
In Chile gibt es eine Band, die mit ihrem ersten, selbstbetitelten Album ´Chercán´ bereits die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Denn sie bringt eine frische Perspektive in die Welt des lateinamerikanischen Progressive Rock. Im Gegensatz zur schlichten Erwartungshaltung entfalten sich hier nicht nur die lauten Töne, sondern sehr markante und deutliche Klänge.
CHERCÁN sind nach dem kleinen Vogel benannt, der überall in Chile zu finden ist, und das beschreibt die Gruppe ziemlich gut. CHERCÁN sind auf keinen Fall schüchtern. Die Musik auf ihrem Album ist sehr lebendig. Sie ist wild und poetisch, tanzt durch jazzige Klänge, metallische Gipfel und folkloristische Erinnerungen.
Der erste Song ´La Culpa´ stürzt sich sofort in komplexe Strukturen. Die Gitarren, von Sänger Martín Peña und Roberto Faúndez, und das Saxophon von Matías Bahamondes bewegen sich durch ein Labyrinth aus Schuld und Identität. Fast so, als hätten KING CRIMSON, ANEKDOTEN und FULANO gemeinsam in einem chilenischen Studio einen einzigartigen musikalischen Schwur abgelegt. Schlagzeuger Rodrigo González Mera, bekannt von LA DESOOORDEN und HOMÍNIDO, gibt dem Stück einen tribalistischen Schwung, behält aber jederzeit die Kontrolle über die verschiedenen Elemente.
Sänger Martín Peña zeigt sich im Laufe des Albums als ein wahrer Geschichtenerzähler. Manchmal klingt er klagend, manchmal aggressiv, und dann wieder wirklich sanft und berührend. In dem Stück ´Caen Las Hojas Blancas´ experimentiert er mit seinem stimmlichen Ausdruck. Er wechselt zwischen Sprechgesang, Grollen und melodischem Gesang. In diesem Song verbinden sich die Avant Rock-Einflüsse von AKINETÓN RETARD mit der Vorliebe für Dissonanz von BLACK MIDI. Das Saxophon von Matías Bahamondes steht dabei im Mittelpunkt und bringt eine Vielzahl von Emotionen hervor, es schreit, flüstert und erzeugt ganz unterschiedliche Stimmungen.
Ein kurzer Moment des Innehaltens folgt mit ´Kalimba´. Meditativ und lebendig wie ein Organismus schwebt die Band zwischen Folk und modernem Prog, so dass erstmals die Unterstützung von Gästen wie Benjamín Ruz (Streicher), Javiera González (Viola) und Ariadna Kordovero (Cello) fühlbar wird. In dem kurzen kammermusikalischen Stück ´Desolación (En)´, gefolgt von ´Tiempos Paralelos´, vermischen sich Einflüsse aus chilenischer Volksmusik, modernem Prog und sinfonischen Elementen. Der nächste Track ´Las Mentiras Del Muro´ lässt dagegen seine Energie ungefiltert strömen. Kraftvoll agiert das Saxophon als Kontrahent des Gesangs, doch das vermeintliche Chaos und die Intensität der Musik bleiben durchdacht.
Dann beginnt das große Finale mit ´Relato De Una Obsesión´, aufgeteilt in ´Quimera´ und ´El Orate´. Die Band lebt sich in psychedelischen Ekstasen, in melodischer Eleganz, in tiefgründigen Erzählungen und ritueller Percussion in einem Trip durch Verzweiflung und Sehnsucht aus, ehe schließlich das ruhige, tröstende Schlussstück ´Colores´, mit jazzigen Gitarren, fließendem Saxophon und sanften Stimmen, wie der Sonnenuntergang nach einem Sturm betrachtet werden kann.
´Chercán´ ist ein episches und authentisches Werk, eine Reise von Südamerika aus über verschiedene Genres wie Avant Prog, Jazz, Metal und chilenische Folklore, mt einem bemerkenswerten Gespür für Atmosphäre, Dynamik und das Erzählen von Geschichten.
(8,5 Punkte)
https://chercan.bandcamp.com/album/cherc-n
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