrett und Herbie Hancock unterrichtet. Schon als Teenager war er ein Wunderkind am Baritonsaxophon und ließ sich von Harry Carney inspirieren. In den Big Bands von Boyd Raeburn und Woody Herman wurde er zum Inbegriff des Bop-Baritonisten, doch seine schwere Heroinsucht brachte ihn beinahe an den äußersten Tiefpunkt, seine Stimme zu verlieren.
Während einer Tournee durch das Land ging Serge Chaloff im März 1956 in die “Capitol Studios”, ohne vorher zu proben, und das mit einer ihm fast unbekannten Rhythmusgruppe. Neben ihm spielten Sonny Clark am Klavier, Leroy Vinnegar am Bass und Philly Joe Jones am Schlagzeug, ein Trio mit großer Energie und zum Glück auf derselben Wellenlänge wie Serge Chaloff. All dessen ungeachtet entstand aus dieser Produktion ein musikalisch beeindruckendes Werk: ´Blue Serge´, noch im selben Jahr veröffentlicht – ein Jahr bevor Serge Chaloff an Krebs starb.
Der Opener ´A Handful Of Stars´ zeigt sofort die Gefühlsebenen dieses Albums, tiefes Empfinden ohne Sentimentalität. Serge Chaloff bringt sein ganzes Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten ein. Vom feinen, leisen Subtone bis hin zum kraftvollen Bop ist alles dabei. Seine technische Beherrschung ist wirklich beeindruckend. Jeder Ton hat eine Bedeutung und jede Phrase verfolgt ein Ziel. Aber auch Sonny Clark am Klavier und Leroy Vinnegar am Bass zeigen auf solistischem Parkett ihr Können. Vor allem Philly Joe Jones am Schlagzeug und Leroy Vinnegar können anschließend im äußerst eilends vorgetragenen ´The Goof And I´ brillieren.
Es ist allerdings schwer zu glauben, dass Serge Chaloff dieses Album unter gesundheitlich schwierigen Bedingungen – seine Krankheit wurde auch erst zwei Monate später diagnostiziert – einspielen konnte. Vielmehr klingt er lebendig, aufmerksam und mutig. Sein Spiel ist voller Leben und Würde, und es drängt einen, zuzuhören.
Die Auswahl der Stücke, wie etwa Jerome Kerns beschwingtes ´All The Things You Are´ oder Harold Arlens swingendes ´I’ve Got The World On A String´, wirkt auf den ersten Blick harmlos, ist jedoch klug gewählt. Da diese Songs ausreichend Raum für persönliche Interpretationen bieten, kann Serge Chaloff seine eigene Perspektive der Kompositionen mit viel Gefühl meistern. Er zaubert ebenso einen neuen Blick auf den Balladen-Standard ´Thanks For The Memory´, ganz im Moment und ohne vorgefertigtes Konzept, und gibt sich in ´Stairway To The Stars´ völlig der Klangpoesie hin. ´Susie’s Blues´ ist dagegen ein Original und eine starke, elektrisierende und schnittige Hommage an die Blues-Tradition des Bop.
Serge Chaloff zeigt, wie tiefgründig, vielseitig und emotional das Baritonsaxophon im Jazz eingesetzt werden kann. Zudem gibt ihm diese Wiederveröffentlichung den verdienten Platz unter den Großen der Jazzgeschichte zurück. Denn ´Blue Serge´ ist ein Album, das nicht ungehört in Kisten und dunklen Räumen verstauben darf. Es ist ein vergessenes Meisterstück, das jetzt wieder entdeckt werden sollte.
https://www.facebook.com/bluenote
Serge Chaloff – Baritonsaxophon
Sonny Clark – Klavier
Philly Joe Jones – Schlagzeug
Leroy Vinnegar – Bass